9.
Es war Anfang Februar und das Treiben der Wintervergnügungen flott im Gange, als der Rittmeister von Werthern eines Abends, mit Emilie aus einer Gesellschaft vor seinem Hause ankommend, in ironischem Tone sagte:
"So, meine heißgeliebte Gemahlin, da wären wir!" Er schloß die Hausthür auf, ließ sie eintreten und fuhr fort: "Eben elf Uhr; solch ein angebrochener Abend ist schändlich langweilig; ich gehe noch in den 'Erbprinzen', mit Dero Permiß, meine Gnädige!"
Eine Entgegnung nicht abwartend, schloß er hinter seiner Frau das Haus zu, steckte den Schlüssel in die Tasche und stampfte pfeifend durch den Schnee dem erwähnten Wirthshause zu.
Emilie ging im Flure an einen Tisch, auf welchem ein kleines Oellämpchen brannte, um ihr daneben stehendes Licht an demselben zu entzünden und damit ihr Schlafzimmer aufzusuchen. Sie hatte sich in der Gesellschaft sehr gut amüsirt; vom Herzoge war sie wie immer ausgezeichnet, die anderen Männer folgten denn hohen Beispiele, sie war, das fühlte sie, die gefeiertste Dame ihres Kreises, und doch kam sie leer, verwirrt, tief innerlich unbefriedigt zurück. Jetzt wieder, als sie daran dachte, daß Werthern nichts für sie gehabt habe, als Ironie und Kälte, durchschauerte sie's so schmerzlich, daß ihre Hand bebte, als sie den Docht ihres Lichts dem des Lämpchens näherte, und siehe da, der starre Docht des Lichts verlöschte die schwache Flamme der Lampe!
Das war damals, wo es keine Zündhölzer gab, eine große Unannehmlichkeit.
Ein leiser Angstruf entfuhr ihr, sie fürchtete sich im Dunkeln und dachte zugleich mit Schreck an das Gezänk ihres Mannes, wenn er, spät nach Hause kommend, das gewohnte brennende Lämpchen nicht an seinem Platze finden würde. Was beginnen? Ihr Mädchen schlief auf dem Boden, des Dieners Quartier lag am Pferdestall auf dem Hofe. Hier unten gab es nur ihren Miether, den Bergrath von Einsiedel, und allerdings, durch die Fugen seiner Stubenthür schimmerte noch Licht; sie wußte, daß der fleißige Forscher bis spät in die Nacht hinein arbeitete, aber um die Welt hätte sie nicht an sein Zimmer klopfen und ein Fünkchen Licht erbitten mögen.
Sie entschloß sich also im Dunkeln die Treppe hinauf zu tappen und den Zorn ihres Mannes über sich ergehen zu lassen, und so schritt sie in der Richtung vor, in welcher auf dem dunklen Flure ihrer Meinung nach die Treppe liegen mußte.
Die Richtung war aber verfehlt; sie stieß an den Korb mit Holz, der neben einem Kamin stand, und klappernd fiel der überhäufte Korb um. Bebend vor Schreck lehnte sie daneben an der Wand, als die Thür ihres Hausgenossen sich öffnete und der Bergrath von Einsiedel mit dem Lichte in der Hand heraustrat. Er sah sich mit seinem ruhigen Blicke suchend um.
"Ach, Sie sind es, Frau von Werthern," sagte er in artigem Tone. "Ihnen ist das Licht verlöscht; warum haben Sie mich nicht gerufen, ich bin ja so gern zu Ihren Diensten."
Nach diesen Worten zündete er ihr Licht und auch das Lämpchen an. Sie war an den Tisch herangetreten, ihr Mantel lag neben dem Holzkorbe, ein Spitzentuch, das sie um den Kopf getragen hatte, war zurückgefallen, ihre Wangen brannten und ihre schönen Augen erhoben sich mit demüthig innigem Ausdrucke zu den seinen. Er sah sie mit bewegten Mienen an; sie las in seinen Blicken, daß er sie reizend finde. In Gesellschaften wurde sie weniger tief von diesem Tribut männlichen Wohlgefallens berührt, weil sie daran gewöhnt und dies die übliche Münze im Kleinhandel der Koketterie war. Hier aber, in nächtlicher Stille und Einsamkeit, diesem ernsten Gelehrten gegenüber, der ihr bisher scheinbar gar keine Beachtung gegönnt hatte, berührte sie dieser Ausdruck seiner Züge bis in's tiefste Herz hinein. So standen sie ein paar Sekunden, ohne daß es Beide recht wußten, im stummen Anschauen neben einander.
Endlich sagte er mit unsicherer Stimme:
"Darf ich Ihnen eine gute Nacht wünschen?" verneigte sich und ging.
Sie hauchte: "Ich danke Ihnen!" nahm ihren Mantel über den Arm und stieg die Treppe hinan.
Er folgte ihr - die Thürklinke in der Hand - mit seinen Blicken.
Da - fast war sie oben angekommen - fiel ihr das Licht vom Leuchter, rollte ein paar Stufen hinunter und erlosch. Sie schrie laut auf, und er stürzte vor, es aufzuraffen und ihr noch einmal anzuzünden.
Der Treppe gegenüber lag ihre Zimmerthür; er öffnete sie, und Beide standen jetzt neben dem runden Tisch vor ihrem kleinen Kanapee. Er setzte ihr Licht auf den Tisch und sagte lächelnd:
"Jetzt sind Sie in Sicherheit. Sind Sie recht froh gewesen heute Abend? Ich glaube, man ist jetzt lustig in Weimar."
"Ein tolles Treiben, von Einem zum Andern," entgegnete sie mit dem Tone der Abneigung, die sie in der That in diesem Augenblicke und diesem Manne gegenüber für die rauschende Geselligkeit empfand.
"Was haben Sie in der nächsten Zeit vor?" fragte er weiter.
"Morgen, am Sonntage, Schlittenfahrt nach Tiefurt zum Kaffee, Abends wahrscheinlich noch Tanz. Montag am Morgen bei Steins Theaterprobe; Abends Gesellschaft bei Oberhofmarschall von Witzleben. Und am Dienstage ist ja die große Maskerade."
"Ich möchte auch einmal vergnügt sein und mit Ihnen tanzen, obgleich ich´s kaum noch kann -" sagte er, verloren in ihren Anblick, und fast wie zu sich selbst sprechend. "Verrathen Sie mir Ihr Costüm auf der Redoute, und verschmähen Sie mich nicht, wenn ich komme, um eine Tour zu bitten."
Sie sagte ihm, daß sie als maurische Fürstin erscheinen werde, und versprach mit strahlendem Lächeln, soviel mit ihm zu tanzen, wie er möge.
"Gut denn!" rief er, indem er rasch ihre Hand an seine Lippen zog, "so will auch ich einmal froh sein und in derselben Weise glücklich, wie es Andere sind!" Mit diesen Worten stürmte er fort.
Seltsam bewegt ja mit laut klopfenden Pulsen ging Emilie zur Ruhe und suchte vergebens, der Bewegung Herr zu werden, welche diese unerwartete Begegnung verursacht hatte.
10.
Am Dienstag Nachmittag stand Luise von Göchhausen in ihrem kleinen Zimmer im Wittthumspalais neben einem Tisch, auf dem ihre alte Schulzin eben das von ihr gefertigte Maskeradencostüm für die junge Herrin ausbreitete. Luise war klug genug zu wissen, daß sie sich nicht wie schlankgewachsene, schöne Mädchen kleiden dürfe; ebenso wußte sie, daß man ihre kleine Gestalt, ihre schiefe Schulter unter allen Verhüllungen heraus erkenne; es kam für sie also nur darauf an, etwas Drolliges, Originelles zu erfinden. Sie hatte einen feuerrothen Domino gewählt, und um dieser Wahl etwas Charakteristisches zu geben, wollte sie ein "Flämmchen" vorstellen. Sie hatte sich eine spannenlange Flamme malen und diese an einem goldenen Reif befestigen lassen, welchen sie um den Kopf trug, dazu nahm sie nur eine schwarze Florbrille und keine Maske; wozu diese Unbequemlichkeit, zu erkennen war sie ja doch!
Sie fand, indem sie jetzt ihren Stirnreif vor dem Spiegel anprobirte, daß die Flamme ihr nicht übel stand, das kecke Gesichtchen sah koboldartig, aber pikant darunter hervor.
"Hör mal, Altsche," sagte sie jetzt überlegend zur Schulzin, "der Herzog hat ehgestern in Tiefurt und gestern Abend bei Witzlebens wiederholt versichert, ich werde nicht auf die Maskerade kommen, er spielt mir also, davon sei überzeugt, irgend einen Possen. Ich war diesen Morgen in der breiten Gasse. Onkel Wilhelm geht auch zu der Hofmaskerade, er sagte, daß er ein sehr würdiges Costüm bereit habe. Ich stellte ihm vor, daß er von meiner herzoglichen Portechaise profitiren und den Thaler für seine Sänfte sparen könne; wenn er meinen Trägern eine Kleinigkeit gäbe, wäre das ausreichend. Er solle auch zuerst hinbefördert werden. Dies alles leuchtete ihm sehr ein. Nun müsse ich mich aber bei ihm ankleiden, sagte ich, denn sonst könne ich die Portechaise nicht dorthin bestellen. Er war's zufrieden, und ich hoffe, wir ziehen so den Kopf aus der Schlinge! So wie es dämmert, nimmst Du meine Garderobe und gehst voran. Um fünf Uhr entläßt mich die Herzogin, dann folge ich Dir unbemerkt; wenn also der Herzog irgend einen Schabernack plant, mir die Thür zunageln oder sonst einen Unsinn machen will, ist der Vogel ausgeflogen."
"O je, wie Du klug bist, Kind," sagte die alte Zofe mit vor Bewunderung glänzenden Augen.
"Der Träger sind wir doch sicher?"
"Ich habe sie bestellt, sie ließen noch niemals warten; nun muß ich natürlich noch vorgehen und sagen, daß sie zu unserm Onkel kommen."
"Thue das! Und - mir liegt doch sehr daran auf dem Balle zu sein - wie wär's, wenn wir eine Viertelstunde später die Portechaise nach der breiten Gasse bestellten, die der Oberkämmerer gewöhnlich nimmt? denn sieh nur den aufgelösten Schnee, gehen könnte ich in Ballschuhen keinenfalls. Läßt uns also die Hofportechaise auf Ordre des Herzogs im Stich, so kann die gemiethete erst Onkel und dann mich hintragen."
"Das ist ganz vernünftig bedacht, aber Du wirfst einen Thaler hinaus."
"Lieber das, als meine Wette mit dem Herzoge verlieren."
Die Schulzin ging, um die beiden verschiedenen Sänften zu bestellen, und machte sich dann heimlich, unter einem großen Regenschirm, mit dem in ein Tuch geschlagenen Anzug ihrer Dame auf den Weg zur Wohnung des Herrn von Göchhausen.
Zur festgesetzten Zeit standen Oheim und Nichte festlich gekleidet im Zimmer des alten Herrn.
"Wie findest Du mich, Luise?" fragte er, indem er sich selbstgefällig von oben herunter beäugelte.
Er stellte einen Malteserritter in Gala vor; über weißen Seidenschuhen mit rothen Hacken trug er weiße seidene Strümpfe und ein ebensolches Beinkleid; ein Wams von schwarzem...