Schweitzer Fachinformationen
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Sätze: Eine Einleitung
Mein Vater war seit fast einem Jahr krank. Man hatte ihm bereits einen Lungenflügel entfernt. Aber nach einem Aufenthalt zu Hause - den er überwiegend damit verbrachte, sich im Bett klassische Musik auf WBAI-FM anzuhören (Penderecki, Kodálys Sonate für Cello solo), die ihm durch die Bank neu war und ihm große Freude machte, und im Morgenmantel und Pyjama an einigen geometrischen Gemälden von ausgestorbenen Stadtlandschaften zu arbeiten (er hatte immer malen wollen) - wurde er langsam schwächer. Bald schon hatte er starke Schmerzen. Gegen Ende September riefen wir einen Krankenwagen, der ihn ins Krankenhaus bringen sollte. Aber die Rettungsassistenten, die ihn im Flur in seinem dunklen Morgenmantel und dem bleichen Pyjama auf ihre Trage schnallten, waren zu grob. Sie rissen heftig an den Riemen über den dünnen Beinen, die er inzwischen kaum noch ausstrecken konnte, und nachdem er sie zweimal gebeten hatte, die Riemen zu lockern, begann er zu schreien: »Aufhören! Sie tun mir weh! Aufhören!« Meine Mutter stand mit zusammengepressten Lippen daneben, vollkommen reglos und zu gleichen Teilen nervös, beschämt und besorgt.
Mein Vater herrschte die beiden jungen Männer in den weißen Kitteln - der eine war schwarz, der andere weiß - an: »Raus!«
Eine Stunde später halfen mein erwachsener Cousin (den ich Brother nannte) und ich ihm über den Flur in den Fahrstuhl und nach draußen ins Auto. Dann fuhren wir ihn rüber ins Krankenhaus. Bei jedem Schlagloch auf den holprigen Harlemer Straßen keuchte oder stöhnte er auf. Furcht und Erschöpfung hatten ihre Spuren hinterlassen. Er musste vor Schmerz weinen, als er sich in seinem schlecht sitzenden weißen Kittel für die Röntgenuntersuchung auf den kalten, schwarzen Tisch legen sollte. Ich hielt ihm die Hand. (»Ich falle bestimmt runter. Ich falle ...! Halt mich fest. Ich falle.« »Nein, Dad, tust du nicht. Ich hab dich schon. Du bist in Sicherheit.« »Ich falle ...!« Tränen strömten ihm über die knochigen Wangen. »Es ist so kalt.«) Als ich mit ihm in seinem Zimmer saß, hatte er Schwierigkeiten, in die Emaille-Bettpfanne zu urinieren, und er flüsterte leise wie fließendes Wasser, um sein eigenes Wasser zum Fließen zu bringen.
Den größten Teil meines Lebens hätte ich Ihnen, wenn die Sprache darauf kam, einfach gesagt: »Mein Vater starb 1958 an Lungenkrebs, als ich siebzehn war.«
Hinter diesem Satz verbirgt sich auch die Erinnerung an eine Unterhaltung mit meiner älteren Cousine Barbara, die bei uns zu Besuch war. Sie war Ärztin. Ich sagte: »Ich denke mal, es wird wohl ganz schön lange dauern, bis er wieder gesund ist.«
Vorsichtig stellte Barbara die Teetasse auf die Glasplatte des Rattantisches. »Er wird nicht wieder gesund«, sagte sie. Und dann fügte sie sehr behutsam hinzu: »Er wird sterben.«
Das war natürlich die Wahrheit, und natürlich wusste ich das auch.
Es war außerdem das Gütigste, was sie hätte sagen können.
»Wie lange noch?«, fragte ich.
»Das kann man nicht mit Sicherheit sagen«, antwortete sie. »Zwei bis drei Wochen. Zwei bis drei Monate.«
Später ging ich nach unten, um Mr. Jackson einen Besuch abzustatten.
»Ist Jesse da?«, fragte ich seine Frau.
»Klar.« Ann war eine kleine Frau mit Brille und peinlich genau frisiertem Haar. »Er ist hinten.« Sie trat beiseite. »Geh einfach durch.«
Jesse saß in dem Zimmer, das ihm als Büro diente, umgeben von Bücherregalen, die vom Boden bis zur Decke reichten. Gerahmte Illustrationen aus seinen Jugendbüchern über schwarze Kinder im Mittleren Westen sahen auf uns herab, während ich berichtete, was Barbara gesagt hatte. Seine Haut hatte die Farbe von Teakholz. Sein Haar war kurz und grau. Irgendwie hatte er es geschafft, meinem Vater und mir gleich nahe zu sein, eine außergewöhnliche Leistung, hatten Dad und ich doch oft genug im Clinch gelegen.
»Ja.« Jesse legte die Pfeife behutsam auf den Tisch, ein Echo von Barbara mit ihrer Tasse. »Das stimmt wahrscheinlich.«
Er gestattete es mir, geschlagene zwanzig Minuten einfach dazusitzen, ohne noch irgendetwas zu sagen, während er in seinem Büro herumwirtschaftete, bevor ich wieder nach oben in unsere Wohnung ging.
Eine schwere Handvoll Tage danach, früh an einem Oktobernachmittag, erreichte uns der Anruf aus dem Krankenhaus. In dem abgedunkelten Krankenhauszimmer lächelte ich und sagte: »Wie fühlst du dich ...?«, während meine jüngere Schwester die Hand in die vom Deckenlicht glänzende Plastikplane des Sauerstoffzelts steckte, um die lange Hand meines Vaters mit ihren leicht knotigen Fingern zu drücken. Sein Gesicht war schlaff und unrasiert. »Ja«, sagte er heiser. »ich fühle mich ein bisschen besser ...« Sobald ich meiner Schwester auf den Flur gefolgt war, entglitten ihr nach und nach die Gesichtszüge. Beim Weinen bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen, während ein paar von meinen Tanten auf dem Korridor standen und sich leise über eine freundliche, weiße Krankenschwester aus Texas unterhielten.
Meine Schwester und ich fuhren gemeinsam, jeder für sich allein, im Bus nach Hause.
Irgendwann gegen fünf, ich kam gerade aus dem Wohnzimmer und meine Schwester aus ihrem Zimmer weiter hinten, wurde der Schlüssel in der Wohnungstür gedreht. Die Tür schwang nach Innen auf, und meine Mutter und meine Tanten platzten herein. Sie waren fassungslos: »Es ist vorbei! Es ist alles vorbei - der arme Junge - er hat uns verlassen! Oh, der arme Junge!«
(Das war eine der älteren Schwestern meines Vaters, Tante Bessie. Während die Neuigkeit durch das Schluchzen der Frauen zu mir durchdrang - all das spielte sich in weiter Ferne ab -, fragte ich mich, warum wir uns unter Belastung in sprachliche Gemeinplätze flüchteten?)
»Jetzt hat er ausgelitten! Es ist vorbei!« Die Stimme meiner Tante Virginia hätte auch einem Verkehrspolizisten gehören können, der die Straße räumte, während sie meine Mutter hereinführte, den Arm um ihre Schulter gelegt. »Er ist jetzt von seinem Leid erlöst.«
Die vier Schwestern meines Vaters, Bessie, Sadie, Laura und Julia, waren, ebenso wie meine Mutter, in Tränen aufgelöst. (Nur Virginia, die Schwester meiner Mutter, weinte nicht.) Alle sechs Frauen trugen, wie mir jetzt auffiel, bereits schwarz.
An jenem Abend machte ich trotz der Proteste meiner Mutter einen Spaziergang zum Riverside Park. Abgestorbenes Laub bedeckte wie Zement den Gehweg um Grants Mausoleum. Aus irgendeinem Grund setzte ich mich auf eine Bank neben dem Grabmal und zog mir Schuhe und Socken aus, um dann, das Notizbuch unter dem Arm, barfuß über den frostigen Beton unter den Gaslaternen zu gehen. Ich hatte versucht, eine Elegie zu schreiben. Sie begann mit den Worten: »Sie sagten mir, du fühltest keine Schmerzen ...«, weil das aus irgendeinem Grund genau das war, was die Leute seit einer Woche ständig zu mir sagten, obwohl er bei jeder kleinsten Bewegung keuchen, grunzen oder mit den Zähnen knirschen musste.
Tage später saß ich mit Anzug und Krawatte neben meiner Mutter auf einem Klappstuhl in der ersten Reihe der Kapelle, in der die Trauerfeier stattfand, und sah zu, wie Brother (derselbe Cousin, der uns ins Krankenhaus gefahren hatte und der jetzt bereits seit einem Jahr das Bestattungsunternehmen meines Vaters führte, weil Dad zu krank gewesen war, um zu arbeiten) am Ende des Gottesdienstes nach vorne zum Sarg ging, der rechts und links von Blumen eingerahmt war, die Hand der Leiche in seine nahm und mit einem scharfen Ruck den Ring meines Vaters entfernte. Dann griff er nach oben und klappte den dunklen, glänzenden Holzdeckel zu. Augenblicke später, vor dem Bestattungsinstitut auf der Seventh Avenue, inmitten der sich versammelnden Verwandten und Freunde, überreichte er mir den Ring, und ich schob ihn in die Innentasche meines Jacketts, bevor ich in die graue, heimelige Weichheit des Leichenwagens stieg, um die Fahrt zum Friedhof anzutreten.
An einem Nachmittag vor zehn Jahren, im Jahre 1978, ich saß gerade vor der Schreibmaschine im Büro, während der Lastverkehr der Amsterdam Avenue fünf Stockwerke unter mir dahindonnerte, öffnete ich einen Brief von der Englischfakultät einer staatlichen Universität in Pennsylvania. Zwei Forscher arbeiteten an einer umfassenden Bibliografie meiner damals sechzehn Jahre umfassenden Karriere als Schriftsteller, die sie mit einem biografischen Essay von fünfzig, sechzig Seiten einleiten wollten.1
Alle Autobiografien und Biografien hadern mit Fragen der Ehrlichkeit, Genauigkeit und des Taktgefühls. Diese Fragen sind so derart weit gefächert und allgemein, dass die spezifische Weise, in der sie sich jeweils stellen, dadurch fast verdeckt wird. Die Wenigsten von uns werden jemals Gegenstand einer Biografie - und die Allerwenigsten zu ihren Lebzeiten. Niemand wird als biografisches Subjekt geboren, mit Ausnahme vielleicht des einen oder anderen Thronerben. Mir ist auch noch nie ein Buch untergekommen, das verrät, wie man sich für diese Rolle empfiehlt. Aber wie alles andere auch ist die Tatsache, dass das eigene Leben erforscht und beschrieben wird, Teil dieses Lebens, es ist eine sehr besondere Erfahrung.
»Mein Vater starb 1958 an Lungenkrebs, als ich siebzehn Jahre alt war.« Einen solchen Satz stellt man höchstwahrscheinlich nicht infrage, wenn er von einem Erwachsenen ein Dutzend oder zwanzig Jahre später während einer Unterhaltung geäußert wird.
Und als ich für meine Biografen in Pennsylvania eine Chronologie meines Lebens erstellte, die mit meiner Geburt - am ersten April 1942 -...
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