Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die erste Salve der Chinesischen Revolution von 2014 wurde bei einem Glas Rotwein in einem Fünf-Sterne-Hotel in Peking in ein Suchfeld bei Google eingegeben.
Edward Johnson war vor zwei Tagen im Rahmen einer Geschäftsreise von seinem Firmenhauptquartier in Guangzhou nach Peking gekommen. In seinem hellbraunen Anzug und mit seiner ledernen Laptoptasche unterschied er sich kaum von den anderen Gästen des East-33-Restaurants im Raffles Beijing Hotel - ausländische Geschäftsreisende, die in dem opulenten Hotel der Hauptstadt übernachteten. Er arbeitete seit fünf Jahren als Verkaufsleiter für eine amerikanische Elektronikfirma und sprach fließend Mandarin, womit er sich in dem einen Jahr, das er nun schon hier lebte, schnell bei seinen chinesischen Geschäftspartnern einschmeicheln konnte. Er hatte eine liebende Ehefrau und einen fünfjährigen Sohn, die sich derzeit in den Vereinigten Staaten befanden und sich dort um die Mutter seiner Frau kümmerten, bei der man Krebs diagnostiziert hatte. Edwards Vorgesetzte hielten ihn für einen hart arbeitenden, peniblen Mann, auch wenn seine Gutachten oft widerspiegelten, dass ihm womöglich die Führungsqualitäten fehlten, um aus der Masse hervorzustechen. Seine chinesischen Partner liebten seine Bescheidenheit und seinen Anstand und machten immer wieder deutlich, dass sie ihn trotz seiner Führungsposition als einen Teamkameraden ansahen.
Und tatsächlich war es für Edwards Erfolg essenziell, in der Masse unterzutauchen. Denn man wurde kein professioneller Attentäter, wenn man ständig die Aufmerksamkeit auf sich zog.
Sicherlich, Edward stand auf der Gehaltsliste jener amerikanischen Firma, und seine Vorgesetzten hatten keine Ahnung, dass er etwas anderes sein könnte als ein engagierter Manager im mittleren Dienst. Sein wahrer Arbeitgeber aber war ZEUS, denen er direkt nach seiner Dienstzeit in der US-Army beigetreten war und die ihn nach einer vierjährigen Mission in den Vereinigten Staaten nach China geschickt hatten.
Edward, was zudem nicht sein wirklicher Name war, hatte bei den Special Forces gedient und viele Einsätze im Irak und in Afghanistan absolviert. Er hatte zugesehen, wie seine Freunde von Bomben und Raketen zerrissen wurden und man ihnen kurz darauf befahl, keine Vergeltung zu üben, weil es sich bei den Angreifern um gute Taliban handelte, die sich auf den Gehaltslisten von Alliierten der USA im Regime Kabuls befanden. Er entwickelt einen tiefen Hass auf die Art, wie die Politiker junge Männer in Gefahr brachten und ihnen vorschrieben, wie sie sich zu verhalten hatten. Bis er schließlich in Kandahar, wo man ihn inhaftiert hatte, nachdem er durchgedreht war und drei Zivilisten erschossen hatte, Major Appleseed traf. Appleseed erklärte ihm, dass er für Leute arbeiten würde, die genau diese Dinge ändern und gegen die wirklichen Feinde Amerikas kämpfen wollten. Edward schloss sich ihnen an, zum Teil, weil ihn Appleseeds Worte überzeugten, aber auch, um dem drohenden Kriegsgericht und seiner wahrscheinlich unehrenhaften Entlassung zu entgehen.
Vor zehn Minuten erhielt er eine einfache Textnachricht seiner Frau. Sie lautete: Die Mauer neben unserem Haus hat Risse bekommen. Wie sollten sie reparieren, wenn du wieder zu Hause bist. Jedem, der diese Nachricht abfangen würde - was in China durchaus im Bereich des Möglichen lag - würde sie völlig harmlos vorkommen. In Wirklichkeit aber informierte sie Edward darüber, dass die enorme chinesische Firewall, welche den Internetzugang der chinesischen Bürger beschränkte, gefallen war. Er tippte Tiananmen-Platz in das Google-Suchfeld seines Handys ein und lächelte. Noch vor einem Tag wären die einzigen Bilder, die man ihm zu sehen erlaubt hätte, die von Chinesen gewesen, die lächelnd über den Platz schlenderten. Heute aber sah er, was auch die restliche Welt sehen konnte - Panzer, die über Demonstranten hinwegrollten und Soldaten, die blindlings in das versammelte junge Volk feuerten. Bilder von dem ersten Massaker 1989, aber auch von den jüngsten Unruhen Ende 2012. Edward kopierte die Links und schickte von seinem sicheren Account aus eine E-Mail an eine Liste von Personen, die er zuvor auf seinem Telefon gespeichert hatte. Eine Liste der bekanntesten politischen Dissidenten in China. Dann trank er seinen Wein aus und verließ das Hotel. Er hatte sich überlegt, zum Tiananmen-Platz zu laufen und den Anblick zu genießen, solange das noch möglich sein würde.
***
»Chen, wir brauchen dich. Bitte, hilf uns.«
Colonel Chen gab sich alle Mühe, nicht in die flehenden Augen Bo Liangs zu blicken, seinem Freund aus Kindheitstagen. Liang war Herausgeber einer Regionalzeitung und erfolgreicher Autor. Die beiden Männer, der Soldat und der Poet, waren über die Jahre in Kontakt geblieben. Zumindest bis zu jenem Tag, als Chen eine Nachricht der Inneren Sicherheitsbehörde bekam, dass er jeglichen Kontakt zu seinem Sandkastenfreund abbrechen solle, weil man diesen wegen staatsfeindlicher Aktivitäten unter Hausarrest gestellt hatte. Alles, was Liang getan hatte, war einen Blogbeitrag zu veröffentlichen, in dem er verhaltene Kritik an der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz Ende 2012 übte. Mehrere Monate hatte Chen nichts mehr von seinem Freund gehört, bis dieser ihn überraschend anrief und um ein Treffen in einem Café bat. Chens Ehefrau hatte ihn angefleht, nicht hinzugehen, da man ihn sicher überwachen würde, aber das zumindest schuldete Chen seinem alten Freund.
Als Chen nichts darauf antwortete, legte Liang ein paar Ausdrucke auf den Tisch.
»Chen, sieh dir die mal an. Ich hatte darüber gebloggt, dass sie ein paar Dutzend Jugendliche umgebracht haben, aber wie es aussieht, haben sie noch viel mehr getan. Das Internet ist aus irgendeinem Grund nicht mehr eingeschränkt und wir haben das hier runterladen können. Es gab auf dem Tiananmen-Platz ein ungeheures Massaker, eines, dass sie vertuscht haben. Sie haben Dutzende von Personen verschleppt und später getötet. Bist du deswegen zur Armee gegangen, Chen? Um deine eigenen Leute zu töten?«
Bei diesen Worten riss Chen den Kopf nach oben. »Liang, du sitzt in deinen Cafés und deinem klimatisierten Zuhause und schwafelst von Demokratie. Sieh dich doch einmal um und vergleiche das mit der Armut, in der wir als Kinder aufgewachsen sind. Sieh dir an, wie sehr sich unsere Nation seither entwickelt hat. Du sprichst von Demokratie - aber sieh dir doch die Vereinigten Staaten an. Die Armen protestieren auf der Straße und gehen auf die Söldner der Eliten los. Seit der Occupy-Bewegung gleichen viele amerikanische Städte einem Kriegsgebiet. Europa wird von Aufständen arbeitsloser junger Menschen erschüttert, und ein Wirtschaftssystem nach dem anderen bricht zusammen, wie bei einem Dominospiel. Zumindest hier bewahrt uns die Armee noch vor der völligen Anarchie.«
»Dann sieh dir das hier bitte an. Seit die Firewall down ist, können wir sehen, was sich im Internet alles findet. Bitte, wirf einen Blick darauf und entscheide selbst.«
Liang schob Chen einen Tablet-Computer zu, dessen Browser eine ihm unbekannte Website zeigte. Chens Englisch war ziemlich gut und er scrollte durch die Seite. Es war ein Kommentar eines gewissen Dr. Stan in einem Forum über Weltverschwörungen. Er lautete: Das Chaos um uns herum wurde von mächtigen Personen initiiert. Das Virus in China und auch der Laborbrand in Washington, den alle zu verheimlichen versuchen. Das alles wird zu einer Katastrophe führen, die größer ist als alles, was wir uns vorstellen können. Und glaubt bloß nicht, dass die Kriege, die überall auf der Welt entbrennen, ein bloßer Zufall sind. Das gehört alles zu ihrem Plan.
Chen scrollte weiter und las, was viele Leute darauf geantwortet hatten. Die meisten nannten ihn verrückt oder paranoid. Dr. Stan hatte nie mehr etwas darauf geantwortet. Verärgert gab Chen das Tablet zurück.
»Erwartest du, dass ich das glaube? Das irre Geschwätz eines Verrückten in irgendeinem blöden Forum? Wenn ich so etwas sehe, fange ich an zu glauben, dass unsere Firewall auch ihr Gutes hatte.«
Chen sah Liangs enttäuschten Gesichtsausdruck, als dieser seine Sachen zusammenraffte und sich anschickte zu gehen.
»Ich verstehe, mein alter Freund. Danke, dass du dich mit mir getroffen hast. Ich weiß nicht, ob wir uns noch einmal wiedersehen werden, aber viel Glück.«
Mit diesen Worten stand er auf und ging. Chen sah ihm noch eine Weile hinterher und wünschte sich, er hätte etwas anderes gesagt. Aber tief in seinem Herzen wusste er, dass er recht hatte. Die Welt versank immer mehr im Chaos - der Mittlere Osten stand kurz vor einem Krieg zwischen Israel und Iran, die Wirtschaft der USA stand auf wackligen Füßen, und überall auf der Welt gab es Aufstände und Unruhen. Islamistische Aufständische hatten ihre Kämpfe in Chinas Xinxiang-Provinz ausgeweitet. Der Krieg der Worte zwischen den USA und Taiwan war schärfer geworden und Luftkämpfe über der Meerenge hatten bereits erstes Blut gekostet. Einen inneren Konflikt konnte China derzeit am allerwenigsten gebrauchen. Chen wusste nur zu gut, dass das chinesische System alles andere als perfekt war, aber welches System war das schon? Zumindest florierte die Nation und die Kinder in den kleineren Ortschaften mussten nicht mehr um Nahrung oder Bildung betteln, so wie es seinen Eltern noch ergangen war.
Chen hatte die nächsten beiden Tage noch Urlaub in Peking, nachdem er seiner Einheit nahe der indischen Grenze Bericht erstattet hatte. Die beiden asiatischen Giganten hielten einen unsicheren Frieden aufrecht, aber Chen wusste, dass sich so etwas sehr schnell ändern...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.