Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Gefahr
Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Luft im gleichen Augenblick, da mein Finger den Abzug betätigte und eine Kugel aus meiner Waffe schleuderte. Die Zeit schien angehalten. Wie angewurzelt stand ich da, immer noch aufrecht, obwohl ich innerlich zusammenbrach.
Ich wusste, dass es unmöglich war, dennoch hätte ich schwören können, dass ich sah, wie die Kugel die Luft durchpflügte. Ich konnte den Blick nicht von ihr losreißen, gleichzeitig fasziniert und entsetzt, während der Abstand zwischen ihr und der Waffe immer größer wurde. Ich hatte ein seltsames Surren in den Ohren, das alles andere übertönte, ein merkwürdiger, dumpfer Laut, der in meinem Hirn widerhallte, als die Kugel ihr Ziel erreichte.
Eigentlich hätte ich hören müssen, wie die Kugel auf eine menschliche Brust traf. Es hätte laut, nass, schmerzhaft klingen müssen. Das Zerreißen von Fleisch, das Hervorsprudeln von Blut, vielleicht auch das Knacken von ein oder zwei gebrochenen Knochen.
Das Summen in meinen Ohren jedoch wurde lauter, drohte mich völlig zu lähmen und mich in den Staub hinabzudrücken.
Obwohl meine Ohren nichts hören konnten, konnten meine Augen sehen. Starr vor Entsetzen beobachtete ich, wie die Kugel sein Shirt durchdrang, seine Haut, seine Muskeln. Sie traf ihn an der tödlichsten Stelle, direkt über dem Herzen, bevor sie sich auf den Weg zum Herzen selbst machte. Ein Schaudern erfasste mich, als das Loch sich sofort mit Blut füllte, das sein Shirt durchtränkte und auf den Boden tropfte. Er fiel auf die Knie, und sein Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde bleicher.
Leere, leblose Augen schienen ihren Blick in mich hineinzubohren. Sein Körper verharrte einen Moment, ohne vornüberzukippen. Mir drehte sich der Magen um. Wie gern hätte ich die Augen abgewandt, aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Dieser winzige Bruchteil einer Sekunde endete, als sein Körper nach vorn fiel und mit einem lauten Rums auf der Erde landete. Staub erhob sich in die Luft und mischte sich mit dem Rauch, der einem die Sicht vernebelte. Unheilverkündender Dunst um seine Gestalt zeugte von der grauenhaften Tat, die ich soeben begangen hatte.
Seine Brust regte sich nicht mehr, als er mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag. Die Blutlache unter ihm wuchs sekündlich. Es gab kein Zurück mehr.
Ich wusste, was ich getan hatte.
Jonah war tot. Einfach so.
Ich schnappte nach Luft, atmete Rauch und Staub ein, konnte mich aber noch immer nicht bewegen. Meine Muskeln waren wie erstarrt. Jeder Schlag meines Herzens sandte Dolche durch meine Adern, die meine Haut durchschnitten, mich überall durchbohrten, bis ich nicht mehr war als eine blutige, zerfleischte Masse.
Ich konnte meine Augen nicht von Jonah abwenden. Das tiefe Rot des Blutes schien sich in mein Hirn einzubrennen, und der starke Kontrast zu seinem schnell erbleichenden Körper machte das Bild umso drastischer. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber das war auch gar nicht notwendig; der letzte stumm bittende Blick, den er mir zugeworfen hatte, gefolgt von dem leeren, leblosen, als er zu Boden fiel, würde mich nie mehr loslassen. Ich würde ihn nie vergessen.
Doch dann drängte sich ein anderes Bild in den Vordergrund. Das Bild verfaulter Leiber, einige zerstückelt, einige verwest, in einer Ecke auf einen Haufen geworfen wie Lumpen. Ich sah Hände, die von Armen abgetrennt und mit Nägeln an die Wand geheftet worden waren. Und die drohenden, in Blut geschriebenen Worte an der Wand, die mich verfolgten. Vor meinen Augen hatte sich Jonah in einen von ihnen verwandelt. Die quälenden Bilder, die mein Verstand mir vorgaukelte, sollten mich für meine Untat büßen lassen.
Ich hatte meinen eigenen Bruder getötet.
Doch immer noch konnte ich mich nicht bewegen, obwohl ich spürte, wie ein Beben meinen gesamten Körper erfasste. Meine Hände zitterten, dennoch konnte ich weder die Waffe senken noch die Arme bewegen. Ich konnte immer noch nichts hören, obwohl die Welt um mich herum wahrscheinlich von chaotischem Lärm erfüllt war. Ich konnte nichts sehen außer diesem beklemmenden Nebel und dem Blut um Jonahs leblosen Körper. Ich konnte den Blick einfach nicht losreißen. Galle stieg mir in die Kehle, denn nun revoltierte auch mein Magen, aber ich schaffte es nicht einmal, mich vornüberzubeugen und zu erbrechen.
Ich spürte, wie mein Bewusstsein sich vor der Außenwelt abschottete, um mich vor der Erkenntnis meiner eigenen Untat zu schützen. Nun zitterten meine Hände so heftig, dass ich glaubte, meine Waffe gleich fallen zu lassen. Meine Beine waren so schwach, dass sie jeden Augenblick nachzugeben drohten. Schmerzhaft durchschnitt die Luft meine Lungen, und mein Herz pochte entweder wie rasend oder gar nicht.
Ich konnte es nicht auseinanderhalten.
Gerade als ich jegliche Hoffnung aufgeben und mich der entsetzlichen Qual hingeben wollte, die mich zu überwältigen drohte, tauchte eine Gestalt aus der Wolke aus Staub und Rauch auf. Eine vertraute Hand umfasste die meine und nahm mir die Waffe ab. Er verwob seine langen Finger mit meinen und zog an meinem Arm, um mich so schnell wie möglich vom sichtbaren Beweis dessen, was ich getan hatte, fortzubringen.
Die Hitze seiner Berührung riss mich aus meiner Erstarrung, und so plötzlich, als habe jemand mich aus einem Vakuum geholt, konnte ich wieder hören und nahm die Laute um mich herum wahr. Meine Füße schienen am Boden festzukleben, als meine Sinne ihre Arbeit wieder aufnahmen. Er versuchte, mich fortzuzerren, aber ich stand unter Schock und rührte mich nicht. Seine Lippen bewegten sich, und ich hörte seine Stimme.
Hayden.
»Wir müssen hier weg, Grace.«
Es klang drängend und entschlossen, und offensichtlich bemühte er sich, um meinetwillen so ruhig wie möglich zu bleiben. Trotzdem war der verzweifelte Wunsch, uns von hier fortzuschaffen, mehr als offensichtlich.
»Grace, komm schon, beweg dich«, mahnte er und zerrte erneut an meinem Arm. Doch ich starrte ihn nur an. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. In meinem Kopf herrschte undurchdringlicher Nebel - entweder durch zu viele Gedanken oder zu wenige.
Ich konnte mich nicht regen, obwohl ich jetzt den erbarmungslosen Lärm um uns herum durchaus wahrnahm. Schüsse, Schreie, Kampfgeräusche, Feuer und vieles mehr nahm mich von allen Seiten in Beschlag. Es war hundertmal lauter als die seltsame surrende Stille von vor wenigen Sekunden.
»Mein Gott«, murmelte Hayden leise.
Blicklos sah ich, wie er sich unsere beiden Waffen hinten in den Hosenbund stopfte und in die Hocke ging. Mir blieb gar nicht genug Zeit, um mir darüber klar zu werden, was er vorhatte, da spürte ich schon seine Arme um mich, und er hob mich hoch. Er legte meine Beine über seinen Unterarm, schlang meine Arme um seinen Hals, hielt mich fest an seiner Brust und fing an zu rennen.
Er bewegte sich verzweifelt schnell, denn offensichtlich schwebten wir noch immer in großer Gefahr. Doch ich konnte immer noch nicht reagieren. Jeder seiner Schritte rüttelte meinen Körper durch, und der emotionale Schmerz ging in körperlichen über. Es fühlte sich beinahe so an, als sei ich verletzt.
»Halt dich fest, Grace«, befahl er so ruhig wie möglich.
Es gelang mir, meine Arme etwas fester um seinen Hals zu schlingen, aber es reichte nicht. Ich rutschte ein wenig herunter, während er mit mir auf den Armen so schnell wie möglich weiterrannte. Als ein schrilles Pfeifen nur wenige Zentimeter über unseren Köpfen ertönte, wurde mir mit einem Mal klar, wie real die Gefahr tatsächlich war. Ich sog scharf den Atem ein und blinzelte heftig, versuchte zum ersten Mal, seit ich den Abzug betätigt hatte, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Lass mich runter«, keuchte ich.
Hayden seufzte erleichtert. Sicher nicht, weil er mich jetzt nicht mehr würde tragen müssen, sondern weil meine Benommenheit gewichen war. Er stellte mich so schnell und sanft wie möglich auf die Füße. Dann nahm er meine Hand und zog mich weiter, sprintete los, und endlich gehorchten mir auch meine Beine wieder. Er zerrte eine Waffe aus dem Hosenbund und gab sie mir. Die andere nahm er selbst.
Wieder eine surrende Kugel, die uns um ein Haar verfehlte, als wir die Straße entlanghasteten, die mit mehr Schutt und Hindernissen übersät war als zuvor. Mir drehte sich vor Entsetzen der Magen um, als ich bemerkte, dass Hayden und ich die Einzigen waren, die hier entlang flohen.
»Wo sind .«
»Runter!«, schrie Hayden und riss mich zu Boden.
Er hatte sich gerade über mich geworfen, seine Brust an meinem Rücken, als ein weiteres schrilles Pfeifen über uns ertönte. Wie zuvor folgte dem beinahe sofort ein ohrenbetäubendes Dröhnen, als etwas auf die Trümmer vor uns traf. Die Explosion spie Feuer und Schutt in die Luft.
Anscheinend war den Brutes die Munition für ihre Bazooka immer noch nicht ausgegangen.
Ich hustete und prustete ein paar Mal, versuchte, mir den Schmutz aus den Augen zu wischen. Hayden hatte sich etwas schneller erholt und verschwendete keine Zeit, um mich wieder auf die Füße zu zerren.
»Komm schon!«, drängte er und warf einen flüchtigen Blick über die Schulter.
Wieder sprinteten wir los. Aufgrund der neuerlichen Explosion war die Luft sogar noch undurchdringlicher als zuvor, sodass es noch schwerer war, etwas zu sehen oder zu atmen. Ich zerrte mein Shirt hoch und hielt es mir als Atemschutz vor die Nase, aber das Tanktop bot nur wenig Schutz. Hayden packte meine Hand fester denn je, während er mich durch das Kriegsgetümmel führte, Schutthaufen und schwerem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.