2. Kapitel
Vindobene reinigte den Tresen. Selten zuvor hatte er etwas derart Widerwärtiges erledigen müssen. Diese Arbeiten waren bestenfalls mit all jenen vergleichbar, die er im Gefolge der Pest und der Türkenbelagerung erledigt hatte. Und vielleicht mit seinen Jahren als Beamter im Sozialministerium, als er sich in den Kellern des Gebäudes verirrte und ihn drei Monate lang niemand vermisste. Nur dank der schlechten Gedanken, auf denen das Fundament des Gebäudes ruhte, hatte er sich ausreichend ernähren können. Irgendwann einmal hatte ihn ein Lehrling in den Katakomben entdeckt. Einer, der irrtümlich gearbeitet hatte...
Er spuckte auf das narbige Holz des Tresens und wischte darüber, bevor sich der giftige Speichel durchätzen konnte.
Karl saß wie meist in seinem bequemen Stuhl des Zahlkellners. Die Callas hängte ihre Nase lustlos in ein fast leeres Bierglas. Neben ihr ein Gast, der in letzter Zeit öfter mal aufgetaucht war. Er nannte sich Schlurf und gehörte zur raren Gattung der Speiteufel. Er und seine Verwandten waren in den Reihen der Dämonenfamilien nicht sonderlich gern gesehen und scheuten meist die Öffentlichkeit. Schlurf jedoch besaß ein großes Mitteilungsbedürfnis. Er nutzte die Neutralität im Café Zamis und unterhielt sich mit all jenen, die ihm sonst großräumig auswichen.
Die Tür öffnete sich. Geräusche schwappten ins Innere. Kurze unterbrochene Sätze, Kindergeschrei, der Singsang eines untalentierten Straßensängers. Draußen auf der Mariahilfer Straße herrschte das übliche hektische Treiben, das die Menschen gerne an den Tag legten.
Ein junges Mädchen trat ein. Die Holzbohlen knarrten unter ihren Füßen. Sie hatte blonde Haare und ein hübsches Gesicht.
Das Mädchen sah sich rasch um und kam dann festen Schritts auf Vindobene zu.
»Bist du der Wirt?«, fragte sie geradeheraus.
»Wäre ich es, hätte ich mich schon längst umgebracht angesichts des Geschäftsganges.«
»Das ist keine befriedigende Antwort.«
Sie beugte sich zu ihm vor. Vindobene spürte einen Hauch von Kraft. Eine Gabe, deren Zusammensetzung er nicht einzuordnen vermochte und die in diesem geschützten Raum auch nicht funktionieren durfte.
»Du bist mir herzlich unsympathisch, kleiner Mann. Nichts hier drinnen mag ich, offen gestanden.«
»Also dich selbst auch nicht? Du befindest dich derzeit ebenfalls im Café Zamis.«
Vindobene grinste die junge Frau an.
»Dein Humor ist geistlos und impertinent. Erinnere mich beizeiten daran, dass ich dich dafür maßregle.«
Er betrachtete sie von oben bis unten. Sie trug ein gelbes Minikleid, wie man es heute nicht mehr anziehen würde. Die ledernen Schuhe wirkten altmodisch. Allem haftete das Odeur einer längst vergangenen Epoche an.
Vindobene zuckte mit den Achseln. »Bedroh mich, so viel du willst. Ich wohne hier, ich lebe hier. Und im Café Zamis kannst du mir nichts anhaben. Außerhalb wirst du mich selten einmal antreffen. Und sollten wir uns doch einmal begegnen, dann sei gewiss, dass ich mich zu wehren weiß.«
»Nicht gegen mich. - Aber lassen wir diese Spielchen, kleiner Mann. Wo finde ich Coco Zamis?«
»Wer will das wissen? Glaubst du, ich gebe jeder dahergelaufenen Dirne Auskunft darüber, wo sich die Chefin aufhält?«
Sie zuckte zusammen. Diesmal hatte er sie wirklich getroffen. Gut so. Er mochte sie nicht.
Nun, er mochte eigentlich niemanden auf dieser Welt. Einzig Coco war ihm nicht ganz unsympathisch.
»Ich werde mich an deine Worte erinnern, kleiner Mann. Ich vergesse nie eine Beleidigung oder Schmähung.«
»Ich vergesse nie etwas!«, äffte Vindobene ihre Stimme nach und warf sich in die Brust. »Ich bin ein großer, großartiger Dämon, und du musst gefälligst Angst vor mir haben.«
Er wurde gleich wieder leise. Schließlich wollte er die wenigen verbliebenen Stammgäste nicht aufwecken. Das hätte mehr Arbeit und noch mehr Plackerei bedeutet.
Er beugte sich wieder zu dem Mädchen vor und sagte: »Ihr nehmt euch allesamt so ungeheuer wichtig. Ihr glaubt, euch alles herausnehmen zu können, nur weil ich keinen Namen und keinen Rang in der Schwarzen Familie habe. Aber ich bin Vindobene. Ich bin diese Stadt. Ihr Sud. Die Bösartigkeit ihrer Einwohner. All das Schlechte, das in den Wienern steckt, nährt mich und lässt mich wachsen. Sollten wir uns vor der Türe des Café Zamis tatsächlich einmal begegnen, dann triffst du einen Gegner, der die Kraft aus den Köpfen und den Herzen von zwei Millionen Menschen bezieht.«
Sie schwieg eine Weile, musterte ihn nachdenklich und meinte dann: »Es ist wirklich schade, dass ich mich derzeit nicht auf dich konzentrieren kann. Wir beide hätten viel Spaß miteinander. Na ja ... Ich hätte Spaß, du nicht.«
»Jetzt sag endlich, was du von Coco möchtest. Und dann verschwinde! Wir sind ein ehrenwertes Etablissement!«
»Sag Coco, sie kann sich bei mir melden, wenn sie das Bedürfnis dazu hat. Und gib ihr dies hier.«
Sie kramte umständlich in ihrer krokodilledernen Handtasche herum und legte dann ein silbernes Etwas ab, das an einer Kette hing.
»Eine Uhr?« Vindobene griff nach dem fein gearbeiteten und ziselierten Ei, betastete es vorsichtig und öffnete es schließlich.
»Eine Uhr. Eine Savonette.«
»Sie ist wunderschön«, sagte Vindobene ehrfurchtsvoll.
»Ja. Sie gehört Coco.«
Das Uhrwerk hatte mehr Zeiger als gewöhnlich. Sie stellten nicht nur die Sekunden, Minuten und Stunden dar, sondern zeigten auch Tage.
Monate.
Jahre.
Die junge Frau nickte zum Abschied und klapperte auf den hochhackigen Schuhen davon. Bevor sie den Ausgang erreichte, drehte sie sich nochmals um.
»Coco kennt mich nicht. Aber es sollte reichen, wenn du ihr sagst, dass ich Dorian Hunters Schwester bin.«
»Kann diese müde Kiste denn nicht schneller fahren? Warum schleppen wir den Anhänger mit uns herum? Warum ist es so heiß und warum jetzt auf einmal so kalt? Mir ist langweilig. Der Sitz ist unbequem, die Luft stickig. Ich habe schon lange keinen Menschen mehr gefrühstückt ...«
Tante Elvira ging uns nur noch auf die Nerven. Sie stellte unverschämte Ansprüche, gab sich bösartig und gemein und benahm sich selbst ihrer Nichte Rebecca gegenüber wie das Monster, das sie war.
»Es ist nicht mehr weit bis zum Motel«, versuchte meine Freundin sie zu beruhigen. »Ich bin mir sicher, dass wir dort gut versorgt werden. Es nennt sich nicht umsonst Bates Motel.«
»Ich weiß jetzt schon, dass es mir dort schlecht gehen wird. Die Bates-Kette hat in Dämonenkreisen einen äußerst schlechten Ruf. Es gibt zu viele Streitigkeiten.«
»Die Probleme wurden unter dem neuen Management beigelegt, Tante. Selbst die Menschen, die sich in ein Motel der Kette verirren, müssen in Ruhe gelassen werden. Alle Gäste verpflichten sich zur Einhaltung der Regeln. Hält man sich nicht dran, nun, dann wird man bestraft.«
Rebecca deutete auf ein Straßenschild, das wir eben passierten auf dem Weg Richtung New York City. Vor geraumer Zeit hatten wir Cleveland hinter uns gelassen und bewegten uns nun entlang des Interstate Highway 80 auf unser Ziel zu. »Nur noch dreißig Meilen, dann haben wir es für heute geschafft.«
»Und dann sind es immer noch fünfhundert bis New York City. Wir hätten fliegen sollen! Ein jeder Mensch fliegt heutzutage, warum also nicht auch wir Dämonen?«
»Ich habe es dir schon hundertfach erklärt, Tante: Ich möchte meine Fledermausmänner nicht unnötigen Belastungen aussetzen.«
»Du kannst dir doch jederzeit neue heranzüchten, Kind. - Ach, macht doch endlich die Fenster auf! Es ist so unglaublich heiß heute.« Sie furzte ungeniert und schreckte mit einem Mal hoch. »Womöglich sind das Wallungen! Vielleicht komme ich in die Wechseljahre?«
Rebecca und ich grinsten uns an. Tante Elvira besaß die Anmutung einer Siebzigjährigen - und sie war gewiss weitaus älter. Ihr matronenhaftes Aussehen hinderte sie allerdings nicht daran, großen Gefallen an jungen, gut aussehenden Männern zu finden.
Ich reichte meiner Freundin die Hand, sie drückte sie energisch. Wir freuten uns auf die Abende und die Nächte in unseren eigenen Zimmern. Wenn wir die Gegenwart dieser schrecklichen alten Fuchtel vergessen und alleine sein durften.
Dreißig Meilen können ganz schön lang werden. Insbesondere mit einer dauerquasselnden alten Frau im Fond des Wagens, die uns lang und breit von ihren dämonischen Unterleibsbeschwerden und tentakelartigen Warzenauswüchsen zwischen den Beinen erzählte.
»Und du möchtest sie wirklich mit nach Europa nehmen, Rebecca?«
»Was bleibt mir denn anderes übrig? Sie ist Familie. Alles, was ich noch habe.«
»In Dämonenkreisen gilt Blutsverwandtschaft nicht sonderlich viel.«
»Wir beide sind nicht irgendwelche Dämonen, Coco.«
Sie hatte recht. Rebecca und ich...