Schweitzer Fachinformationen
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In den Mooren Yorkshires lebt eine geheime Gruppe von Menschen, für die Bücher Nahrung sind, die alles verschlingen, was darin steht. Devon gehört dazu - bis ihr Sohn mit einer dunkleren Art von Hunger geboren wird: nicht nach den Geschichten in Büchern, sondern nach denen in den Köpfen der Menschen. Er ist ein 'Seelenfresser', eine 'Abart', die meist schon bei der Geburt gnadenlos getötet wird. Doch Devon schwört ihn zu retten und flieht mit ihm in die Welt der Menschen, verfolgt vom eigenen Clan und seinen schrecklichen Handlangern, den 'Rittern'. Um zu überleben, ist sie gezwungen, schlimme Dinge zu tun. Hoffnung verspricht nur ein mysteriöser zweiter Clan. Doch die Hoffnung trügt ...
*
Wir haben gerade erst begonnen, uns in einer seltsamen Gegend zurechtzufinden; wir müssen damit rechnen, seltsamen Abenteuern, seltsamen Gefahren zu begegnen.
Arthur Machen, Der Schrecken
In diesen Tagen kaufte Devon nur drei Dinge in den Läden: Bücher, Schnaps und Sensitive-Care-Hautcreme. Die Bücher aß sie, der Schnaps hielt sie bei Verstand, und die Lotion war für Cai, ihren Sohn, bestimmt. Er litt gelegentlich unter Ekzemen, besonders im Winter.
In diesem Minimarkt gab es keine Bücher, nur Reihen greller Illustrierter. Nicht nach ihrem Geschmack, und außerdem hatte sie zu Hause genug Bücher zum Essen. Ihr Blick schweifte über die Softpornos, Elektrowerkzeuge und Wohnzeitschriften hinunter in die unterste Reihe, wo pink und gelb die Kinderzeitschriften glänzten.
Mit kurzen, rissigen Fingernägeln fuhr Devon über die Titelseiten. Sie überlegte, ob sie eine Zeitschrift für Cai kaufen sollte, weil er so etwas derzeit gern zu lesen schien, entschied sich aber dagegen. Nach heute Nacht mochten sich seine Vorlieben ändern.
Sie ging zum Ende des Gangs, wobei das Linoleum unter den Absätzen ihrer Stiefel quietschte, und stellte ihren Korb an der Kasse ab. Vier Flaschen Wodka und ein Tiegel Hautcreme.
Der Kassierer linste in den Korb und dann wieder auf sie. »Ham S' 'n Ausweis?«
»Wie bitte?«
»Haben - Sie - einen - Ausweis?«, wiederholte er langsam, als spräche er mit einer Schwerhörigen.
Sie starrte ihn an. »Ich bin neunundzwanzig, um Himmels willen!« Und jedes Jahr war ihr anzusehen.
Er zuckte die Schultern und verschränkte die Arme. Wartete. Er war selbst kaum mehr als ein Kind, höchstens achtzehn oder neunzehn, das wahrscheinlich im Familienbetrieb arbeitete und alle Regeln befolgen wollte.
Verständlich, aber sie konnte ihm den Gefallen nicht tun. Devon hatte keinen Ausweis. Keine Geburtsurkunde, keinen Reisepass, keinen Führerschein; nichts. Offiziell existierte sie nicht.
»Vergessen Sie's!« Devon schob ihm den Korb so heftig zu, dass die Flaschen klirrten. »Ich hole mir woanders einen Drink.«
Aus der Fassung gebracht und verärgert stolzierte sie hinaus. Horden von Teenagern kauften ständig Schnaps in anderen Tante-Emma-Läden. Das war in dieser Gegend ein alltägliches Ereignis. Dass jemand ausgerechnet von ihr, die so eindeutig erwachsen war, einen Ausweis sehen wollte, kam ihr lächerlich vor.
Erst als sie die schlecht beleuchtete Straße überquert hatte, bemerkte sie, dass sie gegangen war, ohne die Hautcreme zu kaufen. Es war ein kleines Versäumnis, die Lotion zu vergessen, aber sie enttäuschte Cai so regelmäßig auf so viele verschiedene, unzählige Arten, dass selbst dieser winzige Fehler ausreichte, dass frische Wut in ihr hochkochte.
Sie überlegte, ob sie zurückgehen sollte, sah dann auf die Uhr: Es ging auf acht zu. Sie riskierte jetzt schon, zu spät zu kommen.
Außerdem war ein Ekzem nichts im Vergleich zu seinem Hunger. Es war viel wichtiger, ihn zu füttern.
Newcastle-upon-Tyne war eine recht hübsche Stadt, wenn auch ein wenig zu laut für Devons Geschmack. Zu dieser Jahreszeit ging die Sonne um vier Uhr nachmittags unter; der Himmel war schon völlig dunkel, und alle Lampen brannten. Das Fehlen von Umgebungslicht kam ihrer Stimmung entgegen. Zwanghaft checkte sie ihr Handy mit der kurzen Liste ihrer Kontakte. Keine SMS. Keine Anrufe.
Sie schlich an einer Reihe verfallener Reihenhäuser vorbei. Passanten trieben auf dem Bürgersteig auf und ab. Vor einem der Häuser drängten sich Menschen, die tranken und rauchten. Durch vorhanglose Fenster drang Musik nach draußen. Devon bog links von der Hauptstraße ab, um der Ansammlung aus dem Weg zu gehen.
Es gab so vieles, woran sie denken musste, wenn sie draußen und unter Menschen war. Zu tun, als ob ihr kalt wäre, gehörte dazu. Als es ihr bewusst wurde, zog sie den Mantel fester um den Körper, als würde ihr die Kälte zusetzen. Beim Gehen Geräusche zu machen war eine andere Notwendigkeit. Bewusst unbeholfen schlurfte sie dahin und ließ Kies und Schmutz unter den Absätzen knirschen. Große Stiefel halfen beim Stapfen, machten sie schwerfällig und tollpatschig wie ein Kleinkind in Gummistiefeln für Erwachsene.
Ihr Sehvermögen im Dunkeln war ebenfalls verfänglich. Sie musste daran denken, die Augen zusammenzukneifen und sich zögernd den Weg über den abfallübersäten Bürgersteig zu suchen, den sie ganz deutlich sehen konnte, musste eine Angst vortäuschen, die sie nie verspürte, von der sie aber hätte beherrscht sein müssen. Einsame Menschenfrauen bewegten sich mit Vorsicht durch die Nacht.
Kurz gesagt, Devon musste sich immer wie Beute verhalten und nicht wie die Beutegreiferin, zu der sie geworden war.
Sie beschleunigte ihre Schritte, weil sie unbedingt nach Hause wollte. Die Wohnung, die sie gemietet hatte (nur Bargeld, keine Fragen), befand sich in dem verkommenen Geschoss über einem Reifengeschäft. Tagsüber war es laut, es stank nach Öl, und man hörte die Gespräche der Kunden. Abends wurde es ruhiger, auch wenn es nicht weniger stank.
Durch die Gasse, die Treppe hoch zum Hintereingang. Es gab keine Tür zur Straße hin, und das war gut so. Es bedeutete, dass sie durch dunkle Seitengassen kommen und gehen konnte, unbeobachtet von neugierigen Blicken. Das konnten auch ihre Besucher, wenn sie solche erwartete. Ungestörtheit war von größter Wichtigkeit.
Devon fischte nach einem Schlüsselbund, der ihr an einer Schnur um den Hals hing. Die Schnur war mit einem Messingkompass an einer Stahlkette verflochten. Sie schüttelte die Schnur frei, steckte den Schlüssel ins Schloss und kämpfte kurz mit der Tür, bevor sie eintrat.
Da weder sie noch ihr Sohn Licht brauchten, lag die Wohnung in ständiger Dunkelheit. Das sparte Energie und erinnerte ein wenig an zu Hause, an damals, als ihr Zuhause noch einladend gewesen war: die kühle, unbeleuchtete Stille von Fairweather Manor mit seinen schattigen Fluren und dämmrigen Bibliotheken.
Sie erwartete allerdings menschliche Gesellschaft und schaltete alle Lichter ein. Billige Glühbirnen erwachten flackernd zu kraftloser Helligkeit. Die Wohnung bestand lediglich aus einem klaustrophobischen Wohnbereich, einer kleinen Küchenzeile mit ausklappbarem Tisch, einem Badezimmer, das nach links abging, sowie einem abgeschlossenen Schlafzimmer zur Rechten, in dem ihr Sohn einen Großteil jeden Tages verbrachte. Sie stellte ihre Tasche im Eingang ab, hängte den Mantel an einen Haken und stapfte gut hörbar auf sein Zimmer zu.
»Cai? Bist du wach?«
Stille, dann ein kaum hörbares Schlurfen aus dem Innern.
»Keine Lotion, tut mir leid«, sagte sie. »Sie war aus. Ich besorge morgen welche, ja?«
Das Schlurfen hörte auf.
Sie war immer versucht, hineinzugehen und ihm irgendwie Trost zu spenden. In spätestens drei Wochen würde der Hunger ihn bis auf die Knochen abgezehrt haben und sein Leiden sich zu unerträglichen Qualen hochwinden, wenn sein Körper Giftstoffe produzierte. Der Wahnsinn nagte jetzt schon an seinem Verstand, unheilbar außer durch die nächste Fütterung, und selbst nach der Fütterung würde das Verlangen allgegenwärtig bleiben. Entweder würde er zusammengekauert in einer Ecke sitzen und nicht ansprechbar sein, oder er würde sie schäumend vor Wut angreifen.
Unmöglich zu sagen, welche Reaktion sie erwarten sollte, und so überprüfte sie mit zitternden Fingern sorgfältig die Riegel, statt hineinzugehen. Einer oben und einer unten, beides solide Teile, die sie selbst angebracht hatte, und ein normales Schloss, für das sie einen Schlüssel benötigte. Das Zimmer hatte kein Fenster, was an seiner ungünstigen Lage im Verhältnis zum Laden lag; dort war also keine zusätzliche Sicherung nötig. Ausnahmsweise.
Jemand klopfte an ihre Wohnungstür. Sie zuckte zusammen, ärgerte sich und sah auf die Uhr. Zehn nach acht; pünktlich auf die Minute. Gut, dass sie wegen der Lotion nicht in den Laden zurückgekehrt war.
Devon ging, um ihren Besucher hereinzulassen. Er hatte einen Namen, aber sie erlaubte sich nicht, an ihn zu denken. Es war besser, nur seine Rolle, seinen Beruf zu betrachten: der örtliche Vikar. Er brauchte nicht mehr und nicht weniger zu sein.
Nervös wartete der Vikar auf der Türschwelle. Er trug einen schwarzen und senffarbenen Mantel, der vor vierzig Jahren modern gewesen sein mochte. Er hatte freundliche Augen, ein ruhiges Auftreten und beeindruckende Geduld mit seiner zänkischen Kirchengemeinde. Er suchte keinen Körperkontakt zu Kindern, und auch nach zwei Wochen intensiven Stalkings hatte sie keine ernsthaften persönlichen Probleme gefunden. Jeder hatte kleine Laster und kleine Probleme, immer, aber das war eine Gegebenheit, und mit dem Kleinkram kam sie zurecht. Es waren ja schließlich nur Menschen.
»Danke, dass Sie gekommen sind.« Devon machte sich kleiner. Sei unruhig, zögere, und vor allem, sei verletzlich. Die todsichere Masche, auf die sie jedes Mal hereinfielen. »Ich habe nicht daran geglaubt.«
»Nicht doch!« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Wie ich Ihnen schon am Sonntag sagte, macht es mir keine Umstände.«
Devon erwiderte nichts, schaute verlegen drein und befingerte den Kompass um ihren Hals. Sie hatte dieses Gespräch oder eine Abwandlung davon schon so oft geführt, alle möglichen Varianten ausprobiert und festgestellt, dass es besser war, ihnen die Initiative zu überlassen. Wahrscheinlich hätte sie etwas Weiblicheres anziehen...
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