1 Anamnese - geburtshilflich relevante Erkrankungen
Heike Meinefeld
1.1 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft
(vgl. ? [4])
1.1.1 Definition und klinisches Bild
1.1.1.1 Häufigkeit
6 bis 8% aller Schwangerschaften in Europa (meistens im letzten Trimenon)
1.1.1.2 Gestationshypertonie
1.1.1.3 Präeklampsie/SIH/Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie
-
Schwangerschafts-Hypertonie mit Proteinurie = 300 mg/24 Std. nach der abgeschlossenen 20. SSW
-
Generalisierte Ödeme sowie starke Gesichtsödeme sind ein zusätzliches Risiko (Gewichtszunahme > 1000 g/Woche in den letzten 3 Monaten).
-
Periphere Ödeme sind nicht besorgniserregend.
Präeklampsien können aber auch ohne Proteinurie auftreten. Dann mit folgenden zusätzlichen Symptomen:
-
fetaler Wachstumsverzögerung
-
Leberbeteiligung
-
Störungen der Nierenfunktion
-
neurologischen Störungen
-
hämatologischen Störungen
1.1.1.4 Schwere Präeklampsie
Eine schwere Präeklampsie erfüllt mindestens eines der folgenden Kriterien:
-
eingeschränkte Nierenfunktion (Kreatinin = 0,9 g/dl oder Urinausscheidung < 500 ml/24 Std.)
-
Leberbeteiligung (starke Oberbauchschmerzen, Anstieg der Transaminasen GOT/GPT)
-
Lungenödem oder Zyanose
-
hämatologische Störungen (Thrombozytenabfall, Hämolyse mit Anstieg des Serumbilirubins)
-
neurologische Symptome (starke Kopfschmerzen, Sehstörungen)
-
fetale Wachstumsretardierung
-
RR = 160/110 mmHg
-
Eiweißausscheidung = 5 g/24 Std.
Folgende Laborparameter können erkrankungsbedingt verändert sein ( ? Tab. 1.1 ):
Tab. 1.1 Mögliche Laborbefunde bei schwerer Präeklampsie
? [4].
Laborparameter
Befunde
Hämatokrit
> 38%
Thrombozyten
(Beachte: Ein Abfall der Thrombozyten muss auch im Normwertbereich innerhalb weniger Stunden kontrolliert werden. Cave: HELLP-Syndrom)
< 100 000/µl
GPT (ALT)
Anstieg über Normbereich (17U/l)
GOT (AST)
Anstieg über Normbereich (15U/l)
LDH
Anstieg über Normbereich
Bilirubin (indirekt)
> 1,2 mg/dl
Harnsäure (früher Hinweis auf SIH)
> 5,9 mg/dl
Kreatinin
> 0,9 mg/dl
Eiweiß im Urin
= 300 mg/24 h
Haptoglobin
Abfall unter Normbereich
Fibrinogen
< 150 mg/dl
Andere Blutgerinnungstests (z. B. schneller D-Dimer-Anstieg)
Verlaufsbeobachtung
SFLT-1/PIGF-Quotient (Serummarker mütterliches Blut)
> 85
1.1.1.5 Chronische Hypertonie
1.1.1.6 Pfropfgestose
1.1.2 Mögliche Folgen für die Geburt
1.1.2.1 Stationäres Monitoring/Therapie der Schwangeren in Perinatalzentren (Level 1 oder 2)
Angezeigt bei:
-
RR = 150/100 mmHg oder RR > 140/90 mmHg unter Antihypertensiva
-
Proteinurie und schnelle Ödembildung, d. h. Gewichtszunahme > 1 kg/Woche
-
klinischen Symptomen wie Kopfschmerz, Augenflimmern o.Ä.
-
Hypertonie mit weiteren Risiken wie mütterlicher Erkrankung, Wachstumsretardierung, frühem Schwangerschaftsalter, suspekter oder pathologischer Doppler/CTG
-
Oberbauchschmerzen
-
Thrombozyten < 100.000/µl
Zwischen der vollendeten 24. bis 34. SSW sollte die Behandlung der Schwangeren in einem Level-1-Perinatalzentrum erfolgen, zur primär konservativen Therapie, unter engmaschigem Monitoring des fetalen und mütterlichen Zustandes. Die abgeschlossene RDS-Prophylaxe spielt hier, neben dem Gestationsalter, die entscheidende Rolle für den günstigsten Entbindungszeitpunkt. In jedem Einzelfall muss der Wert des Abschlusses der Lungenreifebehandlung gegen die Dringlichkeit der Schwangerschaftsbeendigung aus mütterlicher Indikation abgewogen werden.
Cave
Mütterliche Indikationen zur sofortigen Entbindung
-
therapieresistente Hypertonie
-
therapieresistente Niereninsuffizienz
-
akutes Lungenödem/kardiale Dekompensation
-
disseminierte intravasale Gerinnung
-
anhaltende Oberbauchschmerzen
-
neu aufgetretene schwere zentralnervöse Symptome (anhaltende Kopfschmerzen, Hyperreflexie)
Merke
Die Entbindung ist gemäß AWMF-Leitlinie die einzige kausale Therapie bei SIH/Präeklampsie und sollte ab der abgeschlossenen 37. SSW angestrebt werden ? [22].
Eine Verlängerung der Schwangerschaft dient ausschließlich der Vermeidung einer Frühgeburt, solange das Kind intrauterin gut versorgt ist. Bei schwerer Präeklampsie sowie gravierender fetaler Wachstumsretardierung (< 5. Perzentile) mit gleichzeitigem pathologischem Dopplerbefund sollte die Schwangerschaft schon ab der vollendeten 34. SSW möglichst bald beendet werden. Die schwere fetale Wachstumsretardierung allein stellt noch keine klare Indikation zur Entbindung vor der 34. SSW dar. Es muss zusätzlich ein hochpathologischer Doppler-Flow-Befund vorliegen.
1.1.2.2 Geburtsmodus