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DOI 10.21706/mr-79-4-16
David Kuchenbuch
Zum Aufstieg der Rechtspopulisten in Dänemark und in Nordeuropa seit der Jahrtausendwende
Manchmal haben die großen Entwicklungen in der Politik überraschende Folgen im Kleinen. Seit sich Donald Trump als Neoimperialist geriert und für Grönland interessiert, haben sich die Handlungsspielräume der autonomen Region Dänemarks gegenüber der Regierung in Kopenhagen erheblich erweitert. Das lässt sich daran erkennen, dass diese im Januar 2025 vorauseilend angekündigt hat, die sogenannten Elternschaftstests abzuschaffen, in deren Konsequenz Grönländerinnen disproportional oft das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wurde - 2024, als dies aufgedeckt wurde, war davon noch keine Rede. Dabei reiht sich der Skandal ein in eine Kette von Enthüllungen der grausamen »Danifizierungs«-Politik in Grönland seit 1945. Erst 2022 war herausgekommen, dass dänische Ärzte Inuit-Frauen und -Mädchen in den 1960er und 1970er Jahren massenhaft und ohne deren Zustimmung Spiralen eingesetzt hatten. Dass diese Zwangsverhütungsmaßnahme auf eine lange eugenische Tradition in Nordeuropa zurückgeht, dürfte hierzulande ähnlich unbekannt sein wie das schlichte Faktum, dass das kleine Nachbarland Deutschlands quasi eine Kolonialmacht ist, was so gar nicht zum Klischee vom progressiven und liberalen Skandinavien passen will.1
Es ist etwas faul im Staate Dänemark, und zwar nicht nur außerhalb seines europäischen Kernterritoriums. Gerade die dänische »Ausländerdebatte«, wie sie dort bis heute bezeichnet wird, ist vergiftet. So profilieren sich die seit 2019 regierenden Socialdemokraterne unter Mette Frederiksen erfolgreich mit einer Hardliner-Haltung, die kaum anders denn als rassistisch zu bezeichnen ist.2 Das geht so weit, dass die Regierung das von ihr zunächst bekämpfte Konzept ihrer Vorgängerregierung weiterführt, in nicht weniger als achtundzwanzig urbanen Räumen, die vor allem aufgrund eines hohen Anteils »nichtwestlicher« (lies: muslimischer) Migrantinnen als »Ghettos« kategorisiert sind, das Strafmaß für bestimmte Delikte zu verdoppeln. Hinzu kommen Instrumente der Zwangsumsiedlung zur Verhinderung von »Parallelgesellschaften«. Dänemark hat eines der härtesten Asylregime Europas, weswegen es immer wieder mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aneinandergerät. Bereits seit 2016, dem Jahr der europäischen Flüchtlingskrise, gibt es permanente Kontrollen an der Grenze zu Schleswig-Holstein. All das ist umso bemerkenswerter, als Dänemark noch 1983 eines der großzügigsten Asylrechte der Welt hatte. Das Land war, wie die anderen skandinavischen Staaten auch, überhaupt durch ein Engagement für den globalen Süden und in internationalen Organisationen aufgefallen, das das Image der Ländergruppe als moral superpowers begründete.
Die dänische Kehrtwende wird in der Regel darauf zurückgeführt, dass die rechtpopulistische Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti, DF) unter der geschickt agierenden Pia Kjærsgaard die von ihr seit 2001 geduldete Minderheitsregierung der wirtschaftsliberalen Venstre vor sich hertrieb, vor allem mit ihrer radikalen Ablehnung des »Multikulturalismus«. Sofern ihre Analysen nicht bis zur dänischen Romantik mit ihrer spezifischen Kopplung von Volksbildung und Nationalismus zurückgehen, erklären Politikwissenschaftler diesen Erfolg der Rechtspopulisten seinerseits mit einer Mischung aus systemischen Voraussetzungen - etwa der Zwei-Prozent-Hürde, dem Verhältniswahlrecht und einer Tradition von politischen Duldungskonstruktionen - und sozioökonomischen Prozessen mittlerer Dauer.3
Es sind die 1970er Jahre, in denen man heute den Anfang vom Ende des »Age of Social Democracy« (Francis Sejersted) in Dänemark erkennt. Selten fehlt der Hinweis auf die Erdrutschwahl zum Folketing 1973, bei der die Sozialdemokraten empfindliche Verluste an bürgerliche Parteien hinnehmen mussten, auch an die Vorgängerin der DF, die von dem Anwalt Mogens Glistrup gegründete Fortschrittspartei (Fremskridtspartiet), die erfolgreich die Wut über die steigende Steuerlast kanalisierte. Das war verkoppelt mit Kritik am hypertrophen Sozialstaat in Zeiten der Ölpreiskrisen, die den Boom der dänischen Industrie beendeten. Diese hatte verstärkt ab 1967 ausländische Arbeitskräfte, etwa aus der Türkei, angeworben. Als die Wirtschaft in die Rezession ging und sich eine Sockelarbeitslosigkeit herausbildete, verloren ebenjene migrantischen Gruppen, denen schon zuvor Lohndumping vorgeworfen worden war, als Erste ihre Jobs. Wie die westdeutsche beschloss die dänische Regierung 1973 einen Anwerbestopp. Dennoch wuchs die Zahl der »Neu-Dänen« (nydansker) durch Familiennachzug weiter, ohne dass dem aktive Integrationsangebote gefolgt wären.
Parallel wuchs die Kritik an der vermeintlichen Abgehobenheit der sozialdemokratischen Elite. Sie vor allem identifizierte man mit einer Reihe umstrittener Liberalisierungen im Windschatten von Achtundsechzig, etwa der Aufhebung des Pornografieverbots 1968 (dessen Entsprechung in der Bundesrepublik ein Jahr später der NPD Mitglieder zulaufen ließ) oder der Duldung der anarchistischen »Freistadt Christiana« in Kopenhagen ab 1971 (die den Kern der Verklärung Dänemarks im westdeutschen Alternativen Milieu bildete).4 Dabei wurden beide Vorgänge insbesondere im ländlichen Milieu Jütlands argwöhnisch verfolgt. Bis heute stoßen rechtspopulistische Positionen auch in Dänemark besonders im ländlichen Raum auf Zustimmung, und hier überproportional bei älteren, männlichen, ehemaligen Stammwählern der Sozialdemokraten, darunter vielen Facharbeitern.
Allerdings legen sowohl der europäische als auch der innerskandinavische Vergleich von Entwicklungen nach Ende des Nachkriegsbooms nahe, dass sozioökonomische Erklärungen für den rasanten Aufstieg eines xenophoben Populismus um das Jahr 2000 zugleich zu weit (zurück) und zu kurz (mit Blick auf die diskursive Gemengelange) greifen. So gab es in Dänemark auch eine ausgeprägte linksnationalistische, antikapitalistische kulturelle Strömung, die sich im Vorfeld der Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Oktober 1972 konsolidierte und die latente Angst vor den autoritären und übermächtigen Deutschen (tyskerfrygt) schürte - wodurch die Grenze zu einer generellen Fremdenfeindlichkeit ins Fließen kam.
Vor allem aber verzeichnete Dänemark um die Jahrtausendwende eine Neuinterpretation seiner Nationalgeschichte von rechts. Sie vollzog sich in Form der Konstruktion einer Bedrohung, die zugleich von der globalen kulturellen Homogenisierung, vom Islam und einem als »undänisch« gebrandmarkten Werterelativismus des linksliberalen Kultursektors auszugehen schien. Es ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, dass gerade bürgerliche Parteien in Dänemark also zu einem Zeitpunkt, da sie die Liberalisierung der dänischen Wirtschaft mit standortpolitischen Argumenten förderten, kulturpolitisch identitäre Verhärtungen forcierten. Das lässt sich vor allem an zwei Beispielen zeigen: der Debatte um einen nationalen Kulturkanon ab 2004 und - hierzulande bekannter - der Mohammed-Karikaturenkrise, die im darauffolgenden Jahr begann.
Ähnlich wie in Deutschland war in Dänemark Ende der neunziger Jahre eine Globalisierungsrhetorik allgegenwärtig, die einherging mit der Forderung nach einer Verschlankung des Staats in Zeiten verschärften internationalen Wettbewerbs und Rufen nach einer fordernden, »aktivierenden« Sozialpolitik, vor allem gegenüber Migranten. Dann brachten 9/11 sowie der Afghanistan- und Irakkrieg - beides Auseinandersetzungen, an denen sich ...
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