Schweitzer Fachinformationen
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Prof. Dr. Andreas J. W. Goldschmidt/Prof. Dr. Thomas M. Deserno/Prof. Dr. Alfred Winter/Dr. Birgit J. Gerecke
1 Einleitung
2 Gute klinische Praxis als Grundlage
3 Handlungsrahmen für Fachgesellschaften
4 Ethische Leitlinien der GMDS
4.1 Ethik und Moral
4.2 Elemente der GMDS-Leitlinien
4.3 Interdisziplinärer Diskurs
4.4 Selbstverpflichtung
5 Weitere Ethikkodizes
6 Fazit
7 Ausblick
8 Literatur
Abstract:
Forschungsvorhaben und daraus resultierendes, evidenzbasiertes, neustes Wissen haben in der Menschheitsgeschichte leider nicht selten einen extrem hohen Preis gefordert. Auch die Medizingeschichte zeigt, dass viele Menschen dafür sterben mussten oder unter unwürdigsten Bedingungen dem Fortschritt "geopfert" wurden. Der Ehrgeiz mancher Forschender ging nicht selten mit Menschenverachtung einher. Normen, Methoden, Systematiken und Institutionen sind daher wichtige Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Fachgesellschaften. Dieses Kapitel widmet sich dem Thema Ethische Leitlinien unter dem besonderen Aspekt von "Forschung und Forschungsfolgenabschätzung". Dafür werden insbesondere die Elemente des Ethikkodex der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft GMDS und einiger kooperierender Verbände vorgestellt und diskutiert. Es wird in diesem Kontext auf die zwei Seiten der (Forschungs-)Medaille eingegangen, die sowohl positiv als auch negativ sein können, und auf die Verantwortung der Forschenden bei ihrer Vorausschau auf das, was aus den Ergebnissen werden könnte.18
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Jede wissenschaftliche Fachgesellschaft muss sich heute mehr denn je interdisziplinär und international ausrichten, um sich über aktuellste Forschungen, Ergebnisse und weitere Entwicklungen auszutauschen. Dieser permanente Wissenstransfer findet z. B. in der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS) traditionell schon seit Jahrzehnten zwischen deren Fachgebieten statt, die kontinuierlich durch weitere Disziplinen wie z. B. Medizinische Dokumentation, Bioinformatik oder Public Health ergänzt wurden und werden.
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Die GMDS kann somit als Scharnier zwischen den technischen bzw. naturwissenschaftlichen Disziplinen und den Humanwissenschaften aufgefasst werden (s. Abb. 1). Insofern können die folgenden Überlegungen zu Elementen eines Ethikkodex insbesondere für solche medizin- und informationstechnischen Fachgesellschaften hilfreich sein, die eine ähnliche Vielfalt an interdisziplinär zusammenarbeitenden Fächern und Schwerpunkten aufweisen.
Abb. 1:
Scharnierfunktion der GMDS zwischen den theoretischen Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (links) und den empirischen Lebens- und Gesundheitswissenschaften (rechts)
Quelle: Eigene Darstellung.
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In der GMDS gilt die "Methodenlehre der therapeutisch-klinischen Forschung" von Paul Martini et al.19 als eines der Fundamente für die seitdem ständig weiterentwickelten und nunmehr auch international gültigen Regularien für klinische Studien, z. B. International Conference of Harmonisation, Good Clinical Practice (ICH-GCP):
"Im körperlichen wie im seelischen Bereich ist der ärztliche Erfolg nicht damit bewiesen, dass ein Kranker gesund geworden ist. [.] Das kann er nur dann tun, wenn er in seiner Versuchsanordnung die Voraussetzungen für einen folgerichtigen Schluss geschaffen hat. [.] Diese Versuchsanordnung [.] ist aber [.] ebenso der Stein des Anstoßes [. und zwar] zu Recht, wo die Gesetze der Logik und Ethik nicht beachtet oder verkannt werden [.]".20
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Aus dem Blickwinkel der Ethik waren Exkurse in die Vergangenheit für die Weiterentwicklung dieser Methodenlehre von enormer Bedeutung. Dies zeigt exemplarisch die Geschichte der hessischen Ärztekammern von 1887-1956.21 Von den vier Epochen Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Nachkriegszeit konzentrierte sich die Untersuchung auf die zwei letzteren. Durch die Aufarbeitung der Vergangenheit wurde vor allem die institutionelle Bedeutung der Ärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts betont.22
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Normen, standardisierte Methoden und Systematiken sowie die sie etablierenden Institutionen bilden wichtige Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Fachgesellschaften. Hinsichtlich der Fächer der GMDS sind insbesondere internationale Deklarationen, europäische und nationale Gesetze, Regularien und Berufsordnungen für die von der Forschung betroffenen Bereiche bzw. freien Berufe wie Humanmediziner, Pharmazeuten und Ingenieure zu beachten. Sie bilden den Rahmen der normativen Ethik.
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Bei den Methoden reicht das Spektrum von der (exakten) Mathematik über eine z. T. sehr stark systematisch orientierte Biostatistik bis hin zu den empirischen Methoden in Epidemiologie und Public Health. Als Anwendungsbereiche können etwa neue Medikamente, Apps einer digitalen Gesundheitsanwendung (DIGA) oder Medizinprodukte genannt werden, wobei sich die Evidenzbereiche von allgemeingültig über wahrscheinlich bis individualisiert erstrecken (s. Abb. 2).
Abb. 2:
Die normative Ethik und die wissenschaftliche Methodik bilden den Rahmen für wissenschaftliche Fachgesellschaften mit ihren Fach-, Anwendungs- und Evidenzbereichen
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Der Handlungsrahmen für die medizinische Forschung wird durch übergeordnete Deklarationen und gesetzliche Vorgaben festgelegt (s. Tab. 1).
Tab. 1:
Übergeordneter Handlungsrahmen für die biomedizinische Forschung am Menschen
Übergeordnete Deklarationen und Gesetze
Gegenstand, Zielsetzung
Herausgeber
Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung
Gemeinsame Verpflichtung zur Gesundheitsförderung
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Erklärung der Menschenrechte
Unveräußerliche Rechte jedes einzelnen Menschen
Vereinte Nationen (UN)
Deklaration von Helsinki
Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen (inkl. Materialien und Daten)
Weltärztebund (WMA)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz der Gesundheit (Art. 2 GG)
Bundesrepublik Deutschland
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Für die ärztlichen Wissenschaftler gibt es darüber hinaus noch das Genfer Gelöbnis (aktuell von 201723) und die (Muster-)Berufsordnung. Für die ethische Beurteilung von Sachverhalten gelten orientierend die grundlegenden medizinethischen Prinzipien des Respekts vor der Autonomie, des Nicht-Schadens, der Benefizienz (Wohltun, Fürsorge) und der Gerechtigkeit.24 Der Respekt vor der Autonomie betrifft dabei z. B. die informierte Einwilligung (informed consent) und die Datensouveränität, das Gebot der Schadensvermeidung z. B. die Technikfolgenabschätzung, das Benefizienz-Gebot z. B. das Ziel der Verbesserung der Lebensqualität und/oder der Prognose sowie die Gerechtigkeit, z. B. die gerechte Ressourcenverteilung. Dabei ist nicht nur eine Verbesserung für einen einzelnen Patienten zu bedenken, wie im individuellen Behandlungsfall z. B. in der ärztlichen Ethik, sondern auch Verbesserungen in einem größeren Kontext. Die medizinethischen Kriterien stehen nebeneinander und zwischen ihnen können durchaus Konflikte bestehen, sodass sich aus den Leitlinien der GMDS keine Handlungsanweisungen ergeben, sondern diese Elemente nur zur Beurteilung einer konkreten Situation herangezogen werden können. Die übergeordneten Elemente der Menschenwürde und der Menschenrechte helfen dann bei der konkreten Entscheidung bei Problemen.
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Gesetze sind zwingend zu berücksichtigen, wenn sie nicht gegen ethische Prinzipien verstoßen. Je nach wissenschaftlicher Fachrichtung innerhalb der GMDS ist z. B. für die Medizininformatik bei der Implementierung von Algorithmen in neu entwickelte Medizintechnik das Medizinproduktegesetz (MPG) bzw. die ab 2020 geltende Medical Device Regulation (MDR), für die Biometrie im Bereich der...
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