Schweitzer Fachinformationen
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Während eines Gastspiels in Vaduz fand ich eines Abends einen Zettel auf dem Garderobentisch. Darauf die Mitteilung, man erwarte mich nach der Aufführung in der Kassenhalle des Theaters. Keine Unterschrift. Ich beachtete den Zettel nicht weiter, wurde dann beim Abschminken aber doch neugierig. Also ging ich durch den leeren Saal ins Foyer und lugte durch eine halboffene Tür in den schon abgedunkelten Kassenraum. Ebenfalls gähnende Leere.
In einer dunklen Ecke nahe beim Ausgang jedoch entdeckte ich eine männliche Gestalt. Mir den Rücken zugewandt, reagierte sie nicht auf mein Räuspern und sah durch die Türfenster auf die Straße hinaus. Bewegungslos.
Nach einer ganzen Weile, in der ich ebenso stillschweigend dastand, wandte sich der Mann in einer raschen Bewegung zu mir um, mit einem solchen Schwung, dass er beinahe seine forciert aufrechte Haltung eingebüßt hätte. Er ging noch einen Schritt auf mich zu und starrte mich nun seinerseits an. Kein Wort fiel. Weder von ihm noch von mir. Keiner von uns beiden machte auch nur die geringsten Anstalten, sich dem anderen zu nähern. Woher kenne ich diese Augen?, fragte ich mich. Im Halbdunkel kamen sie mir unnatürlich hell vor. Es waren Augen von so zwingendem Ausdruck, dass ich mich ihnen nicht entziehen konnte.
«Wie sind Sie nur auf die Idee gekommen, den Jean so widerwärtig, so brutal und bösartig darzustellen?», sagte er plötzlich, und mit einem Schlag wusste ich, wen ich vor mir hatte. Diese unverwechselbare, männlich und immer noch jugendlich klingende Stimme, mit diesem leicht wienerischen Tonfall darin. Jeder einschlägige Theatergänger hätte ihn daran sofort erkannt. Ja, das konnte nur er sein. Er, den ich als mein Vorbild bezeichnet hätte - wäre ich unbescheidener gewesen.
«Das war wohl mehr der Einfall meines Spielleiters», entschuldigte ich mich leise. Wir hatten «Fräulein Julie» von August Strindberg gegeben.
«Kein Spielleiter ist es wert, dass man sich ihm so rückhaltlos in die Hand gibt. Nicht einmal Ingmar Bergman.»
Dann lud er mich in sein Haus ein. «Darf ich Sie auf einen kleinen Drink nach Triesen bitten, hinauf in meine Teixlburg? Es ist nicht sehr weit von hier. Mein Wagen steht gleich vor dem Theater im Parkverbot. Und keine Furcht, ich werde Sie nicht allzu spät ins Hotel zurückbringen. Wenn Sie erlauben?»
Ich nahm die Einladung an. Es war eine einmalige Gelegenheit, und der Abend ist mir unvergesslich geblieben.
«Übrigens, sprechen Sie mich bitte nicht mit meinem Künstlernamen an», bat er mich auf der Fahrt nach oben. «Ich heiße Bschließmayer. Oskar Josef Bschließmayer.» Als ich ihn etwas verwirrt ansah, die Frage nach dem Warum im Gesicht, zuckte er leicht die Achseln und erklärte ein bisschen zögernd, dass das wohl mit der Sehnsucht nach seiner verkorksten Kindheit zu tun habe, die ihm trotzdem bis zum heutigen Tage als eine Art Paradies vorkommen würde.
Er nahm in rasantem Tempo, sportlich, wie man sagt, engste Serpentinen. Nach der Ankunft an seinem Haus führte er mich in einen großräumigen Salon, dort bot er mir einen von zwei bequemen Ohrensesseln an, nahe an einem großen Panoramafenster. Von hier aus hatte man tagsüber sicher einen wundervollen Ausblick auf die Berge und ins Tal. Dann ging er zu einem Teewagen, auf dem jede Menge Flaschen standen.
«Und für Sie?», fragte er, während er sich einen Fernet-Branca eingoss, den er sofort gierig in einem Zug hinunterstürzte.
«Wenn Sie einen Weißwein für mich hätten?»
«Grüner Veltliner?»
«Meine Lieblingsmarke.»
«Das sagt man nicht. Nicht beim Wein», berichtigte er mich, während er sich einen weiteren Fernet-Branca einschenkte.
Dann griff er nach einem wertvollen Kristallglas und einer Flasche ohne Etikett.
«Ein Geschenk des Hauses Bründlmayer. Mein Lieblingswein. Ich hoffe, Sie wissen ihn zu schätzen.»
Er nahm mir gegenüber im zweiten Ohrensessel Platz, trank auch den zweiten Fernet-Branca, ohne das Glas abzusetzen, und sah mich an.
«Bei Tag müssen Sie hier eine herrliche Aussicht haben», sagte ich und zeigte auf das Panoramafenster, das sich über die Stirnseite des Salons zog. Dann wies ich auf das Bücherregal in seinem Rücken, das die ganze Breitseite des Raums einnahm. Neben der Unmenge von Büchern, die teils zerlesen wirkten, teils kostbare Einbände hatten, war ein ziemlich großes Fach noch halb frei, in dem, ordentlich geschichtet, lose gebundene Manuskriptstapel lagen, in denen ich Drehbücher zu erkennen glaubte.
«Sind das all Ihre abgedrehten Filme?», fragte ich in die eingetretene Stille hinein. Er schenkte sich ein und lächelte amüsiert.
«Der Adlerblick des Komödianten. Meine Filme?» Sein Lächeln wurde wehmütig. «Das sind die Angebote der letzten fünf oder sechs Jahre. Ich habe keines von ihnen gelesen.»
Ich begriff erst gar nicht, was er da sagte. Dass ein Mann, dessen Talent, dessen Charisma so einzigartig, so überragend war, dass selbst Hollywood vor ihm in die Knie ging, seine Berufung so konsequent aufgegeben haben sollte, wollte mir nicht in den Sinn.
«Aber es heißt doch, Sie hätten schon als Teenager nichts anderes als die Schauspielerei im Kopf gehabt.»
Er lachte, schüttelte den Kopf und bediente sich erneut beim Fernet-Branca.
«Nein, eigentlich wollte ich Musiker werden. Die Violine hätte mir sehr gelegen. Oder das Dirigieren. Wo aber sollte das Geld für so ein Studium herkommen? Die Mutter lehnte meinen Wunsch sofort ab und meinte, ich solle mir etwas anderes, weniger Verrücktes suchen. Wahrscheinlich glaubte sie auch nicht, dass es mir mit so einem Beruf wirklich ernst war. Ich weiß ja selbst nicht, wie ich auf den Gedanken kam. Von einem Toscanini oder Furtwängler ahnte ich damals noch nichts, ich war auch noch nie in einem Konzert gewesen.
Nur ins Theater bin ich schon gegangen. Meine geliebte Großi, meine Großmutter, hat mich ein paarmal auf die Stehplätze im letzten Rang mitgenommen. Sie schimpfte immer auf diesen , weil die Schauspieler von dort aus so winzig wirkten. , hat sie immer gesagt. Meine Großi liebte ich im Grunde mehr als meine Mutter und meinen Vater zusammen. Bei den Sonntagsausflügen in die Wachau spielte ich der Mutter und der Großi dann einiges von dem vor, das ich gesehen hatte. Und die Großi staunte. , versicherte sie meiner Mutter.
, erwiderte meine Mutter kalt.
Die Frauen warfen sich daraufhin ein paar Grobheiten an den Kopf, wobei die Großi mich vehement in Schutz nahm: <Über den Oskar wirst du noch staunen>, sagte sie immer wieder, »
Er schwieg einen Moment und hing seinen Erinnerungen nach.
«Sie hat es leider nicht mehr erleben können, meine Großi. Ich hätte sie so gern im Zuschauerraum gewusst, während ich meine großen Rollen an der Burg spielte. Ins Kino ging sie ja nicht. , sagte sie jedes Mal, wenn ich vorgeschlagen hab, mir mit ihr einen Film anzusehen.
An der Theaterei aber bekam ich mit der Zeit immer mehr Spaß, und ermutigt wurde ich auch. Sogar von meiner Mutter. nannte es die Großi, wenn ich den Passanten auf der Gasse etwas vorspielte. Sie war oft dabei und schlug die Hände vors Gesicht, damit man ihren vom Lachen verzerrten Mund nicht sah.
Meine erfolgreichste Darbietung war der hilflose blinde Bub, zu dem mir ständig neue Variationen einfielen. Ich konnte fabelhaft stolpern und sogar hinfallen. Sechs Jahre alt, klein, stockdünn, so kreierte ich meinen blinden Oskar - und bis zum heutigen Tag bin ich mir nicht sicher, ob ich es nicht dabei hätte belassen sollen. Das Theaterspielen wird doch ewig ein Beruf für Unerwachsene bleiben. Damals aber faszinierte mich die unmittelbare Nähe der Zuseher, ihre spontanen Reaktionen auf mich. Das hob mich von allen anderen ab. Es kam mir wie Zauberei vor, was ich da tat, und diese Direktheit war viel aufregender als das Spielen über die arrogante Distanz hinweg, mit der wir Komödianten auf dem Theater von den Zuschauern getrennt sind. Denken Sie: Allein in der Burg beträgt der Abstand zwischen Rampe und erster Sitzreihe mindestens zwei Meter. Zum Anfassen taugt das nicht gerade. In der Gasse jedoch, in der ich tagtäglich auf meine Mutter zu warten hatte, bis sie von der Arbeit heimkam, da fiel mir nichts anderes ein, was mir und meiner Großi im Rücken so viel Spaß brachte und die Zeit so rasch vergehen ließ. Das Mutterl gab ja nie den Wohnungsschlüssel aus der Hand. Weder mir noch der Großi.
Zum Beispiel spielte ich den Schüchternen, Blinden, der sich vor fremden Stimmen fürchtet und sich tastend an Hauswänden entlangdrückt. Von den Leuten gefragt, wo ich denn zu Hause sei, presste ich die Augen fest zu, schüttelte den Kopf, riss die Augen dann auf und schaute in die falsche Richtung. Einmal kam mir ein älteres Paar entgegen, das mich entgeistert und mit tiefem Mitleid betrachtete. Großi ging als scheinbar uninteressierte Passantin vorbei und flüsterte mir zu, dass ich die beiden in Ruhe lassen sollte. Aber dann fragten die mich, ob ich Hunger hätte. Ich schüttelte den Kopf. Dann berieten sie sich und beschlossen, mich nach Hause zu bringen, da ich ja offensichtlich blind sei und die Orientierung verloren habe.
Jetzt konnte ich nicht mehr zurück, auch wenn die Großi mich aus der Entfernung mit gespielten Drohgebärden und lautlosem Gelächter zu stoppen versuchte. Ich wandte mich...
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