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Wer erinnert sich nicht an den Beginn des Western Spiel mir das Lied vom Tod? Ein paar Männer warten auf den Zug. Jeder kennt das, Warten ist leere Zeit. Und nun anderen dabei zuschauen? Doch nie war das Warten von so zerreißender Spannung. Es geschieht nichts, rein gar nichts. Nur der Wind weht. Der Wind ist der eigentliche Regisseur dieses furiosen Beginns, er ist der Meister des Suspense. Eine Haarsträhne, kurz von einer Minimalböe emporgehoben und gleich wieder abgelegt, ein unmerklich geblähter Mantel: Das, nichts anderes, ist Action! Und in diese kolossale Bahnhofs-Warte-Stille dringt der monoton wiederkehrende Misslaut des sich drehenden Windrads. Wer könnte es je wieder vergessen?
Das war eine Westernmill. Westernmills besaßen bald statt Holzflügeln Metallbleche, daher die fatalen Dissonanzen. Und da ist noch etwas: Ein Enthusiast kleidete seine einzige Kritik an dem Avantgarde-Windrad seiner Zeit in die zartfühlenden Worte, dass »selbst unter sorgfältigster Pflege« alsbald »ein mehr oder minder bedeutendes Spielen in den Scharnieren«[1] zu beklagen sei. Das war der große Nachteil des großen Vorteils beweglich gelagerter Flügel. Verantwortlich für den Soundtrack von Spiel mir das Lied vom Tod waren demnach Ennio Morricone und ein Windrad.
Bei dem Wort Windmühle denken wir gewöhnlich an gemahlenes Getreide, aber so, wie es aussah am Set von Sergio Leone, war klar: Hier wächst nichts. Eine Welt aus Staub. Umso wichtiger war die Mühle, denn Westernmills förderten meist Wasser, sie waren Windpumpen, keine Windmühlen. Und den größten Durst hier hatte die Eisenbahn. Keine Dampflok ohne Dampf, darum stand das Rad auch gleich neben dem Gleis.
Dem Wind ist es egal, ob man mit seiner Kraft Getreide mahlt, Wasser fördert, Sägewerke betreibt oder Stoffe walkt. Die Windmühle - das Windrad - war die erste Kraftmaschine der Menschheit.
Der Wind ist Kommunist. Wer das begriffen hat, weiß schon fast alles. Der Wind hasst ungleiche Verteilungsverhältnisse, nur darum weht er. Er will, dass überall gleich viel ist, also gleich viel Luftdruck. Ist das geschafft, herrscht vollkommene Windstille. Friede im Äther.
Würde die Erde sich nicht bewegen, gäbe es auf der Nordhalbkugel nur Südwind, auf der Südhalbkugel nur Nordwind: vom Äquator zu den Polen.
Am Äquator scheint die Sonne am stärksten, die Moleküle der Luft beginnen zu tanzen und lassen bald luxuriöse Ich-Du-Abstände frei, statt frierend aneinanderzuhocken - man könnte auch von einer spezifischen Leichtigkeit des In-der-Luft-Seins sprechen. Und so fliegt die ganze Sache bald auf: Die warme Luft strömt nach oben, immer höher, gewöhnlich einige Zentimeter pro Sekunde. Aber die Heizung der Luft ist nicht direkt die Sonne, sondern der erwärmte Boden, darum kühlt sie wieder ab, je höher sie steigt. In etwa 18 Kilometern Höhe - wir befinden uns nun schon in der Tropopause - ist bei nun recht hohem Druck ein Grenzwert erreicht, sodass sie beginnt, allmählich seitlich gen Norden und Süden abzufließen, wenn dies das richtige Wort sein sollte. Denn was da fließt, ist nichts anderes als Wind.
Wir unterstellen dem Wind gemeinhin eine gewisse Orientierungslosigkeit, einen durch und durch windigen Charakter, aber das ist falsch. Der Wind weiß genau, wohin er will, dorthin, wohin gewöhnliche Menschen nie wollen: zum Pol. Immer zum Pol.
Doch solche Geradlinigkeiten gelingen nicht einmal Winden, was noch zu erklären ist. Trotzdem, ohne störende Einflüsse hätten wir, es sei wiederholt, auf der Nordhalbkugel nur Südwind und auf der Südhalbkugel nur Nordwind.
Vor ein paar Jahren verbrachte ich den Sommer in der Wohnung eines italienischen Mathematikprofessors in Venedig. An einer Wand hing, so groß wie diese, ein riesiger Kupferstich der Stadt von 1530. Mag sein, den Professor hat die sagenhafte Präzision des Stichs fasziniert und dass man in dieser unwahrscheinlichsten der Städte noch immer fast alles genau an der Stelle wiederfindet, an der es damals inventarisiert wurde. Und doch war Venedig keineswegs die Hauptsache. Die Hauptsache waren die Winde. Sie kamen aus allen Bildecken und von allen Seiten: Obgleich wie vor dem Angesicht der Ewigkeit erbaut, war diese Stadt also verwehbar, nichts als ein Blatt im Wind.
Dickbackige Engelsgesichter bliesen aus Leibeskräften. Von oben rechts, aus Nordosten blies die bora, von der Lagune die salsa. Aus Südwesten kam der garbin. Der Garbin, da kann man sagen, was man will, ist ein überaus charmanter Wind, das wusste schon der heilige Bernardino von Siena. 1427 fragte er einen Bischof: »Wart Ihr je in Venedig? Manchmal erhebt sich des Abends ein leichter Wind, der über die Oberfläche der Wellen hinwegstreicht und dabei einen Klang macht, den man die Stimme des Wassers nennt.« Und Bernardino von Siena vermutete, es handle sich näherhin um den Atem Gottes.
Der berühmteste Wind Venedigs aber kommt nicht aus Südwesten, sondern aus Südosten: der scirocco, und er ist eher kein Atem Gottes.
Die Germanisten mögen etwas anderes sagen, aber in Thomas Manns Tod in Venedig geht es eigentlich nur darum, woher der Wind weht. Gustav von Aschenbach wäre der Tod in Venedig erspart geblieben, hätte er den Vorsatz vom Tag seiner Ankunft befolgt: ». wenn der Wind nicht umschlug, war seines Bleibens hier nicht.« Dabei war Thomas Mann der Unterschied zwischen dem scirocco di levante und dem scirocco di ponente und dem scirochetto gewiss nur ungenügend bewusst. Doch schon in den Zeiten der Pest hatte der Scirocco keinen besseren Ruf, ganz im Gegensatz zur bora. Wer die Pest überleben wollte, musste ein Nordfenster besitzen und niemand anderen hereinlassen als die klare, kühlende bora.
Hält man die Hand in den Luftzug, der über die Lagune von Venedig streicht, und murmelt in Gegenwart Einheimischer etwas von »bora« oder »scirocco di ponente«, kann ein plötzliches Leuchten in ihren Gesichtern erscheinen. Endlich einmal kein Tourist!
Vielleicht kann man den Grad der Kultiviertheit eines Volkes daran ablesen, wie viele Namen es für Wind hat. Die Deutschen kennen gewöhnlich nur Nord-, West-, Süd- und Ostwind, es ist ein sehr barbarisches Volk. Es hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, diesen vieren Namen zu geben, geschweige denn ihren Geschwistern. Wenn sie einen Nordostwind meinen, sagen sie »Nordnordost«.
Nur für einen Wind haben sie einen Namen, es ist ein Südwind: Föhn. Obwohl auch das kein wirklicher Name ist, schon gar kein eigener. Föhn kommt wohl von favonius, bei den Römern war das ein lauer Westwind. Entscheidend ist, dass dieser Wind, wenn er von der Lee-Seite eines Gebirges herabweht, zugleich trockener und wärmer wird. Lee ist ein Elementarbegriff der Windsprache, er meint die windabgewandte Seite. Und kaum Schwebstoffe sind in der Luft.
Föhn herrscht also, wenn München aussieht, als läge es direkt vor den Alpen. Was für eine Fernsicht! Wenn die Luft in Basel aber mitten am Tag magisch orange scheint wie von surrealen Schleiern verhangen und auf den Autodächern manchmal schon im März statt Schnee ein feiner Sand liegt, dann ist das garantiert kein Föhn, sondern der Scirocco. Original Sahara-Sand, ein Gruß aus der Wüste. Wie aber kommt die Sahara nach Basel?
Und wieso weht der Wind in Basel überhaupt aus der Sahara? Müsste er nicht direkt vom Äquator kommen?
Im Prinzip schon, nur wird das nie was. Und gewöhnlich schafft es ein Wüstenwind ohnehin nicht bis nach Basel. Das wusste auch ein junger Mann, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Vereinigten Königreich Rechtsanwalt wurde und sich für nichts so sehr interessierte wie für die Frage, woher, wie weit und wie lange der Wind weht. Dass alle Winde auf der Nordhalbkugel nach Norden wollen, ist begründbar,...
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