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Die marxistische Philosophie ist voller denk- und merkwürdiger Sätze, die letztendlich jede Auflehnung gegen Entmächtigung von Individuen unterstützen. Zu Unrecht wird dem Marxismus prinzipielle Vernachlässigung von Subjektivität und eine »Übermächtigung« der Ökonomie nachgesagt.
Einer dieser merkwürdigen Sätze stammt von Marx, nämlich dass alle bisherige Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen sei. Nun ist Geschichte natürlich auch aus Einzelgeschichten zusammengesetzt, sonst wäre Geschichte kein umfassender Begriff. Aber wo haben sich in den letzten 200 Jahren Kapitalisten und Arbeiterklasse wirklich geschlagen? Wie oft im deutschen Feudalismus die Leibeigenen mit ihren Eignern? Wie viele Sklavenaufstände gab es im alten Rom? Weil derer wenig aufzuzählen wären, kann Marx, der dies natürlich gewusst hatte, also nur einen anderen, tiefgehenderen Begriff von Klassenkampf gehabt haben, um ihm die hohe Rolle der Geschichtsgestaltung zuzuweisen, den Kampf nämlich um das tagtäglich Erwirtschaftete. Die Art, wie die Menschen das zu ihrem Leben Notwendige erkämpfen und erarbeiten, prägt dann auch ihren Charakter, sodass Geschichte nicht nur aus den Ausbeutungsverhältnissen besteht, sondern auch aus den Lebensgeschichten von Ausbeutern und Ausgebeuteten.
Der zweite merkwürdige Satz stammt von Engels aus der »Deutschen Ideologie«. Die Gedanken der herrschenden Klasse seien »in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.«6 Das ist entweder nur eine rein empirische Beobachtung (die viel mehr als der zitierte Satz von Marx an Evidenz überprüfbar ist) oder es wäre ein angenommener Automatismus. Der Marxist E. A. Rauter hat mal ein Buch getitelt: »Wie eine Meinung in einem Kopf entsteht - Über das Herstellen von Untertanen«. Hier wird eine große weiße Fläche im Marxismus angedeutet: wie Objektives nämlich subjektiv wird. Diese Denkblockaden aufbrechende Philosophie hat andernorts so viel Bahnbrechendes über den Umgang mit bisherigen Philosophien, über politische Ökonomie und die Geschichte zu Tage gefördert. Aber wie herrschende Ideologie von oben in die Hirne der Beherrschten träufelt, obwohl deren Interessen sich widersprechen, ist psychologisch leichter benannt, als begriffen.
Die bisherige Psychologie - nimmt man eine kurze Phase der sowjetischen Psychologie und die Zeit zwischen den Siebzigern und Neunzigern in den USA (Oliver Sacks), Frankreich (Lucien Sève), Deutschland (Klaus Holzkamp) aus -, beschäftigt sich aber vorzugsweise mit Erkrankungen der Seele, mit sozialem und asozialem Verhalten, also mit »Abweichungen«. Dabei blendet sie weitestgehend die Geschichte und die Klassenkämpfe aus. Was sich wissenschaftlich zu einem strategischen Dilemma verengte.
Die Klassiker Marx, Engels, Lenin, Gramsci und einige andere hatten dazu zwar Einzelhinweise und ein riesiges Instrumentarium erarbeitet und für uns bereitgelegt, um auch diese »Fragen aller Fragen« zu lösen, aber sie nicht selbst gelöst. Wer sich heute damit befasst, wird auch Abstand zu der Annahme gewinnen, der Sozialismus, also die Herrschaft der Neunhundertneunundneunzig über den Tausendsten, die demokratische »Diktatur des Proletariats« sei bereits schon von sich aus moralisch gut und eine ethisch abgeschlossene Dimension. Die Herrschaft der Arbeiterklasse und die Organe ihrer organisatorischen Verdichtung, die sozialistischen und kommunistischen Parteien, können hässliche Fratzen und Ungeheuer hinterlassen, die dennoch »sozialistisch« genannt bleiben. Selbst die Stalin'sche KP hat wunderbare Dinge produziert und gleichzeitig monströsen Terror. Die chinesische KP hat Hunderte von Millionen Menschen mit gigantischen Anstrengungen vor dem Hungertod gerettet, die die Menschheitsgeschichte so noch nie gesehen hat. Aber der Grundgedanke der Gewaltenteilung, der Unschuldsvermutung, des »Code Napoleon«, also das Grundkonstrukt der französischen Revolution gegen die absolutistische Terrorherrschaft der Könige sind diesen KPs in vielen Bereichen oft fremd geblieben. Ein Zusammendenken von französischer und Oktoberrevolution wäre hegemonieträchtiger - zumindest im Westen. Wer als Sozialistin mit Sozialisten in anderen Ländern (mit geringerer Hegemonie und Klassenbasis) solidarisch ist, muss sich also längst nicht mit jedem einzelnen Schritt der dortigen, regierenden, antiimperialistischen Kräfte identifizieren.
Indem die historische Weiche wirtschaftsdemokratisch gestellt ist, muss der Zug noch längst nicht in die demokratische Richtung und im humanen Tempo fahren. Um auf diese Defizite zwischen den Einzelgeschichten und der großen Geschichte - vor allen Dingen in den Klassenkämpfen - zu sprechen zu kommen, habe ich den nachfolgenden Aufsatz geschrieben. Er ist dem Einzelnen und dem Ganzen ebenso gewidmet, wie den unterdrückten Biografien in der widersprüchlichen Geschichte der Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung.
Leider haben Wenige von denen, die grölend auf Schlachtfelder zogen, das dort für sie absehbar bedauerliche Ende vorhergesehen. Ihre Ideologie, oft auch »notwendig falsches Bewusstsein«, verstellte ihnen die überlebensnotwendige Weitsicht. Viele liefen für Religionen und Kirchen Priestern hinterher, die sie in Knechtschaft und Hungertod führten. Viele erkennen noch heute nicht, dass es nur ihre eigene Arbeitskraft ist, die ein paar Milliardäre, Konzerne und Großbanken so superreich und übermächtig macht, dass diese mit einem Fingerschnipp ein paar hunderttausend Menschen erschießen, verhungern, verdursten oder krank machen lassen können. Aber es sind nicht nur einfache falsche Vorstellungen, welche lebenserhaltende, also gute egoistische Gegenwehr gegen diese mächtigen »Menschenschinder« (Heinz Rudolf Kunze) behindern. Es gibt immer auch untertänige Ängste, schillernde Illusionen und Ausflüchte, um die Wirklichkeit nicht zu sehen. Und aus Ausflüchten brauen sich Süchte zusammen. Aber so, wie eine (Aus)Flucht immer mit dem Ort ihrer Herkunft und einer Ahnung des »Wohin« korrespondiert, hat auch das Unlogische seine Logik, selbst der Superlativ des Unlogischen: die Sucht.
In der Ärztezeitung vom 19. 2. 2016 nennt Kornelius Roth (Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bad Herrenalb) die Pornosucht »eine lebenslange Verwundung« - ohne das Wort »Verwundung« auch nur wenigstens zu umschreiben. Er warnt dort vor immer jünger werdenden Patienten, die gleichermaßen von Hypersexualität und Pornosucht betroffen seien. Die Beziehung zwischen Hypersexualität und der Sucht nach Bildern (pornographische Vorstellungen) bleibt ebenso im Dunkeln wie die Herleitung der beiden Kategorien aus dem Handlungszusammenhang des »Patienten«.
Aber genau diese Verknüpfung aktiver, direkt ausgeübter Sexualität und pornographischer Abbildungen - in welcher (Über)Steigerung auch immer - sind der Kern der Fragestellung, wie - zumindest äußerlich - ein paar Kubikzentimeter Sperma Weltverwerfungen auslösen konnten. Und ist die Pornographie dabei wirklich nur aus dem tierischen Unterleib in den männlichen Kopf aufgestiegen?
Die Ärztezeitung vom 19. 2. 2016 suggeriert gar eine Messbarkeit von Pornosucht, ohne dabei allerdings den Genuss trivialer Pornographie abzugrenzen von künstlerisch entfalteter, etwa eines Gedichts von Brecht, welches er als »pornographisch« anempfohlen hatte. Auch differenzieren die »Messergebnisse« kaum zwischen pornographischen Vorstellungen bei der zweisamen oder einsamen Sexualausübung, zwischen der Lustvorstellungen bei »Light-« oder »Hard-«Pornos, bei Pornos, die als reine Ware zur Vermarktung produziert wurden und jenen, bei denen es im Gegensatz dazu um einen lustvollen Gebrauch geht.
Gleichzeitig fällt eine eklatante Tabuisierung hinsichtlich der Kausalbeziehungen zwischen Sex und Beruf, zwischen der Art pornographisch befriedigender Vorstellungen und den unbefriedigenden Situationen in sozialem Alltag und Arbeitsleben auf. Sicher, der Zusammenhang aus »Pornosucht« und beruflichem Tun klingt an, wenn Kornelius Roth beobachtet, dass zu den Pornosüchtigen besonders »Doktoranden zählten, die ständig vor dem Rechner sitzen. Sie haben Druck, weil sie ihre Arbeitsziele, also die Promotion etwa, nicht fertigbekommen.«
Wie aber ein besonderer beruflicher Druck zu besonderen Formen von Pornographie und der besonderen Art ihres Konsums führen könnte, ist ungeklärt. Eine marxistische Psychologie würde spontan vermuten, dass einer Entfremdung durch die Berufsausübung eine entsprechende Entfremdung in der Form des aktiven Pornogenusses, sowie in Nacht- und Tagträumen folgt. Hängen womöglich die Bilderarten in unseren erotischen Träumen mit den Arten unseres beruflichen Stresses zusammen? Roth schreibt aus seiner Therapiepraxis:
Andere in diesem Alter kommen, nachdem ihre Beziehung zerbrochen ist, weil der Pornokonsum gewissermaßen aufgeflogen ist. Eine dritte Gruppe der Digital Natives sind die einsamen, schüchternen Männer, die noch nie Sex hatten. Bei ihnen ist der Pornographie-Konsum ein Ersatz und verhindert zugleich, dass sie überhaupt Frauen und echte, lebendige Sexualität kennenlernen. Bei einer anderen Gruppe älterer Männer zwischen 50 und 60 ist die Sexualität in der Partnerschaft abhanden gekommen. Deshalb suchen sie das Verlorene im Internet. Wenn sie auch am Arbeitsplatz Pornos konsumieren, gefährden sie ihren Arbeitsplatz. Haben sie diesen deshalb verloren, stehen...
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