Schweitzer Fachinformationen
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SARA
April
Ich liebe den Geruch von New Orleans am Morgen. Kritische Stimmen behaupten ja, die Stadt würde nach dem Abfall des Vorabends und den unangenehmen Ausdünstungen aus den Kanalschächten riechen, doch ich weiß es besser. Es ist der Fischgeruch direkt aus dem Golf - und der stinkt nicht, sondern riecht herrlich salzig und frisch. Es ist das Aroma von frisch gebackenem Baguette, das aus der Frenchman Street durch das French Quarter zieht. Es ist der Puderzuckerduft, der vom Café du Monde herüberweht. Klar, ein Hauch von Bier, Rauch und der ganzen Sündhaftigkeit der Bourbon Street schwingt mit, aber insgesamt ist der Duft einfach berauschend.
Um Viertel nach neun verließ ich mein Loft und atmete tief die frische Luft ein. Es war April, was in New Orleans alles von vier bis siebenundzwanzig Grad bedeuten kann, je nach Lust und Laune der Götter und der Windverhältnisse. Dieser Tag hatte kühl und sonnig begonnen.
Anstatt in meinen Audi zu steigen, marschierte ich zur Canal Street, wo die Haltestelle des Busses lag, der mich zu meinem Laden in der Magazine Street bringen würde. Mit Keilschuhen war das gar nicht so ohne, aber Allyn redete mir immer zu, ich solle mal aus meiner Routine ausbrechen und »etwas Unerwartetes« tun. Ich lächelte. Er wäre stolz auf mich gewesen, dass ich auf den Zeitaufwand - und meine schmerzenden Füße - pfiff und den Morgen genoss. Wen störte es schon, wenn ich meinen Shop erst etwas später öffnete? In dieser Stadt machten Läden aus dem einen oder anderen Grund grundsätzlich spät auf oder schon früh zu. Ich machte das zwar ungern, hatte mich inzwischen aber an den Way of Life in New Orleans gewöhnt.
»Hey, hübsche Lady!«, rief eine Männerstimme aus den schattigen Tiefen des Schmuckgeschäfts Three Georges Jewelers. Dieser von den drei Georges versuchte immer, ahnungslosen Touristen Juwelenimitationen und anderen unechten Kram anzudrehen. Zwar fiel ich nie auf seine Werbesprüche herein, seinem Charme konnte ich trotzdem nicht widerstehen.
»Hallo, George, hast du vor, wieder jemandem seine schwer verdienten Dollars abzuluchsen?«
»Den ganzen Tag lang, meine Liebe. Eines schönen Tages wird auch an deinem Finger eine meiner Schönheiten funkeln. Schick deine Verehrer zu mir, und sie verlassen den Laden mit dem perfekten Schmuckstück für dich.«
»Das glaube ich gern. Fehlen nur noch die Verehrer.«
»Was, einer hübschen Lady wie dir? Ich fass es nicht!«
Er bezeichnete jede Frau als hübsche Lady. Und sogar ein paar Männer.
Ich setzte meinen Weg durchs Quarter bis zur Bushaltestelle fort. Dabei begegnete ich nur gut gelaunten Leuten, und mir wurde wieder einmal klar, warum ich mich in New Orleans verliebt hatte.
Gerade als ich meinen Laden, das Bits and Pieces, aufsperren wollte, kam Allyn auf seiner Harley angerattert.
»Na, du hast dich ja verspätet!« Elegant stieg er von der Maschine. »Etwa die Nacht durchgemacht wie ich?« Seine Hollywood-Starlet-Sonnenbrille verdeckte sein halbes Gesicht. Heute war sein Haar orangefarben.
»Nein, habe ich nicht, vielen Dank. Und witzig, dass ausgerechnet du das sagst - du bist doch selbst spät dran.«
»Ich käme ja gar nicht rein, wenn ich immer pünktlich wäre«, konterte er.
Ich schob die Tür auf, und sofort umwehte uns der angenehme Duft von Gardenien. Wir führten eine Produktlinie handgegossener Sojawachskerzen, die alle ähnlich gut rochen. Leicht, aber nicht penetrant. Ich hatte das Bits and Pieces so eingerichtet, dass es die Kunden zum Verweilen einlud. Im rückwärtigen Teil hatten wir sogar eine Kapselmaschine von Keurig stehen, an der Kasse eine Schale mit Pralinen.
Ich liebte alles, was ich in dieses alte Shotgun House gesteckt hatte - von restaurierten Möbelstücken über altes Silber bis hin zu Vintage-Leinenkissen, die mit den für New Orleans so berühmten Lilienblüten bestickt waren, den Fleur-de-Lis. Vieles davon hatte ich auf Antikmärkten und bei Haushaltsauflösungen aufgestöbert. Manches sogar auf Garagenflohmärkten. Wobei ich nicht auf bestimmte Gegenstände festgelegt war - weshalb mein Shop ja auch Bits and Pieces hieß. Ein bisschen was von allem.
Beschwingt durch Sonnenschein und frische Frühlingsluft, öffnete ich die Ladentüren - unser Tag konnte beginnen. Ich legte Musik von Madeleine Peyroux auf, und Allyn ging in einen Nebenraum, um weiter an einer Assemblage im Gothic-Stil zu werkeln. Nachdem er mir ewig in den Ohren gelegen hatte, ich solle den vielen Anne-Rice-Lesern und Voodoo-Fans einen Gefallen tun und ein bisschen Southern-Gothic-Flair im Laden zulassen, ließ ich ihm in dieser Hinsicht weitgehend freie Hand.
Eigentlich war in New Orleans an Gesellschaftsschichten so ziemlich alles vertreten, weshalb ich das alles ein bisschen entspannter sehen konnte. Bei Voodoopuppen hörte für mich der Spaß allerdings auf. Und so verteilte Allyn stattdessen im ganzen Laden kleine weiße Totenköpfe aus Porzellan, die tatsächlich auch immer wieder mal als unkonventionelles Geschenk gekauft wurden.
Der Tag verlief wie jeder andere auch. Unter der Woche schauten zumeist Einheimische herein. Die Wochenenden dagegen gehörten den Touristen. Ein paar Stammkundinnen hatten mich zur Umgestaltung ihrer Häuser angeheuert, und eine davon kam vorbei, um mir Fotos von Anrichten zu zeigen, nach denen ich bei meiner nächsten Stöberaktion Ausschau halten sollte. Eine Kunststudentin brachte eine Auswahl gerahmter Fotografien vorbei, die ich ausstellen sollte. Allyn holte uns Sandwiches bei Guy's Po-Boys.
Kurz vor Ladenschluss zog sich Allyn in den hinteren Bereich des Ladens zurück und hörte den Anrufbeantworter ab. Nach einer Weile rief er mir zu:
»Ein Anwalt hat auf den AB gesprochen. Es geht um eine Mrs Van Buren. Du sollst bitte baldmöglichst zurückrufen.«
Es war schon über eine Woche her, dass ich zuletzt mit Mags gesprochen hatte. Normalerweise telefonierten wir jeden Sonntagnachmittag, doch das letzte Gespräch hatte ich wegen eines Wasserschadens in unserem Geschäft verpasst. Statt den neuesten Sweet-Bay-Tratsch zu hören, hatte ich mich den ganzen Tag mit Eimern, vollgesogenen Handtüchern und einem schlecht gelaunten Installateur herumgeschlagen. Bis ich wieder zu Hause war und geduscht hatte, war es für einen Anruf zu spät. Am nächsten Morgen hatte sie mir eine Nachricht auf meinem Handy hinterlassen, aber ich hatte sie noch nicht zurückgerufen.
Da ich gerade einen Kunden bediente, der es eilig zu haben schien, schüttelte ich den Kopf. »Dazu komme ich erst später, Allyn.«
»Alles klar, Boss.«
Während der Kunde im Laden herumging und über seinen Kauf nachdachte, kämpfte ich gegen den eigenartigen Drang an, in meinen Wagen zu springen und nach Sweet Bay zu Mags zu fahren. Natürlich konnte ich hier nicht einfach alles stehen und liegen lassen, dennoch hatte ich einen überraschend starken Wunsch, ihre Stimme zu hören.
Nachdem ich einen Esstisch von circa 1869 verkauft und geholfen hatte, ihn auf die Ladefläche eines Pick-ups zu verfrachten, machten wir den Laden dicht. Mein einziger Gedanke war, dass ich den Anwalt anrufen musste. Ob sich Mags mit jemandem aus dem Ort in die Haare gekriegt hatte? Bei der Vorstellung musste ich lächeln. Zuzutrauen wäre es ihr gewesen, aber hätte sie mir das nicht selbst erzählen wollen? Zumindest aber hätte mich Dot anrufen können, um mich ins Bild zu setzen. Warum sollte ein Rechtsanwalt wegen so etwas Belanglosem zum Hörer greifen?
Allyn und ich machten Kassensturz, rückten Möbelstücke zurecht und räumten für den nächsten Tag auf. Oft ging ich erst viel später, doch diesmal verließ ich mit ihm um sieben den Shop.
»Soll ich dich schnell heimfahren?«, fragte Allyn in der Einfahrt. »Ich habe einen zweiten Helm dabei.«
»Danke, aber ich denke, ich lasse mir für den Heimweg Zeit. Ich muss doch noch diesen Anwalt zurückrufen.«
»Stimmt. Worum geht's eigentlich?«
»Um Mags. Van Buren ist ihr Nachname.«
»Ah, Mags aus Sweet Bay, Alabama.« Allyn versuchte sich an einem übertriebenen Südstaatenakzent. »Ein beeindruckender Name für deine exzentrische kleine Grandma.« Einen Augenblick schwieg er. »Normalerweise rufen Anwälte nicht mit guten Nachrichten an, Boss.« Er setzte sich seinen Helm auf.
»Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen.«
»Hat sie irgendwas erwähnt, als du letzten Sonntag mit ihr telefoniert hast?«
»Da konnte ich nicht mit ihr telefonieren, weil ich mit Butch wegen dem undichten Dach im Shop zugange war, schon vergessen?« Ich kniff ihn in den Ellbogen, und er kniff zurück.?»Mir ist immer noch schleierhaft, warum du nicht öfter nach Sweet Bay fährst. Und wieso du sie nicht mal zu dir herholst? Ich mache einen mördermäßigen White Russian. Solche Cocktails mögen alte Leute doch?«
Ich lachte. »Keine Ahnung, ob sie White Russians mag. Und ich besuche sie ja. Ich hab dir doch von meinem letzten Weihnachtstrip erzählt, als Bert beinahe den Baum abgefackelt hätte, weil er ihn dekorieren wollte, während die Kerzen schon brannten. Mags musste mit dem Feuerlöscher anrücken. Das totale Chaos, wie üblich. Mit unseren sonntäglichen Telefonaten läuft's prima.«
»Für dich vielleicht schon. Aber ich wette, Mags würde dich gern öfter zu sehen bekommen. Wer würde das nicht?« Er tätschelte meine Wange und schwang ein Bein über den Sitz seiner Maschine. »Das ist ja schließlich keine...
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