Schweitzer Fachinformationen
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Lange Linien. Oder: Darf's etwas mehr sein?
Es ist nur auf den ersten Blick eine unscheinbare Frage, tatsächlich ist sie jedoch sehr wichtig und auch intim, da die Antwort wohl jede und jeden Einzelnen betrifft. Sie lautet: Staat vor Privat - oder Privat vor Staat?
Von der Käse- oder Wursttheke ist die Frage bekannt: »Darf's etwas mehr sein?« Auf die Tätigkeiten des Staates gemünzt beantwortet die eine Gruppe die Frage mit »Ja, gerne!«. Die andere Gruppe antwortet entgegengesetzt. Die unterschiedlichen Antworten basieren zu einem großen Teil auf verschiedenen politischen Ideen, die sich herausgebildet haben und in einem fortwährenden Wettkampf miteinander stehen. Der Liberalismus beispielsweise stellt die Freiheit in den Vordergrund und weist dem Staat die Rolle eines Nachtwächters zu. Der Konservatismus setzt auf Bewahrung und sieht den Staat als Ordnungsmacht, während der Sozialismus Solidarität und Gleichheit für erstrebenswert hält und den Sozialstaat propagiert. Und schließlich lassen sich noch sozial-ökologische Ansätze identifizieren, die auf der einen Seite die Selbstverwirklichung stark in den Mittelpunkt ihrer Ziele stellen und gleichzeitig den Staat als Nachhaltigkeitsgaranten betrachten. Und weil es ansonsten zu einfach wäre: Diverse Mischformen existieren natürlich ebenfalls.
Bei der Umsetzung der einzelnen politischen Ideen ist der Staat und damit auch die Verwaltung unterschiedlich präsent. Dies drückt sich in der Art der Aufgaben, ihrer Menge und der Intensität der Erledigung aus. Einige Aufgaben sind ihrem Grunde nach allgemein akzeptiert, wie zum Beispiel die Landesverteidigung und das Einwohnermeldewesen. Aber schon bei der konkreten Frage der Ausprägung scheiden sich die Geister: Gehört zur Landesverteidigung auch die sogenannte Bündnisverteidigung? Und was ist mit Auslandseinsätzen, die ein humanitäres Ziel verfolgen? Vom Gedanken an einen Angriffskrieg einmal ganz zu schweigen.
Zusätzlich finden sich andere Aufgaben, die in verschiedenen politischen Landschaften als unterschiedlich verpflichtend deklariert werden. In zeitlich langen Linien wird unter anderem darüber diskutiert, ob und wie der Staat als Wohnungseigentümer agieren soll oder ob und in welcher Form eine staatliche Eisenbahn notwendig ist. In der jungen Bundesrepublik hat sich der Staat beispielsweise im Bereich des sozialen Wohnungsbaus intensiv engagiert. Er hat geholfen, die riesige Nachkriegsnachfrage zu bedienen. (Bemerkung am Rande: Das Ministerium für Wohnungsbau war ab 1955 in der am Anfang erwähnten Deichmanns Aue zu finden.) Dieses Engagement scheint im Laufe der Jahrzehnte etwas zurückgegangen zu sein, bekommt aber im Zuge des beispielsweise in Berlin herrschenden Wohnungsmangels und der dortigen Enteignungsdiskussionen von Immobilienkonzernen wieder Rückenwind.
Und schließlich gibt es noch die Möglichkeit, auf kommunaler Ebene freiwillige Aufgaben der Selbstverwaltung zu übernehmen. Das kann vom Betrieb eines Theaters über die Bereitstellung des öffentlichen Nahverkehrs und der Anlage und Pflege von Parks bis zur Vereinbarung und Unterstützung einer Städtepartnerschaft reichen.
Schlagwortartig wird auch vom »starken Staat« und seinem Pendant, dem »schlanken Staat«, gesprochen, wenn die Aktivitäten ausgebaut beziehungsweise zurückgefahren werden sollen. Ein Staat, der schlank sein möchte, setzt dabei unter anderem auf Privatisierung - und verkauft oder verscherbelt dabei schon einmal sein Tafelsilber, wie Kritiker monieren.
Öffentliche Aufgaben in Bewegung
Diese ganze Gemengelage ist mittlerweile sehr bunt und unübersichtlich geworden. Eine staatsweit einheitliche Richtung ist nicht zu erkennen - was unter dem Gesichtspunkt des Föderalismus und seiner gewollten Diversität gut ist. Anhand von Beispielen kann die Vielfalt verdeutlicht werden. Beispiel eins ist der Mautbetreiber Toll Collect. Die Einführung einer Autobahn-Maut für Lkw wurde schon Anfang der 1990er-Jahre beschlossen. Die Auswahl eines Betreiberkonsortiums hat etwas gedauert, und die technische Inbetriebnahme war mit Problemen behaftet. Anfang 2005 war das System dann so weit. Für den Betrieb der Mautanlagen war zunächst das Unternehmen Toll Collect verantwortlich. Dahinter verbarg sich ein Konsortium aus Daimler, der Deutschen Telekom und dem französischen Unternehmen Cofiroute. Die Franzosen hielten einen 10-prozentigen Anteil an Toll Collect, die beiden deutschen Konzerne jeweils 45 Prozent. Seit seiner Gründung im Jahr 2002 war das Unternehmen in privater Hand und blieb es bis zu seiner Verstaatlichung im Jahr 2018.
Für das zweite Beispiel kann die ehemalige Deutsche Bundespost genutzt werden. Die »Post« wurde 1947 als staatseigener Post-, Logistik- und Fernmeldebetrieb gegründet. Verschiedene Reformen in den späten 1980er- und den 1990er-Jahren haben die Post deutlich verändert. Der erste Schritt war die Aufteilung der Deutschen Bundespost in den Postdienst, die Postbank und die Telekom. 1994 wurden die drei Bereiche dann privatisiert, und es entstanden die Deutsche Post AG, die Deutsche Postbank AG und die Deutsche Telekom AG. Sie waren farblich hübsch auseinanderzuhalten (gelb, blau, grau) und - was deutlich interessanter ist - so groß, dass alle drei später im Deutschen Aktienindex DAX vertreten waren. Sie zählten also zu den größten Unternehmen Deutschlands. Die Notwendigkeit, ein eigenes Postministerium zu unterhalten, ist damit ebenfalls weggefallen. Es wurde Ende 1997 aufgelöst; die Verwaltung der Staatsbeteiligungen übernimmt seither das Finanzministerium. Durch einen offiziellen Schritt wird aus einer Behörde zwar formal ein Unternehmen, der als »Privatisierung« bekannte Prozess zieht sich aber deutlich länger. Das mussten beispielsweise die Kunden der Telekom noch viele Jahre lang erleben; manche würden hier sagen: erleiden. Während also Toll Collect im Laufe seiner Lebenszeit verstaatlicht wurde, ging es für die gelbe, die blaue und die graue Post in genau die andere Richtung.
Das dritte Beispiel, das die Bandbreite der staatlichen Einbindung verdeutlicht, ist eine ureigene kommunale Aufgabe: die Stadtentwässerung. Sie befindet sich in der Hand von Städten und Gemeinden, und sie ist mit ihrer konkreten Arbeit eher wenig bekannt - aber viel genutzt. Als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge hat die Stadtentwässerung typischerweise die Sammlung, Ableitung und Behandlung des Abwassers zur Aufgabe. Dazu werden Kanalnetze gebaut sowie gewartet und Kläranlagen betrieben. Teilweise gehören auch der Hochwasserschutz und die Verantwortung für Gewässer auf dem Stadtgebiet zu den jeweiligen Aufgaben. Obwohl die Arbeit in jeder Kommune anfällt, unterscheidet sich die Organisation deutlich. Die Stadtentwässerung ist dabei keiner größeren bundesweiten Privatisierungswelle anheimgefallen (Braunschweig ist hier eine Ausnahme) und befindet sich in städtischer Hand. Der Griff ist aber mal enger und mal loser, wie ein exemplarischer Blick in verschiedene rheinländische Rathäuser zeigt: In Pulheim liegt die Verantwortung in einer Entwässerungsabteilung, die Teil des Tiefbauamtes ist. Bildlich und zugespitzt gesprochen sitzen hier die Beschäftigten Tür an Tür mit dem Schulamt, dem Einwohnermeldeamt und der Personalabteilung - und man geht aus Tradition gemeinsam um 11:30 Uhr zum Mittagessen. In Düren ist die Stadtentwässerung eine sogenannte eigenbetriebsähnliche Einrichtung. Eigenbetriebe sind Organisationen, die nach den Prinzipien privatwirtschaftlicher Unternehmen geführt werden, aber keine eigene Rechtspersönlichkeit haben. Hier wird man, wieder bildlich ausgedrückt, autarker und sondert sich ganz leicht von den Kolleginnen und Kollegen ab. Noch einen Schritt weiter geht die Stadt Köln. Hier gibt es die StEB. Die Verwaltung der Stadtentwässerungsbetriebe Köln AöR findet man nicht mehr im Rathaus, sondern am Stadtrand, weiter draußen auf der Schäl Sick und jenseits der Autobahn A3. Das AöR im Namen steht für Anstalt des öffentlichen Rechts und ist eine besondere Rechtsform für juristische Personen, die eine sehr große Eigenständigkeit erlaubt. Wenn man noch einmal auf das Bild des gemeinsamen Mittagessens von Stadtentwässerungs- und Schulamtsbeschäftigten zurückgreift, dann kommt das in Köln eher selten vor: Die StEB haben eine eigene Kantine.
Die Bandbreite von dem, was der Staat machen kann und soll und will - und auch die konkrete Umsetzung -, ist also erstaunlich groß. Zudem ist die Situation ebenso dynamisch wie bei einer Wippe, bei der einmal die eine Seite (Privat vor Staat) und einmal die andere Seite (Staat vor Privat) oben in der Luft ist.
Consultants freut dies!
New Kids on the Block: Consultants
Für die Berater sind hier zwei Dinge interessant. Zum einen: Verändert sich die politische Landschaft, dann verändern sich auch die Aufgaben der Verwaltung - und die braucht wiederum...
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