Schweitzer Fachinformationen
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Der Hunger ist ein unlösbares Rätsel. Erstens, weil er aus nichts besteht. Im Magen einer hungrigen Person ist nichts, wo etwas sein sollte. Zweitens verwandelt sich dieses Nichts, das man nicht füllen kann, in ein Gefühl der Schwere im Körper, dem nun alles gehorcht. Aber wie kann ein Nichts schwer sein? Und wie könnte das eine nichts ahnende Person beantworten, wenn der Hunger das Denken am Nachdenken hindert? Das ist nur für Schwerdenker! So ist Hunger. Erst recht der Hunger von Luklak. Sie bleibt nämlich hungrig, obwohl sie sich satt gegessen hat.
Jetzt eilt sie nach Hause und hofft, dort noch etwas zu essen zu finden. Wenn auch nur eine Kruste von angebranntem Reis. Wenn ihr Vater betrunken nach Hause kommt, ist er immer genauso ausgehungert. Wenn der Topf leer ist, kennt er nichts mehr, dann dreht er durch. So ist ihr Vater nach jedem Besäufnis. Aber wenn der Rausch verflogen ist, ist er ein netter und ruhiger Mensch. Vielleicht macht ihn der Alkohol brutal. Oder er war schon vorher so. Vielleicht wollte er schon immer ausrasten. Und erst im Suff wächst ihm der Mut, die Gewalt durchbrechen zu lassen. Warum, weiß er nicht. Es gäbe so viele Gründe. Auf dem Weg nach Hause kommt es Luklak vor, als werde sie gleich wie ihr Vater.
Sie will explodieren. Sie will schon dort sein und in alle Tontöpfe gucken und sie dann einen nach dem anderen mit ihrem Nichts drin aus dem Fenster schmeißen. Auch Menschen jagen will sie. Kinder, Alte, Männer, Frauen. Egal wen. Sie will ihnen wehtun, mit den eigenen Händen. Aber warum? Woher diese Lust?
Die Wandelwesen sind mit offenem Mund stehen geblieben. Entgeisterte Geister. Nicht einer bewegt sich, um eine Drohung wahr zu machen. Sie schauen ganz ruhig zu, wie Luklak davongeht. Ob diese Reglosigkeit mit den Gräten des Aals zu tun hat, die das Mädchen nach allen andern auch noch abgeleckt hat? Kaum hatte sie das getan, machten die Wesen keinen Wank mehr. Erwarten sie vielleicht, dass etwas Bestimmtes mit ihr geschieht oder mit den abgeleckten Gräten?
Der krabbenförmige Mond schaut ihr auf dem Heimweg zu. »Komm doch runter!«, sagt sie zu ihm. »Wenn nicht, steig ich zu dir hoch!«
Sie spürt nicht die geringste Müdigkeit. So gleitet sie dahin auf dem Weg. Sie würde jeden erwischen, den sie fangen wollte. Leicht fühlt sie sich trotz der Schwere ihm Magen, die ans Nichts denken lässt und dafür sorgt, dass sie fast schwebend dahintreibt.
Die Nacht ist still in Bariwbariw. So heißt der Ort. Er ist nach dem Schilfgras benannt, aus dem die Schlafmatten gewoben sind, und klingt wie Balabala und Bürenbüren in einem Wort. Jetzt liegt er so ruhig wie das Meer. Alles schläft, außer den Männern auf dem Wachturm. Auch der Vater von Luklak ist bei ihnen. Sie halten nach verdächtigen Bewegungen Ausschau. Man muss Schiffe, die übers Meer kommen, schon von Weitem erfassen. Man muss erkennen, ob es sich um Piraten handelt, die sich in der Absicht nähern, den Ort zu überfallen und Sklaven zu erbeuten. Wenn Piraten angreifen, ist der Vater verpflichtet, den nächsten Militärposten der Spanier zu warnen. Dazu schlägt er auf das Klangholz, das wie eine Schaukel an der Stinkmalve neben dem Wachturm befestigt ist. Das Militär schickt dann Soldaten, aber während die noch unterwegs sind, muss der Vater mit seinen Kameraden die Piraten in Schach halten, mit Pfeilen und Speeren, und als Letzter muss er auf dem höchsten Turm der Festung ausharren.
Obwohl sie so gefährlich ist, hat er diese Arbeit angenommen, denn als Küstenwache verdient er einen viertel Scheffel Reis und ist noch dazu von der Zwangsarbeit befreit, die der Staat allen erwachsenen und gesunden Männern auferlegt. Und er genießt noch weitere Freiheiten, so darf er in der Zeit, die ihm neben dem Wachestehen bleibt, für seine Familie anpflanzen, brandroden, jagen und fischen.
Wie es ihrem Vater wohl geht? Was er wohl wirklich treibt auf dem Wachturm? Wahrscheinlich betrinkt er sich mit den anderen Wächtern. Der Palmwein Tuba ist ihr Mittel gegen den Schlaf und gegen den kühlen Nachtwind. Die Piraten hätten leichtes Spiel, wenn sie heute Nacht angriffen. Der ganze Ort würde ihnen ohne Schwierigkeiten in die Hände fallen.
Der Vater gehört eigentlich nicht auf einen Wachturm. Er trinkt nicht nur, sondern sieht auch nicht besonders gut. Aber was bleibt ihm anderes übrig? Es stehen kaum noch Männer zur Verfügung, weil die meisten nach Cavite verschleppt worden sind, um dort in den Werften zu arbeiten. Fast alle, die körperlich imstande sind, zu jagen, zu fischen und ein Feld zu bestellen, haben die Spanier gefangen genommen. Darum wird der Ort jetzt von Hunger geplagt.
In unvordenklicher Zeit, als Tungkong Langit, der Himmlische, und Alunsina gerade die Welt erschaffen hatten, soll in dieser Gegend ein großer See gelegen haben. Dann begann ein kleiner Klumpen Erde zu wachsen, wie ein Muttermal auf einer Wange. Das war an einem Abend, als das göttliche Wesen Burarakaw ankam, um sich zu waschen und zu erleichtern. Unter dem ganzen weiten Himmelszelt wurde dieser Ort auf der Insel Panay zum liebsten Bad und Klosett des Kometenhaften. So wuchs der Scheißhaufen, den er hinterließ, er wurde immer größer und bildete schließlich eine Insel im See. Irgendwann füllte er den See ganz aus. Und weil damit sein Lieblingsbad verschwunden war, stellte Burarakaw seine Besuche ein. Darum sagen hier die Leute, wenn sie allerhand Mühsal plagt: So ist das eben, wenn du auf einem riesigen Scheißhaufen lebst. Da ist kein Wohlstand, keine Hoffnung.
Weil sie, statt auf den Weg zu achten, nur Augen für den Mond hat, tritt Luklak in einen Hunde-, vielleicht sogar Menschenhaufen. Nur der Mond sieht das. Dieser Mond in Form einer Krabbe, die so lecker wäre, könnte man sie aufbrechen. Luklak hat plötzlich den Geschmack von süßen Krabbeneiern auf der Zunge und von salzigem Fett.
»Komm runter«, sagt sie noch einmal und hält sich den Bauch. Die Finger drückt sie hinein. Als wolle sie zu fassen kriegen, was dort im Hunger verschwunden ist. Dort war ihr Geschwisterkind. Ausgemerzt wie Ungeziefer von den Leuten im Ort. Hingerichtet, bevor es einen Namen hatte. Und sie kannten nicht einmal sein Geschlecht. Warum sie wohl immer an einen Jungen denkt? Miluy hätte er heißen sollen. Warum sieht sie ihn drei Fuß lang, den Kleinen? Hätten sie ihn doch leben lassen, er würde groß und lang werden, vielleicht zehn Fuß lang, und ein hohes Alter würde er erreichen. Und wenn sie ihn frei ins Meer hinausgelassen hätten, dann wäre er dort zum prächtigen Ungeheuer geworden. Und so gibt sie ihm den Namen Baranagon. Und allen, die danach fragen, wird sie diesen Namen ihres toten kleinen Bruders nennen.
»Baranagon«, murmelt sie in den Wind. »Großer Baranagon.« Im Dunkeln antwortet ein Vogel und verschwindet mit heftigem Flügelschlag. Er ist wohl einverstanden.
Zu Hause angekommen, ist nichts in den Töpfen. Sie will ausrasten, das ganze Küchenzeug durch die Luft schleudern.
»Wo seid ihr?«, schreit sie unsichtbare Gesellen rund um sich an. »Wo seid ihr? Zeigt euch doch!«, sagt sie und nimmt eine Pfanne nach der andern aus der Ablage. Ob sie nach Körnern sucht, wo nichts ist? Warum sollte sie hoffen, dass in einem Tontopf noch ein Rest Reis übrig ist? Hofft sie vielleicht, dass ihre Mutter, die jetzt wohl selbst von Würmern gefressen wird, doch noch etwas für sie kocht?
Eine Unzahl von Stimmen redet auf sie ein. Wahrscheinlich bringt der Hunger sie hervor. Da nähert sich Gurna, die schwarze Hauskatze. Sie streicht ihr besänftigend um die Beine. Als wolle sie sagen, es nütze nichts, gegen andere Leute zu wettern - weil der Vater nicht da ist und die Mutter tot und nichts da zum Kochen.
Also rollt Luklak die Schilfmatte auf dem Boden aus, legt sich mit der Katze hin, schmiegt sich an sie und hofft, vom Schlummer fortgetragen zu werden. Es dauert nicht lang, da fällt sie erschöpft in den Schlaf.
Im Traum ist sie zurück am Flussufer, da ist sie wieder von Wandelwesen umgeben, gemeinsam nehmen sie ein opulentes Festmahl ein, opulenter als am Tag davor, weil jetzt nicht nur der Aal, sondern auch die Möchtegern-Schweinchen, die Haustiere der Wandelwesen, am Spieß brutzeln. Das zarte, butterweiche Fleisch des kugelrunden Lolid, des Tipsviechs Tibsukan und des Krabblers Tulayhang sorgen für frohes Schmausen. Nun ist sie mit den unterirdischen Nachbarn wirklich befreundet. Luklak hört keinen Neid und kein Jammern. Das alles wirkt so echt, dass sie eines Tages, wenn sie sich an den Traum erinnern wird, denken könnte, sie habe das wirklich erlebt. Doch ein Detail weicht so stark von der Wirklichkeit ab, dass ihr noch im Traum bewusst wird, dass sie träumt. Da taucht nämlich unter den anderen Wesen ihre Mutter auf, um Reis anzubieten, den sie aus einem großen Tontopf schöpft. Der Reis ist schwarz.
Das Mädchen weiß, dass sie schwarzen Reis niemals annehmen darf, von wem auch immer, und in diesem Traum ist sie noch vorsichtiger als sonst beim Essen. Sie bittet also um Salz. Kaum hat sie »Salz« ausgesprochen, stieben alle Unterirdischen davon. Mit der Mutter zusammen verschwinden sie, wo sie hergekommen sind. Luklak sieht den großen Tontopf voll Reis umstürzen, da ist der Traum abrupt zu Ende.
Dann träumt sie einen zweiten Traum, der wie die Fortsetzung des ersten erscheint. Denn auch jetzt sieht sie sich selbst am Flussufer. Allein isst sie einen gebratenen Aal. Der wird plötzlich lebendig, schlüpft ihr aus der...
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