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Hyères an der Côte d'Azur, 1945: Vincent, ein Überlebender aus deutscher Kriegsgefangenschaft, kehrt nach Frankreich zurück, entschlossen, die Frau wiederzufinden, die ihm alles bedeutet: Ariane. Seit zwei Jahren ist sie verschollen, zuletzt gesehen bei den deutschen Besatzern. Um sie aufzupüren, schließt er sich einer Gruppe von Minenräumern an, die die tödlichen Hinterlassenschaften des Krieges an den Stränden der Côte d'Azur beseitigen. Unter ihnen: Die ehemaligen deutschen Besatzer, nun Internierte. Besonders einer, Lukas, scheint mehr zu wissen, als er zunächst preisgibt. Während die Bedrohung durch die Minen allgegenwärtig ist, wird Vincents Suche nach Ariane und nach einem Platz im neuen Frieden immer verzweifelter .
Claire Deya entspannt das Panorama einer Dorfgemeinschaft zwischen Aufbruch und Zerstörung. Bildreich erzählt sie von der unmittelbaren Nachkriegszeit, von einer leidenschaftlichen Liebe, von Vergeben, Vergessen und Versöhnung. Ein kraftvoller, schillernder, explosiver Roman.
Auf der anderen Seite der Brüstung, von der aus Vincent die Szene beobachtete, verteilten sich etwa ein Dutzend Männer über den Strand und rückten, einer neben dem anderen, langsam und schweigend vor. Ihre einzige Ausrüstung war ein einfaches Bajonett, mit dessen eiserner Spitze sie durch den Sand fuhren, um die Minen aufzuspüren, die die Deutschen zurückgelassen hatten. Fabien war der Anführer. Er schritt vorsichtig und konzentriert aus, und jeder der Männer an seiner Seite richtete seinen Schritt nach dem seinen aus.
Fabien war noch keine dreißig Jahre alt, aber er war ganz selbstverständlich zum Anführer des Trupps geworden. Seine natürliche Autorität, seine Ausbildung zum Ingenieur, sein Kampf, zuerst beim Maquis, dann in der Résistance . Er hatte unzählige Züge in die Luft gejagt und galt seitdem als unangefochtener Sprengstoffspezialist. Der Beamte im Rekrutierungsbüro hatte den jungen Mann sofort seinem Vorgesetzten gemeldet, dem bekannten Résistancekämpfer Raymond Aubrac.
Die Minenräumung war eine unumgängliche Voraussetzung für den Wiederaufbau Frankreichs, aber die Soldaten an der Ardennenfront und in Deutschland waren durch die provisorische Regierung von dieser Mission freigestellt worden. Wer aber konnte diese Aufgabe übernehmen? Schließlich war das Minenräumen kein Beruf. Niemand hatte Erfahrung mit dieser Art der Gefahr. Es gab nur wenige Freiwillige . Selbst wenn Fabien nie mehr getan hätte, als vom Deck eines Schiffs aus drei Feuerwerkskörper in die Luft zu schießen, hätte man ihn hierfür zum Engel erklärt.
Es lief das Gerücht um, dass die Minenräumer alle Verlorene waren, Gesetzlose aus den Gefängnissen, die sich eine Strafmilderung erkaufen wollten. Schlimmer noch, angeblich steckten unter ihnen auch Kollaborateure, die ihre finstere Vergangenheit reinzuwaschen suchten. Wenn Raymond Aubrac im Ministerium oder anderswo hörte, wie Leute verächtlich oder herablassend über seine Minenräumer sprachen, hielt er ihnen stets Fabien als Beispiel vor: Er war die personifizierte Perfektion.
Und das in einem Maße, dass niemand verstand, warum er sich überhaupt zum Minenräumen gemeldet hatte. Fabien wusste, was über ihn geredet wurde: Hatte er zuvor all diese Züge sabotiert, sabotiere er nun sich selbst. Die Behörden gingen davon aus, dass er aus Verzweiflung handelte. Seine Männer dachten, er habe etwas zu verbergen. Doch alle bewunderten seinen Mut. Und den brauchte es auch, neben einer ordentlichen Prise Opferbereitschaft, um selbst jetzt noch sein Leben aufs Spiel zu setzen, statt es endlich einfach nur zu genießen.
Das Ministerium für den Wiederaufbau warb die Leute für einen jeweils dreimonatigen Einsatz an. Aber das würde nicht reichen: Die Armee schätzte die Zahl der auf französischem Staatsgebiet vergrabenen Minen auf mindestens dreizehn Millionen. Dreizehn Millionen . Und so redete man den Männern gut zu, sich trotz Anstrengung und Erschöpfung zu einem erneuten Einsatz zu melden, kaum dass sie den vorigen beendet hatten.
Seit 1942 hatten die Besatzer den sogenannten Mittelmeerwall verstärkt. Die deutschen Minen sollten die Landung der Alliierten verhindern, die Minen der Alliierten den Rückzug der Deutschen. Mit dem Ergebnis, dass die Franzosen zwischen zwei Lagern eingekeilt waren. Die Opfer waren vor allem Kinder.
Die Strände von Hyères, Saint-Tropez, Ramatuelle, Pampelonne und Cavalaire waren sämtlich vermint. Kein dolce vita mehr an der Côte d'Azur. Niemand durfte sich mehr an den Strand wagen. Der Hafen von Saint-Tropez war mit Dynamit vermint, auch sämtliche Gebäude an der Uferpromenade. Die Schwebefähre im Hafen von Marseille war gesprengt worden, ebenso das Viertel Saint-Jean.
Im Hinterland fanden sich die verborgenen Höllenmaschinen unter Straßen und Eisenbahnlinien, in Fabriken und Verwaltungsgebäuden. Bei jedem Schritt konnte man in die Luft fliegen. Die Politik der verbrannten Erde war auf brutalste Weise perfektioniert worden.
Um angesichts dieser schwindelerregenden Zahlen nicht den Mut zu verlieren, konzentrierte Fabien sich stets ganz exakt auf die unmittelbar bevorstehende Aufgabe. Ruhig vorgehen, nicht fluchen, weil es an Freiwilligen, an deren Ausbildung und an Ausrüstung fehlte und weil man, was am schlimmsten war, keinen Verlegeplan der Minen hatte: Sie tasteten sich mehr oder weniger blind voran.
Plötzlich hob, wenige Meter neben Fabien, Manu, ein junger und nervös wirkender Beau, die Hand: »Mine!« Sein Bajonett war auf einen verdächtigen Widerstand gestoßen. Alle zogen sich instinktiv mit zusammengebissenen Zähnen zurück. Daran würden sie sich wohl nie gewöhnen. Mit einer einzigen Kopfbewegung beorderte Fabien die Männer weiter zurück als die üblichen fünfundzwanzig Meter. Ein Blick forderte Manu auf, die Stelle genauer zu untersuchen: Im Liegen musste er vorsichtig den Boden abtasten, um die Ausmaße des Objekts zu erkunden. Manu strich den Sand mit den Händen weg und brachte einen Zylinder aus schwarzem Metall zum Vorschein: eine leichte Panzermine, bekannt unter der Abkürzung l.Pz.Mi. Dreißig Zentimeter Durchmesser. Zwölf Zentimeter Höhe. Zweieinhalb Kilo TNT. Eine rundum tödliche Waffe, die einen Panzer von mehreren Tonnen pulverisieren konnte und natürlich auch jeden Menschen, der so unvorsichtig war, mehr als sieben Kilo zu wiegen.
Diese Mine musste von einem Mann mit Erfahrung entschärft oder gesprengt werden. In der Nähe waren sicher noch weitere Minen vergraben. Es war besser, diese hier zu entschärfen, auch wenn das schwieriger war. Minen waren dafür gemacht, in die Luft zu gehen, nicht dafür, gezähmt zu werden. Das musste mit bloßen Händen erledigt werden. Fabien übernahm. Er wusste, wie es ging . eigentlich, aber man konnte sich nie völlig sicher sein, es gab einfach zu viele verschiedene Modelle. Aber damit würde er sein Ansehen bei den Männern weiter stärken. Wenn er ganz ehrlich war, wenn er den Blick tief nach innen richtete, hatte er noch einen anderen Grund, warum er sich Tag für Tag in Gefahr begab, obwohl er das Leben so sehr liebte und sein Opfer ebenso schnell in Vergessenheit geraten würde wie das all der Toten, die er an seiner Seite hatte fallen sehen. Aber Fabien war nicht bereit, so weit in sein Innerstes hinabzusteigen, jedenfalls nicht heute: Er musste sich auf die Mine konzentrieren. Ein einziger Fehler, sei er noch so klein, und sie würde ihn zerreißen.
Atmen. Nicht zittern. Keinen nutzlosen Gedanken verschwenden. Keine unvermittelte Bewegung machen. Der Angst keinen Millimeter nachgeben. Die Mine. An nichts anderes denken . Wie oft hatte er das seinen Männern eingeschärft, auch wenn diese Warnungen letztlich Placebos waren?
Um die l.Pz.Mi zu sichern, musste man sich zuerst um den Druckzünder kümmern: die Schutzkappe in der Mitte der Untertasse entfernen und die Sicherungsspindel so weit hineindrehen, dass der Bajonettverschluss greift. So war die Mine gesichert. Dann hob man die Tretmine waagrecht aus der Erde und stellte sie auf den Rand. Bloß nicht flach auf die Erde legen! Die fünf Schraubenmuttern lösen, die die Zündhütchen hielten und diese mit ruhiger Hand entfernen.
Wie sollte er dabei locker bleiben? Sein ganzer Körper spannte sich an, bereit zur Flucht. Wie sollte er Luft holen, wenn ihm der Atem in der Kehle stockte? Wie sich konzentrieren, wenn ihm Fragen, Schuldgefühle, Gewissensbisse wie Geschosse durch den Kopf rasten?
Unmöglich: In der Ferne vernahm er die Akkorde ausgerechnet jenes Liedes, zu dem er zuletzt mit seiner Frau Odette getanzt hatte. Sie brachen ihm das Herz.
Fabien hielt einen Augenblick inne, um zuzuhören. Täuschte er sich auch nicht? Nein, es war ebendieses Lied. Mademoiselle Swing. Damals hatte er sich noch darüber lustig gemacht. Odette sagte ihm, es bringe Glück. Und war es in seiner schwungvollen, leichtfüßigen Art nicht die vollkommene Kampfansage an die Schwerfälligkeit der Nazis? Seit Odette nicht mehr da war, machte Fabien sich nicht mehr darüber lustig: Die beschwingten Akkorde erschütterten ihn tief.
Es hieß ja immer, kurz vor dem Tod liefe das eigene Leben noch einmal vor dem inneren Auge ab. Fabien aber sah immer nur Odette. Odette, die tanzte, glücklich, frei. Odette, wie sie ihm zulächelte. Odette mit den braunen Locken, dem Raubkatzenkörper und der unbekümmerten Eleganz der Feliden. Odette, bevor sie von den Deutschen...
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