Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Shaw manövrierte sein neun Meter langes Winnebago-Wohnmobil durch die gewundenen Straßen von Gig Harbor im Bundesstaat Washington.
Der etwa siebentausend Einwohner große Ort wirkte sowohl idyllisch als auch ein wenig heruntergekommen. Wie der Name besagte, handelte es sich um einen Hafen, gut geschützt und mit dem Puget Sound durch eine schmale Durchfahrt verbunden, auf der nun Freizeit- und Fischerboote entlangglitten. Der Winnebago rollte an mehreren Fabriken und Werkstätten vorbei, teils noch in Betrieb, teils schon lange stillgelegt, die alle mit dem Bau von Booten oder deren unzähligen Bestand- und Zubehörteilen zu tun hatten. Für Colter Shaw, seit jeher eine echte Landratte, sah es so aus, als könne man jede Minute eines jeden Tages damit zubringen, ein Boot zu warten, zu reparieren, zu putzen und zu verwalten, ohne auch nur ein einziges Mal damit in See zu stechen.
Ein Schild kündigte die Segnung der Flotte in der Mitte des Hafenbeckens an, doch die Daten verrieten, dass die Zeremonie bereits vor einigen Tagen stattgefunden haben musste.
SPORT- UND FREIZEITBOOTE SIND WILLKOMMEN!
Der Branche ging es vielleicht nicht mehr so gut wie früher, und die Organisatoren wollten das Ereignis dadurch aufwerten, dass sie Anwälte, Ärzte und Geschäftsleute mit ihren Kabinenkreuzern in den Kreis der Fischerboote aufnahmen - immer vorausgesetzt, die Segnung fand tatsächlich in einer Kreisformation statt.
Shaw, ein professioneller Prämienjäger, war wegen eines Auftrags hier - so bezeichnete er für gewöhnlich seine Tätigkeit. Fälle wurden von Polizisten untersucht und von Staatsanwälten vor Gericht gebracht. Wenngleich Shaw in den letzten Jahren eine Vielzahl von Straftätern verfolgt hatte und womöglich einen guten Detective abgegeben hätte, wollte er sich nicht den Hierarchien und Vorschriften unterwerfen, die mit einer solchen Anstellung einhergingen. Es stand ihm frei, Aufträge ganz nach Belieben anzunehmen oder abzulehnen. Und er konnte sie auch jederzeit abbrechen.
Diese Freiheit bedeutete ihm viel.
So dachte Colter Shaw nun über das Hassverbrechen nach, das ihn hergeführt hatte. Auf der ersten Seite des Notizbuchs, das er bei diesen Ermittlungen führen würde, standen die Informationen, die seine Disponentin ihm mitgeteilt hatte:
Ort: Gig Harbor, Pierce County, Washington State.
Prämie ausgesetzt für Informationen zur Ergreifung und Verurteilung zweier Personen:
Sachverhalt: In dem Bezirk hat sich eine Reihe von Hassverbrechen ereignet, darunter Schmierereien (Hakenkreuze, die Zahlen 88 [Nazi-Symbol] und 666 [Zeichen des Teufels]) auf Synagogen und einem halben Dutzend Kirchen, vornehmlich mit überwiegend schwarzen Gemeinden. Am 7. Juni wurde die Brethren Baptist Church von Gig Harbor verunstaltet und ein brennendes Kreuz davor aufgepflanzt. Ursprünglich wurde vermeldet, die Kirche selbst sei in Brand gesteckt worden, aber das entsprach nicht der Wahrheit. Ein Hausmeister und ein Laienprediger (William DuBois und Robinson Estes) liefen nach draußen und stellten sich den zwei Verdächtigen entgegen. Harper schoss die beiden Männer daraufhin mit einer Faustfeuerwaffe nieder. Der Prediger konnte inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen werden, der Hausmeister liegt weiterhin auf der Intensivstation. Die Täter sind mit einem roten Toyota Pick-up geflohen, zugelassen auf Adam Harper.
Beteiligte Behörden: das Amt für Öffentliche Sicherheit des Pierce County in Abstimmung mit dem US-Justizministerium, das derzeit prüft, ob es sich um ein Hassverbrechen in Zuständigkeit des Bundes handelt.
Anbieter und Höhe der Belohnung:
Besonderheiten: Dalton Crowe ist auf die Belohnung aus.
Dieser letzte Umstand gefiel Shaw gar nicht.
Crowe war ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse. Der Mittvierziger hatte nach seinem Militärdienst eine Sicherheitsfirma an der Ostküste eröffnet, damit aber wenig Erfolg gehabt und den Laden wieder geschlossen. Seitdem arbeitete er als freier Sicherheitsberater, Söldner und von Zeit zu Zeit auch als Prämienjäger. Shaws und Crowes Wege hatten sich mehrere Male gekreuzt, bisweilen auch gewaltsam. Sie gingen diesen Beruf unterschiedlich an. Crowe interessierte sich so gut wie nie für vermisste Personen, sondern jagte stets gesuchte Verbrecher oder entflohene Strafgefangene. Wenn man einen solchen Flüchtigen mit einer legalen Waffe und in Notwehr erschoss, bekam man trotzdem die Belohnung und landete meistens nicht hinter Gittern. Mit diesem Ansatz war Crowe das genaue Gegenteil von Shaw.
Shaw war sich nicht sicher gewesen, ob er den aktuellen Auftrag übernehmen wollte. Zwei Tage zuvor hatte er noch auf einem Gartenstuhl im Silicon Valley gesessen und eigentlich geplant, einer anderen Angelegenheit nachzugehen. Diese zweite Mission war persönlicher Natur und hatte mit seinem Vater und einem Geheimnis aus der Vergangenheit zu tun - einem Geheimnis, für das Shaw sich beinahe ein paar Kugeln in Ellbogen und Kniescheiben eingefangen hätte, aus der Pistole eines Killers mit dem komischen Namen Ebbitt Droon.
Das Risiko, verletzt zu werden, schreckte Shaw jedoch nicht ab, zumindest nicht, solange es sich in vernünftigem Rahmen hielt. Daher wollte er die Suche nach dem versteckten Schatz seines Vaters auch unbedingt fortsetzen.
Dann aber war er zu dem Schluss gelangt, dass die Ergreifung zweier offenkundiger Neonazis Priorität besaß, zumal die beiden bewaffnet waren und bereit schienen, über Leichen zu gehen.
Das Navigationsgerät lotste ihn nun durch die hügeligen und kurvenreichen Straßen von Gig Harbor, bis er die gesuchte Adresse fand, ein hübsches eingeschossiges Wohnhaus, dessen heiterer gelber Anstrich in krassem Gegensatz zu dem wolkenverhangenen grauen Himmel stand. Shaw sah in den Spiegel und strich sich das kurze, eng anliegende blonde Haar glatt. Es war nach einem zwanzigminütigen Nickerchen etwas zerzaust, Shaws einziger Pause während der zehnstündigen Fahrt von San Francisco hierher.
Er hängte sich seine Computertasche über die Schulter, stieg aus dem Wohnmobil, ging zur Haustür und klingelte.
Larry und Emma Young baten ihn hinein, und er folgte dem Ehepaar ins Wohnzimmer. Shaw schätzte die beiden auf Mitte vierzig. Ericks Vater hatte schütteres graubraunes Haar und trug eine beigefarbene Stoffhose sowie ein kurzärmeliges, makellos weißes T-Shirt. Er war glatt rasiert. Emma kaschierte ihre Figur mit einem rosafarbenen Glockenkleid. Sie hatte für den Besucher frisches Make-up aufgelegt, ahnte Shaw. Verschwundene Kinder bedeuteten einen großen Einschnitt, sodass regelmäßige Duschen und persönliche Kleinigkeiten oft vernachlässigt wurden. Nicht so hier.
Zwei Stehlampen verbreiteten Kreise aus heimeligem Licht im ganzen Raum. Die Tapete trug ein Muster aus gelben und rostbraunen Blumen, und auf der dunkelgrünen Auslegeware lagen orientalisch anmutende Teppiche, wie man sie im Baumarkt bekam. Ein angenehmes Zuhause. Bescheiden.
An einer Garderobe neben der Tür hing eine braune Arbeitsjacke. Sie war aus dickem Stoff und ziemlich fleckig. Auf der Brust war der Name Larry eingestickt. Shaw vermutete, dass der Mann als Mechaniker arbeitete.
Auch die Eheleute nahmen Shaw prüfend in Augenschein: das Sakko, die schwarze Jeans, das graue Button-Down-Hemd, die schwarzen Slipper. Also mehr oder weniger seine gängige Berufskleidung.
»Bitte setzen Sie sich, Sir«, sagte Larry.
Shaw entschied sich für einen bequemen, dick gepolsterten Lehnsessel aus leuchtend rotem Leder. Die Youngs nahmen gegenüber von ihm Platz. »Haben Sie seit unserem Gespräch etwas von Erick gehört?«
»Nein, Sir«, sagte Emma Young.
»Was ist der letzte Stand seitens der Polizei?«
»Er und dieser andere Mann, Adam, sind angeblich noch irgendwo hier in der Gegend«, sagte Larry. »Der Detective glaubt, dass die beiden Geld zusammenkratzen, also es sich irgendwo leihen oder vielleicht stehlen .«
»So etwas würde er nicht tun«, warf Emma ein.
»Das denkt aber die Polizei«, erklärte Larry. »Ich sage doch nur, was die mir erzählt haben.«
Die Mutter schluckte schwer. »Er hat noch nie . Ich meine, ich .« Sie fing an zu weinen - erneut. Ihre Augen waren bei Shaws Ankunft zwar trocken, aber gerötet und angeschwollen gewesen.
Er zog ein Notizbuch aus der Computertasche und nahm seinen Delta-Titanio-Galassia-Füllfederhalter schwarz, mit drei orangefarbenen Ringen zur Spitze hin. Shaw wollte mit dem Schreibgerät weder angeben, noch empfand er es als besonderen Luxus. Er machte sich im Verlauf seiner Aufträge nur umfangreiche Notizen und musste seine Hand dabei auf diese Weise weniger anstrengen. Außerdem bereitete das Schreiben ihm so ein wenig Freude.
Shaw notierte sich nun das Datum und die Namen der...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.