Schweitzer Fachinformationen
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Es ist eine Hafenstadt.
Hier rostet der Himmel, dachte der General. Industrieabgase ließen den Abend erglühen: orange-, lachs- und purpurfarben, mit zu viel Rot darin. Im Westen wurden die Wolken von aufsteigenden und herabsinkenden Fähren zerstoben, die mit ihrer Fracht zwischen Stellarzentren und Trabanten pendelten. Und eine verdammt arme Stadt ist es, dachte der General und bog auf dem von Abfall übersäten Gehsteig um die Ecke.
Seit der Invasion hatten sechs ruinöse Embargos dieser Stadt, deren Herz der interstellare Handel war, monatelang die Luft abgedrückt. Wie sollte diese Stadt, abgeschnitten von der Außenwelt, fortbestehen? Sechsmal hatte er sich diese Frage innerhalb von zwanzig Jahren bereits gestellt. Und die Antwort? Es war unmöglich.
Panik, Unruhen, Brände, in zwei Fällen Kannibalismus .
Der Blick des Generals glitt vom Schattenriss der Ladetürme, die hinter der klapprigen Magnetbahn aufragten, zu den heruntergekommenen Gebäuden. Die Straßen wurden schmaler, und hier drängten sich Transportarbeiter, Schauerleute und ein paar Sternenfahrer in grünen Uniformen neben der Masse blasser, anständiger Männer und Frauen, die sich um das vertrackte Gewebe der Zollverwaltung kümmerten. Jetzt sind sie still, wollen nur nach Hause oder zur Arbeit, dachte der General. Und doch haben all diese Menschen zwei Jahrzehnte lang im Schatten der Invasion gelebt. Während der Embargos haben sie gehungert, haben Fenster eingeschlagen, Geschäfte geplündert, sind schreiend vor Wasserwerfern davongelaufen und haben mit verkümmerten Zähnen Fleisch aus dem Arm einer Leiche gerissen.
Wer ist dieses Tier namens Mensch? Er stellte sich diese abstrakte Frage, um seine Erinnerungen zu verwischen. Für einen General war es leichter, über das »Tier namens Mensch« nachzudenken, als über die Frau, die während des letzten Embargos mitten auf dem Gehsteig gesessen und ihr knochendürres Kind an einem Bein festgehalten hatte, oder über die drei ausgemergelten Teenagermädchen, die ihn auf offener Straße mit Rasierklingen angegriffen hatten (- mit zusammengebissenen braunen Zähnen hatte sie ihn angezischt, während das Stahlblättchen gleißend auf seine Brust herabgefahren war: »Komm her, du Hackfleisch! Los, komm doch, du Aufschnitt .« Er hatte Karate angewandt -), oder über den Blinden, der kreischend die Straße entlanggelaufen war.
Jetzt waren sie blasse und anständige Männer und Frauen, die leise sprachen und immer einen Moment zögerten, bevor sie sich auf einen Gesichtsausdruck festlegten, mit blassen, anständigen, patriotischen Vorstellungen: dass man für den Sieg über die Invasoren hart arbeiten musste; dass Alona Star und Kip Rhyak in »Ferien unter den Sternen« großartig waren, Ronald Quar aber der beste ernsthafte Schauspieler überhaupt. Sie hörten die Musik von Hi Lite (aber hörten sie wirklich hin?, fragte sich der General angesichts dieser langsamen Tänze, bei denen sich keiner berührte). Eine Stelle beim Zoll war ein guter, sicherer Job.
Die Arbeit im eigentlichen Transportwesen war, jedenfalls in einem Film, bestimmt aufregender und lustiger; aber mal ehrlich, diese merkwürdigen Leute .
Die Intelligenteren und Kultivierteren unterhielten sich über die Gedichte von Rydra Wong.
Oft sprachen sie auch über die Invasion, wobei sie um die hundert Wendungen benutzten, die nach zwanzigjähriger Wiederholung in den Nachrichten und Zeitungen fast schon sakrosankt geworden waren. Die Embargos erwähnten sie eher selten, und wenn, dann nur mit diesem einen Wort.
Pick dir einen von ihnen heraus, einen oder eine Million. Wer sind sie? Was wollen sie? Was würden sie sagen, wenn man ihnen die Gelegenheit gäbe, alles zu sagen?
Rydra Wong ist zur Stimme dieses Zeitalters geworden. Der General erinnerte sich an diese schön klingende Phrase aus einer überschwänglichen Rezension. Wie widersinnig: Er, ein hoher Militär mit einem militärischen Ziel, würde sich gleich mit Rydra Wong treffen.
Die Straßenlaternen gingen an, und sein durchscheinendes Bild erschien mit einem Mal auf der Fensterscheibe der Bar. Richtig, ich trage heute Abend gar nicht meine Uniform. Er sah einen hochgewachsenen, muskulösen Mann, aus dessen zerfurchten Gesichtszügen die Autorität eines halben Jahrhunderts sprach. In dem grauen Zivilanzug fühlte er sich unwohl. Bis er dreißig geworden war, hatte er bei den Leuten stets den Eindruck hinterlassen, »groß und tapsig« zu sein. Später - diese Veränderung hatte sich gleichzeitig mit der Invasion vollzogen - wurde daraus »kräftig und gebieterisch«.
Wäre Rydra Wong zu ihm ins Verwaltungshauptquartier der Allianz gekommen, dann hätte er sich sicher gefühlt. Stattdessen trug er nun Zivilkleidung, und nicht das Grün eines Sternenfahrers. Die Bar war für ihn neu. Und Rydra war die berühmteste Dichterin in fünf erforschten Galaxien. Zum ersten Mal seit langer Zeit kam er sich wieder tapsig vor.
Er ging hinein.
Und flüsterte: »Mein Gott, ist sie schön«, ohne sie zwischen den anderen Frauen auch nur suchen zu müssen. »Ich wusste nicht, dass sie so schön ist, nicht von den Bildern .«
Sie drehte sich zu ihm um (während die Gestalt im Spiegel hinter der Theke ihn bemerkte und sich abwandte), erhob sich von ihrem Hocker, lächelte.
Er ging zu ihr, nahm ihre Hand, und die Worte Guten Abend, Miss Wong zitterten auf seiner Zunge, bis er sie unausgesprochen hinunterschluckte. Und jetzt würde sie gleich etwas sagen.
Sie trug kupferfarbenen Lippenstift, und ihre Pupillen sahen aus wie gehämmerte Kupferscheiben .
»Babel-17«, sagte sie. »Ich habe das Rätsel noch nicht gelöst, General Forester.«
Ein indigoblaues Strickkleid, und ihr Haar wie Wasser, das sich ihr bei Nacht über eine Schulter ergießt; er sagte: »Das überrascht uns nicht weiter, Miss Wong.«
Überraschung, dachte er. Sie legt eine Hand auf die Theke, sie lehnt sich auf dem Hocker zurück, ihre Hüften bewegen sich unter dem gestrickten Blau, und bei jeder Bewegung bin ich erstaunt, überrascht, verunsichert. Hat sie mich derart auf dem falschen Fuß erwischt, oder ist sie wirklich so .
»Aber ich bin weiter gekommen als ihre Leute beim Abschirmdienst.« Auf den sanften Schwung ihrer Lippen legte sich ein noch sanfteres Lachen.
»Nach den Erwartungen, die in mir geweckt wurden, Miss Wong, überrascht mich auch das nicht.« Wer ist sie?, dachte er. Er hatte diese Frage der abstrakten Bevölkerung gestellt. Er hatte sie seinem eigenen Spiegelbild gestellt. Jetzt stellte er sie ihr und dachte dabei: Niemand sonst ist von Bedeutung, aber über sie muss ich alles wissen. Das ist wichtig. Ich muss es wissen.
»Zuerst einmal, General«, sagte sie, »ist Babel-17 kein Code.«
Seine Gedanken schlitterten zurück zum eigentlichen Thema und verharrten am Rande des Abgrunds. »Kein Code? Aber ich dachte, die kryptografische Abteilung hätte zumindest festgestellt .« Er verstummte, weil er sich nicht sicher war, was die kryptografische Abteilung festgestellt hatte, und weil er noch einen Moment brauchte, um von den Klippen ihrer hohen Wangenknochen herabzusteigen, sich aus den Höhlen ihrer Augen zurückzuziehen. Er spannte seine Gesichtsmuskeln an und zwang sich, an Babel-17 zu denken. Die Invasion: Babel-17 mochte ein Schlüssel sein, um die Heimsuchungen der letzten zwanzig Jahre zu beenden. »Wollen Sie damit sagen, dass wir die ganze Zeit versucht haben, einen Haufen Unsinn zu entschlüsseln?«
»Es ist kein Code«, wiederholte sie. »Es ist eine Sprache.«
Der General runzelte die Stirn. »Tja, Sie können es nennen, wie Sie wollen, einen Code oder eine Sprache, wir müssen trotzdem herausfinden, was es bedeutet. Solange wir das nicht verstehen, sind wir verdammt weit weg von dem Punkt, an dem wir sein sollten.« Die Erschöpfung und der Druck der letzten Monate hatten sich in seinem Bauch eingenistet, ein Tier, das in seinem Rachen lauerte und seine Worte schroff klingen ließ.
Ihr Lächeln war verschwunden, und sie hatte beide Hände auf die Theke gelegt. Er hätte die Schroffheit gerne zurückgenommen. Sie sagte: »Sie stehen nicht unmittelbar in Verbindung mit der kryptografischen Abteilung.« Mit ruhiger, beruhigender Stimme.
Er schüttelte den Kopf.
»Dann will ich Ihnen Folgendes sagen. Im Grunde genommen, General Forester, gibt es zwei Arten von Codes - Chiffren und echte Codes. Bei der ersten werden Buchstaben, oder Symbole, die für Buchstaben stehen, gemäß einem Muster gemischt und durcheinandergeworfen. Bei der zweiten werden Buchstaben, Worte oder Wortgruppen durch andere Buchstaben, Symbole oder Worte ersetzt. Ein Code kann das eine oder das andere sein, oder eine Kombination davon. Aber beide haben eines gemeinsam: Wenn man erst einmal den Schlüssel gefunden hat, muss man ihn nur anwenden, um folgerichtige Sätze zu erhalten. Eine Sprache hingegen hat ihre eigene innere Logik, ihre eigene Grammatik, ihren eigenen Modus, Gedanken mit Worten in Zusammenhang zu bringen, die verschiedene Bedeutungsspektren abdecken. Es gibt keinen Schlüssel, der sich anwenden lässt, um die genaue Bedeutung von etwas zu erschließen. So gelangt man bestenfalls zu einer Annäherung.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sich hinter dem Code von Babel-17 irgendeine andere Sprache verbirgt?«
»Ganz und gar nicht. Das ist das Erste, was ich überprüft habe. Wir können in Bezug auf mehrere Elemente Wahrscheinlichkeiten überprüfen und feststellen, ob sie mit anderen Sprachmustern übereinstimmen, selbst wenn diese Elemente unsortiert sind. Nein....
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