Schweitzer Fachinformationen
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Was ein Bild zeigt oder gerade nicht zeigt, enthüllt ein bestimmtes figuratives Schema, das durch die formalen Mittel und durch die Anordnung, mit der es seine Wirkungskraft entfaltet, gekennzeichnet ist. Bilder ermöglichen uns so einen Zugang zu dem, was unterschiedliche menschliche Lebensformen ausmacht. Gestützt auf einen globalen und historisch weit ausgreifenden Vergleich von Werken einer atemberaubenden Vielfalt, entwickelt Philippe Descola in seinem Buch die Grundlagen für eine Anthropologie der menschlichen Bildkunst.
Die bildliche Darstellung ist nicht allein der Phantasie derer überlassen, die die Bilder erschaffen. Wir stellen nur dar, was wir wahrnehmen oder uns vorstellen, und wir stellen uns nur vor und nehmen nur wahr, was uns die Gewohnheit zu unterscheiden gelehrt hat. Der visuelle Pfad, den wir bei der Abbildung der Welt einschlagen, hängt für Descola daher davon ab, welcher der vier Regionen des von ihm entdeckten ontologischen Archipels wir angehören: Animismus, Naturalismus, Totemismus oder Analogismus. Jeder von ihnen entspricht eine bestimmte Art, die Welt zu begreifen. Ein augenöffnendes Buch!
[E]s [ist] dem Sichtbaren eigentümlich [.], im strengsten Sinne des Wortes durch ein Unsichtbares gedoppelt zu sein, das es als ein gewissermaßen Abwesendes gegenwärtig macht.
Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist1
Dieses Buch bildet den Abschluss einer Reihe von Experimenten, deren Verknüpfung den Umständen geschuldet ist. Zunächst einmal den Lebensumständen, die mich Mitte der 1970er Jahre zu den Achuar am oberen Amazonas führten, um die Beziehungen zu untersuchen, die sie zu ihrer Umwelt unterhielten, wobei ich am Ende zu dem Schluss kommen musste, dass keine der Beschreibungskategorien, die ich in meinem Ethnologenköcher mitgebracht hatte, sich als adäquat für das erwies, was meine Gastgeber taten und sagten. Ich habe bei ihnen vergeblich nach etwas gesucht, das an Natur oder Kultur erinnern würde, an Geschichte oder Religion, an ein sauber von den magischen Praktiken trennbares ökologisches Wissen oder an eine systematische, allein technischer Effizienz gehorchende Ressourcennutzung. Schon der Gesellschaftsbegriff, also jene Hypostase, auf die das Selbstverständnis unserer so eigentümlichen Wissenschaften Bezug nimmt, lieferte eine ziemlich schlechte Beschreibung der Ansammlung von Menschen, Tieren, Pflanzen und Geistern, deren alltäglicher Umgang miteinander sich über artspezifische Schranken zwischen den Wesen und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten hinwegsetzte. Alle analytischen Ebenen, die zu unterscheiden ich gelernt hatte, vermischten sich hier - ökonomische Aktivitäten waren durch und durch religiös, die politische Organisation gab sich nur andeutungsweise in Riten und Blutrache zu erkennen, die flüchtige ethnische Identität beruhte im Wesentlichen 12auf der Erinnerung an Konflikte -, sodass ich mir eine Beschreibungsweise einfallen lassen musste, die diesem ethnographischen Tohuwabohu gerecht wurde und Kohärenz verlieh, ohne die üblichen Wege einzuschlagen.2
An dieses erste induktive und reflexive Experiment schloss sich ein zweites, in höherem Maße theoretisches Experiment an, das mich lange beschäftigt hat. Die Achuar hatten mir bewusst gemacht, dass die geistigen Werkzeuge der Sozialwissenschaften einen ganz bestimmten, auf die Aufklärungsphilosophie zurückgehenden Typ von kosmologischer und epistemologischer Konfiguration fortschrieben - eine Universalität, von der die unzähligen Einzelkulturen nur begrenzte Versionen abgeben -, die dem, was ich bei der Feldforschung beobachtet hatte, und dem, was andere Ethnographen über andere Weltregionen berichteten, genauso wenig entsprach wie dem, was Historiker im Hinblick auf andere Zeiträume der Menschheitsgeschichte beschrieben. In der Absicht, auf etwas aufmerksam zu machen, das man Formen der »Welterschaffung« nennen könnte, habe ich deshalb eine vergleichende Untersuchung der verschiedenen Weisen in Angriff genommen, wie sich Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Menschen und Nichtmenschen ausfindig machen und verstetigen lassen, für die ethnographische und historische Zeugnisse Anhaltspunkte bieten.
Entgegen der klassischen anthropologischen und historischen Vorstellung, dass es lediglich eine einzige Welt in Gestalt einer sich selbst genügenden Totalität gibt, die nur darauf wartet, eine verschiedenen Standpunkten gemäße Darstellung zu finden, war es meiner Meinung nach sachdienlicher und zollte es denjenigen mehr Respekt, deren Vorgehens- und Lebensweisen wir zu beschreiben versuchen, jene verschiedenartigen Bräuche als Verfahren zu betrachten, wie die Welt jeweils zusammengesetzt wird.3 Darunter sind die Aktualisierungsweisen der unzähligen Qualitäten, Phänomene, Wesen und Beziehungen zu verstehen, die Menschen mit Hilfe jener ontologischen Filter objektivieren können, die ihnen zur Unterscheidung aller in ihrer Umwelt wahrnehmbaren Dinge dienen. Deswegen bringt ein Mensch, sobald diese Welterschaffung eingesetzt hat, das heißt seit seiner Geburt, keine »Weltanschauung«, das heißt keine bloße Version einer transzendenten, allein der Wissenschaft oder Gott vollständig zugänglichen Realität, hervor, sondern eine sinnhafte, vor kausaler Vielfältigkeit wimmelnde 13Welt im eigentlichen Sinne, die sich an ihren Rändern mit ähnlichen, von anderen Menschen unter vergleichbaren Umständen aktualisierten Welten überlappt. Und die relative Koinzidenz einiger dieser Welten, die gemeinsamen Anhaltspunkte und die geteilten Erfahrungen, von denen sie zeugen, liegen dann dem zugrunde, was man gewöhnlich Kultur nennt.
Unter Rückgriff auf den Gedanken von Marcel Mauss, dass »sich jeder Mensch mit den Dingen identifiziert und die Dinge mit sich selbst, wobei er ein Gefühl für die Unterschiede und für die Ähnlichkeiten hat, die er feststellt«,4 habe ich jene die Welterschaffung strukturierenden ontologischen Filter »Identifikationsmodi« genannt. Man kann sie als während der Sozialisierung in ein bestimmtes soziales und natürliches Milieu inkorporierte kognitive und sensomotorische Schemata betrachten, die als Rahmenbedingungen unserer Praktiken, Anschauungen und Wahrnehmungen fungieren, ohne propositionales Wissen in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich mit anderen Worten um jene Art von Mechanismen, die uns erlauben, die Bedeutsamkeit bestimmter Dinge zu erkennen und anderen keine Beachtung zu schenken, Handlungssequenzen zu verknüpfen, ohne darüber nachdenken zu müssen, Vorkommnisse und Aussagen auf eine bestimmte Weise zu interpretieren, unsere Schlussfolgerungen in Bezug auf die Eigenschaften der in unserer Umwelt vorkommenden Objekte in eine bestimmte Richtung zu lenken, kurz: um alles, was sich von selbst versteht und sich behaupten lässt, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden.
Trotz der großen Verschiedenartigkeit der Qualitäten, die sich an Wesen und Dingen entdecken lassen oder auf die man aufgrund der Anzeichen bzw. Indizes schließen kann, die ihr äußeres Erscheinungsbild und ihr Verhalten bieten, ist es jedoch plausibel anzunehmen, dass es nicht besonders viele Möglichkeiten gibt, diese Qualitäten zu organisieren. Unsere Identitätsurteile, das heißt das Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Gegenständen oder Vorkommnissen, dürfen nicht auf einer Reihe von nach und nach vorgenommenen analytischen Vergleichen beruhen. Aus Gründen kognitiver Sparsamkeit müssen sie schnell und auf nicht bewusste Weise gefällt werden können, durch Induktion auf der Grundlage gemeinsamer Schemata als jenen Dispositiven, welche die Strukturierung der wahrgenommenen Qualitäten und die Einordnung der Verhaltensweisen erlauben. Auf der Basis eines ziemlich 14einfachen Gedankenexperiments habe ich deshalb die These aufgestellt, dass es nicht mehr als vier Identifikationsmodi, das heißt Möglichkeiten, gibt, ontologische Schlussfolgerungen zu systematisieren, die sich jeweils auf die Arten von Ähnlichkeit und von Unterschieden stützen, die Menschen auf zwei Ebenen, physisch und moralisch, zwischen sich und den Nichtmenschen feststellen. Teilweise in Fortführung der konventionellen Begrifflichkeit habe ich diese vier gegensätzlichen Weisen, in den Falten der Welt Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzuspüren, als Animismus, Totemismus, Analogismus und Naturalismus bezeichnet.5
Beim Animismus, den ich im Laufe meiner Unterhaltungen mit den Achuar entdeckt hatte, wird Nichtmenschen in Verbindung mit der Einsicht, dass jede Klasse von Existenzen, jede Art von Ding über einen eigenen Körper verfügt, der ihr Zugang zu einer bestimmten Welt verschafft, die sie auf ihre eigene Weise bewohnt, Interiorität im Sinne eines Innenlebens menschlicher Art zugeschrieben - die meisten Wesen haben eine »Seele«. Die Welt eines Schmetterlings ist nicht dieselbe wie die Welt eines Welses und auch nicht wie die eines Menschen, einer Palme, eines Blasrohrs oder des Geistergeschlechts, das Affen Schutz gewährt, weil jede dieser Welten zugleich die Bedingung und das Ergebnis der Aktualisierung einzelner physischer Funktionen ist, welche die anderen Lebensformen nicht besitzen. Insofern er meine bequemen Gewissheiten erschütterte und mich entdecken ließ, dass sich am Rande der Welt, in der ich mich eingerichtet hatte, noch andere Welten entfalten können, hat der Animismus die Untersuchung angestoßen, von der dieses Buch einen Teilabschnitt bildet. In den Texten und großen Monographien über die australischen ...
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