Schweitzer Fachinformationen
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Die junge Ärztin Thordis Südermann eilte durch die regennassen Straßen Hamburgs. Sie war wie immer spät dran. Ihr Dienstbeginn in der Notfallstation Eppendorf rückte in großen Schritten näher. Sie hörte bereits die mahnenden Worte ihres Chefarztes: »Doktor Südermann, wenn Sie so weitermachen, sterben uns die Notfälle weg. Vielleicht sollten Sie auf ein Bestattungsunternehmen umsatteln.« Doktor Lehmanns Äußerungen waren ziemlich sarkastisch. Thordis' Wunsch, Ärztin zu werden, war schließlich ihrem Bedürfnis entsprungen, Menschen zu helfen.
Es ärgerte sie maßlos, dass ihre Schicht in den frühen Morgenstunden begann. Sie hatte dem Frühaufstehen noch nie etwas abgewinnen können. Mehrfach hatte sie bereits versucht, ihren Dienstplan ihren Bedürfnissen anzupassen.
»Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was«, hatte der ernüchternde Kommentar ihres Chefs gelautet.
Ausgerechnet heute regnete es in Strömen. Trotzdem entschied Thordis sich, ihr Auto stehen zu lassen. Die Parkplatzsuche um das Klinikgelände herum gestaltete sich meist schwierig. Zu Fuß war sie schneller.
Thordis setzte zum Dauerlauf an. Die Haare klebten nass und schwer an ihrem Kopf. Die verlaufende Wimperntusche zierte ihr schmales Gesicht nicht unbedingt vorteilhaft. Kurz bevor sie den Personaleingang erreichte, erwischte sie eine Pfütze. Mit durchgeweichten Turnschuhen betrat sie schließlich den Flur der Klinik. In der Ferne hörte sie den Rettungswagen näherkommen.
»Auch das noch«, stöhnte sie verzweifelt. Die Nachtschicht würde wegen ihrer Verspätung nicht rechtzeitig in den verdienten Feierabend gehen können. Thordis hetzte in den Umkleideraum und riss ihren Spind auf. Gleichzeitig zerrte sie sich die Schuhe von ihren Füßen und zog ihr Shirt aus. Auf einem Bein hüpfend stieg sie in die blaue OP- Hose. Hastig rubbelte sie die Haare trocken. Dabei verhedderte sie sich in dem Hemd. Die blaue Farbe harmonierte leider in keiner Weise mit ihrem Äußeren. In der Freizeit bevorzugte sie grüne und weiße Töne. Sie unterstrichen ihre Hautfarbe und ihre neugierigen braunen Augen. Die Haare schob sie in die OP-Kappe.
Die Sirenen verstummten. Ein Zeichen, dass die Rettung angekommen war. Mit feuchten Füßen stieg sie in die Gummischuhe und rannte augenblicklich los.
Sie schaffte es zum Glück rechtzeitig, um den Kollegen der Rettung sowie die verletzte Person in Empfang zu nehmen. Die Trage rollte durch den Gang. Ein Blickkontakt mit dem Notarzt Paul Gründer genügte, um den Ernst der Lage zu verstehen. Die Verletzungen des Mannes auf der Trage, verhießen nichts Gutes.
»Hallo, Paulchen«, hauchte sie.
»Moin! Schwerer Unfall auf der A7. Patient ist ansprechbar. Vermutlich innere Verletzungen, nicht intubiert.«
»In den Schockraum«, ordnete Thordis an.
Der Tag begann, wie er nach der Schicht aufhören würde. Hektisch. Thordis mochte die Schnelligkeit in der Notaufnahme. Hier schaffte sie es, ihren eigenen Kummer in die Schranken zu weisen. Die Großstadt Hamburg half ihr zusätzlich. Doch manchmal sehnte sie sich nach der Ruhe ihrer Nordseeküste. Heute war so ein Tag.
Besorgt betrachtete sie den Verletzten. Hatte er eine Chance? Thordis gab zumindest ihr Bestes. Arbeitete bis ans Limit. Helfende Hände packten mit an. Der Mann, er schien türkischer Abstammung zu sein, lag mit geschlossen Augen auf dem Behandlungstisch.
»Guten Tag, mein Name ist Dr. Südermann. Wie ist Ihr Name?« Thordis berührte ihn leicht, um ihm zu zeigen, dass er nicht allein war. Mühsam öffnete er die Augen. Sein durchdringender Blick schien direkt in ihre Seele zu schauen. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken.
»Ayaz .« Gleich danach verließen ihn seine Kräfte wieder. Die Augen erneut geschlossen, atmete er schwer.
»Gut, Ayaz, ich gebe Ihnen etwas gegen die Schmerzen, es wird Ihnen gleich bessergehen, versprochen.« Krankenpfleger Markus reichte ihr bereits eine Spritze mit dem erforderlichen Medikament.
»Wir haben die Papiere des Patienten gesichtet. Er heißt Ayaz Tüllü«, raunte Markus ihr zu. Thordis schloss für eine Sekunde die Augen, ein Zeichen, dass sie verstanden hatte.
»Herr Tüllü, können Sie sich an den Unfall erinnern?«
»Er wird dir nicht antworten, er ist ohnmächtig.« Die Stimme der Krankenschwester drang zu ihr durch. Entsetzt sah sie auf den Monitor, der Herzschlag wurde schwächer. Jetzt hieß es Beeilung. Jeder im Raum kannte seine Aufgaben. Es musste schnell gehen. Nicht kopflos, aber mit größter Konzentration.
»Na also, wir haben ihn wieder!« Aufatmend blickte Doktor Südermann in die Runde. Sie untersuchte Ayaz auf Knochenbrüche. Die Kleidung musste sie zerschneiden, ein unschöner Bruch am Unterschenkel wurde freigelegt.
»Ich brauche ein MRT, rasch. Ist danach ein OP frei? Da ist freie Flüssigkeit im Bauchraum. Das muss jetzt verdammt schnell gehen.« Thordis' Bedenken, sie könnte Stress mit ihrem Vorgesetzten bekommen, weil sie wieder einmal spät dran gewesen war, rückten in den Hintergrund. Sie wollte diesen verletzten Mann retten. Alles andere war unwichtig geworden.
Stunden später besuchte Thordis Ayaz Tüllü auf der Intensivstation. Er hatte die Operationen gut überstanden. Ein Milzriss und mehrere Knochenbrüche, von denen zwei operativ versorgt werden mussten. Still trat Thordis an das Krankenbett. Sie ergriff die Hand, an der keine Kanüle steckte.
»Herr Tüllü? Können Sie mich hören?« Er regte sich, mühsam öffnete er die Augen.
»War verdammt knapp, was?«, röchelte er angestrengt.
Thordis lächelte ihn aufmunternd an.
»Sie werden wieder gesund. Aber ja, Sie haben großes Glück gehabt. Erholen Sie sich erst einmal. Ich schaue später noch einmal bei Ihnen vorbei.« Ayaz schlief augenblicklich wieder ein.
Thordis schlich aus dem überwachten Zimmer. Bevor sie die Tür schloss, sah sie noch einmal zu dem Mann. Sie hatte es geschafft. Eine komplizierte Operation. Zeitweise hatte sie befürchtet, den Kampf um sein Leben zu verlieren. Thordis und ihr Team hatten viele Stunden im Operationssaal verbracht. Sie lächelte. Zufrieden zog sie die Tür hinter sich zu.
Nachdenklich ging Thordis den langen Flur zur Notaufnahme zurück. Diese Augen. Sie würden eine bleibende Erinnerung hinterlassen. Er hatte ihr buchstäblich in die Seele geblickt.
Thordis beschleunigte ihre Schritte. Der Alarmfunk forderte sie an. Etwas verwundert überlegte sie, ob ein Rettungswagen angekommen war. Gehört hatte sie nichts. Thordis ignorierte ihren knurrenden Magen. Eine Pause war ihr bisher nicht vergönnt gewesen. Ihr karges Frühstück am Morgen lag viele Stunden zurück.
»Der Chef will dich sprechen«, verkündete Markus amüsiert, als sie die Station erreichte.
»Oje, er hat mitbekommen, dass ich heute Morgen spät dran war.« Ein Donnerwetter fehlte ihr jetzt gerade noch. Sie benötigte dringend eine Pause. Es tröstete sie, dass der Feierabend in großen Schritten näher rückte. Erschöpft machte sie kehrt und steuerte auf das Büro ihres Vorgesetzten zu. Sie wartete nach dem Klopfen auf ein Herein. Doch da wurde die Tür schon aufgerissen.
»Doktor Südermann, na endlich! Kommen Sie, und nehmen Sie Platz!« Thordis suchte nach Zeichen in seinem Gesicht. Sah er ärgerlich aus? Dr. Lehmann blieb mit gekreuzten Armen hinter seinem pompösen Schreibtisch stehen. Er blickte auf Thordis herab. Sie mochte sein Aftershave nicht sonderlich. Der ganze Raum war mit dem schweren Duft geschwängert. Thordis bekam Kopfschmerzen. Vielleicht lag es auch daran, dass ihr Chef sie abschätzend ansah. Sie spürte, wie ihr Nacken steif wurde.
»Sie sind blass, Dr. Südermann. Geht es Ihnen nicht gut?«
Erstaunt sah Thordis zu ihm auf. Seit wann interessierte ihn, wie es ihr ging? Doktor Lehmann machte meist oberflächliche Bemerkungen und zeigte sich wenig interessiert an seinen Mitarbeitern. Die wirtschaftliche Situation der Klinik lag ihm am Herzen. In diesem Punkt ließ er keine Kompromisse zu. Die Belange der Belegschaft schienen für ihn dabei keine Rolle zu spielen.
Doch in diesem Moment stand er vor ihr und erkundigte sich nach ihrem Befinden? Thordis nahm die gesamte Sitzfläche ihres Stuhls ein. Sie wollte Selbstbewusstsein demonstrieren. Dies gelang ihr nicht, wenn sie wie ein Häufchen Elend auf ihrem Platz hockte. Sie streckte trotzig das Kinn vor.
»Danke der Nachfrage«, sagte sie fest. »Mir geht es gut. Leider bekommt meine Haut durch die OP-Beleuchtung keine gesunde Gesichtsfarbe. Vielleicht sollten wir Lampen mit UV-Licht installieren. Dann müssten wir keine Vitamin-D-Pillen schlucken und die Überstunden wären ein Klacks.« Natürlich war sie über das Ziel hinausgeschossen, aber der Tag hatte auch bei ihr Spuren hinterlassen. Sie arbeitete hart, und Vorwürfe konnte und wollte sie nicht akzeptieren. Doktor Lehmann lachte herzlich. Er lachte? Das war neu. Thordis schluckte.
»Sie haben vollkommen recht, Südermann. Ich werde versuchen, Ihrem Wunsch zu entsprechen.«
Nun war Thordis völlig sprachlos.
»Ich gratuliere Ihnen. Der Fall Tüllü trägt ganz und gar Ihre Handschrift, gut gemacht.« Thordis hatte mit einem Donnerwetter gerechnet. Die Entwicklung des Gesprächs mit ihrem Chef musste sie erst einmal verarbeiten. Das Lob traf sie völlig unvorbereitet.
»Wir geben alle unser Bestes. Das ist nicht der Rede wert«, antwortete sie leise und senkte den Blick.
»Nun stellen Sie Ihr Licht mal nicht unter den Scheffel. Ich beobachte Ihre Arbeit schon lange, intensiv. Ich...
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