Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich lese nur gebrauchte Bücher.
Ich lehne sie gegen den Brotkorb, blättere die Seite mit einem Finger um, und sie bleibt liegen. So kaue ich und lese.
Neue Bücher sind aufdringlich, die Seiten halten nicht still, sodass man sie umblättern kann, sie leisten Widerstand, und man muss sie herunterdrücken, damit sie liegen bleiben. Gebrauchte Bücher haben nachgiebige Rippen, die Seiten werden gelesen und umgeschlagen, ohne sich wieder aufzurichten.
So setze ich mich in der Trattoria zum Mittagessen immer auf denselben Stuhl, verlange Suppe und Wein und lese.
Es sind Romane, die auf See spielen, Abenteuer im Gebirge, keine Stadtgeschichten, denn die hab ich schon in meiner Umgebung.
Ich hebe die Augen, wegen eines kurzen Sonnenreflexes im Glas der Eingangstür, wo sie zu zweit eintreten, sie umgibt der Eindruck von Wind, ihn der von Asche.
Ich kehre zur Seefahrergeschichte zurück: Es herrscht ein wenig Sturm, Stärke acht, der junge Mann isst genüsslich, während die anderen sich übergeben. Dann geht er hinaus auf die Brücke und hält sich gut fest, weil er jung ist, allein und fröhlich im Sturm.
Ich wende meinen Blick ab, um rohen Knoblauch über die Suppe zu verteilen. Ich nehme einen kleinen Schluck vom herben, holzigen Roten.
Ich blättere fügsame Seiten um, esse langsam, Löffel für Löffel, dann hebe ich den Kopf vom Weiß des Papiers und des Tischtuchs und folge der Linie der Kacheln an der Wand, die sich rund um den Raum zieht und hinter zwei schwarzen Pupillen einer Frau vorbeiläuft, die auf dieser Linie wie zwei von der untersten Notenlinie zerteilte »e« sitzen. Sie sind direkt auf mich gerichtet.
Ich hebe das Glas auf die gleiche Höhe und lasse es eine Weile erhoben, bevor ich trinke. Die Ausrichtung der Linien treibt mir den Anflug eines Lächelns in die Wangenknochen. Die Geometrie der Dinge um uns herum bewirkt Zufälle, Begegnungen.
Die Frau lächelt mich offen an.
Der Mann fängt das Zuprosten mit dem Rücken ab, beugt den Oberkörper, den Ellenbogen voran, der Wirt weicht ihm mit einer Hüftbewegung aus, als er mir einen Teller bringt. Bevor der energische Wirt seine halbe Drehung beendet hat, räuspere ich mir einen Gruß an die Frau aus der Kehle, als wäre sie eine Bekannte. Sie antwortet auf die gleiche Weise, während der Mann mich genau fixiert.
Unterdessen trinke ich, stecke die Nase wieder in den Teller, lese und schlucke abwechselnd.
Die Arbeiter verlassen die Gastwirtschaft, ich bleibe länger, ich muss nicht zur vollen Stunde wieder anfangen.
Heute will ich mit dem Beschneiden fertig werden und die abgeschnittenen Zweige aufhäufen. Morgen verbrenne ich sie.
Die Frau steht auf und kommt rasch und freimütig geradewegs auf meinen Platz zu.
Ich richte meinen Blick nach oben, schaue ihr direkt in die Nase, wo die Nasenflügel ein wenig Luft ausstoßen, die ihre Worte begleitet: »Meine Telefonnummer hat sich geändert, ruf mich unter dieser hier an«, und sie lässt mir einen Namen und eine Zahl auf dem Tischtuch. Ich lege die Hand darauf. Sie ist nur fast sauber, ich mache mich nicht fein für die Mittagspause.
Ich betrachte sie, wie sie aufrecht dasteht, erhebe mich und sage, um mit ihrer Improvisation mitzuhalten: »Ich freue mich immer, wenn ich dich sehe.« Sie legt beide Hände um meine, »Grüß zu Hause«, »Danke, ich werd's ausrichten«, der andere ist am Ausgang, sie dreht sich um, und ich setze mich wieder hin.
Welcher Teufel reitet mich bloß, danke, ich werd's ausrichten, ein lebendig Einbalsamierter wie ich: Wem denn? Ich habe niemanden.
Was will eine wunderbare Frau von einem fünfzigjährigen Gärtner, der im hintersten Winkel einer Gastwirtschaft sitzt? Wir haben uns nie zuvor gesehen, sie ist jung, und ich habe zwanzig Jahre Südamerika hinter mir. Und ich bin zufällig hier wegen einer Arbeit im Garten einer Villa ganz oben auf der Anhöhe, und mittags komme ich hier herunter, um auszuruhen und unter Leuten zu sein, und sie kommt zum ersten Mal hier vorbei.
Ich lasse mich sofort ablenken, der Wirt kommt mit einem Viertel, das wir zusammen trinken. »Du bist ein Ehrenmann«, sage ich zu ihm, »dein loser Wein ist gut, und ein Arbeiter kann sicher sein, dass er ihm während der zweiten Hälfte der Schicht nicht im Magen brennt.«
»Ich war selbst Arbeiter«, sagt er.
»Außerdem gibst du auch Fremden Suppe, und manchmal ist da sogar irgendein Afrikaner, der seine Sachen hier sitzend isst, und du lässt ihn in Ruhe.«
»Das kostet mich nichts, und meine Frau nörgelt nicht«
Ich nicke mit dem Kopf.
»Und du?«, fragt er: »Ein Mann, der liest, gefällt mir.«
»Ich leiste mir damit Gesellschaft.«
Er schaut mir ins Gesicht, eine gute Art des Fragens. »Ich bin allein, habe viele Jahre in Südamerika verbracht, und jetzt bin ich wieder hier. Ich kenne wenig Leute. Ich wohne im alten Viertel.«
Zum Zeichen, dass es nichts weiter zu sagen gibt, hebe ich das Glas. »Danke und auf dich.« Er hat mich seit einem Monat hier, früher oder später hat er Anrecht auf ein paar Informationen. Anscheinend reicht ihm das, er lächelt, berührt mein Glas mit seinem, wir trinken.
Er ist so alt wie ich und hat sich besser gehalten.
Als ich das erste Mal zu ihm hereinkomme, bitte ich um einen Schluck von seinem Wein. Er gibt mir ein Glas und einen Teller mit schwarzen Oliven dazu. »Wenn er Ihnen nicht schmeckt, zahlen Sie nicht«, sagt er.
Ich lasse ihn mir durch den Mund rollen, drücke ihn die Kehle hinunter: Er ist in Ordnung, und wir werden uns einig. Ich komme jeden Tag, und er gibt mir das, was da ist, nur den ersten Gang und von seinem Wein.
»Ich habe Salbei in einem Topf, der nach frischen Walnüssen duftet, morgen bringe ich ihn mit«, sage ich.
»Es ist ein weiter Weg vom alten Viertel.« Ja, ich stehe um fünf auf, aber das mache ich gerne. Es gibt ein kleines Stückchen Küste, das seinen Geruch herüberschickt.
Das Haus knarrt um diese Zeit, Stein, Holz, Gähnen. Beim Duft des Kaffees wird es dann still. Eine Kaffeemaschine auf dem Feuer genügt, um ein Zimmer zu füllen.
Ich entdecke den Zettel, den ich noch in der Hand halte, und stecke ihn ins Buch. Der Wirt steht auf, für mich wird es Zeit zu gehen.
Ich muss ein Loch für eine Steineiche graben, die morgen ankommt. Ich arbeite für einen, der Dokumentarfilme dreht. Ich kenne ihn seit der Zeit vor Amerika, Sohn eines Schneiders aus Kalabrien, der in den Norden ging, um Arbeiter zu werden, um die Präzision der Nadel mit dem Aufprall der Presse auf Blech zu vertauschen.
Schuster, Fuhrmänner, Schneider, Schmiede, Sattler, Tischler, Menschen mit Kunstfertigkeit und erfahrenen Händen, die genommen und verkauft, auf die paar Handgriffe ihrer Arbeit reduziert werden.
Er vertraut mir den Garten an, er will keinen Gemüsegarten und auch keine Tiere, obwohl genug Boden für alles da ist. Er ein junger Student, ich ein Arbeiter, damals waren wir Kommunisten, ein Wort, das am Kleiderhaken des letzten Jahrhunderts hängt.
Sein Gesicht ist mir sympathisch: Unter den vielen verbitterten bewahrt es ein gutmütiges Aussehen und eine Nase so kräftig wie ein Schiffsbug. Wer eine so mächtige Scheidewand mitten im Gesicht trägt, muss ein guter Mensch sein. Mimmo heißt er.
Er spricht gerne über seinen Vater, der in den Norden ging und sich in einer Fabrik einschließen ließ, um seinen Kindern eine Zukunft zu geben.
In Kalabrien herrscht die Vergangenheit, die von den Großeltern gepflanzten Olivenbäume, das mit dem Stemmeisen behauene Haus aus Stein, grob gemauert, ohne Verputz. Am Abend bleiben die Teller nicht leer, aber Zukunft fehlt.
Viele der unsrigen hatten sich damals von zu Hause gelöst; er ist keiner von denen, er bleibt bei den Sonntagen, den Ersparnissen, den Ratschlägen, die eine Familie in der Küche zusammenhalten.
Und auch heute sehe ich ihn noch als Jungen, der schweigt oder zu Boden blickt, das Nasenbein im rechten Winkel zum Fußboden, während unter den Kameraden schmutziges Zeug geredet wird. Auch ich bin aus dem Süden, und ich mag solche, die schweigend Nein sagen. Und dieses Nein, das zeigen sie, ohne vorher lang zu überlegen.
Und zwanzig Jahre später, da ist er Regisseur. Glück, aber es gibt Glücksfälle, die umarmen den Erstbesten, den sie treffen, Glücksfälle wie Nutten, die dich sofort im Stich lassen und mit dem Nächstbesten gehen, und es gibt andere, weise Glücksfälle, die einem Menschen nachspionieren und ihn langsam prüfen.
Und die Lebenden treffen sich wieder. Er erinnert sich an die Abende in Turin, an den Wirt, der den Wein der Jungen damals anschreibt, ein paar Oliven, eine Scheibe Salami, auf meine Rechnung. Zeiten, wo man nie schlief, der Wirt schließt, wenn der Letzte aufsteht.
Die Letzten gibt es auch heute noch, solche Wirte nicht mehr.
Und er erinnert sich an mich, wenn ich abends nach der zweiten Schicht gegen elf herauskomme und wir uns sofort treffen und von der wichtigsten Aktion des Tages erzählen, ob es eine Schlägerei in der Werkstatt gegeben hat, ob sie irgendwas in der Schule oder auf der Straße angestellt haben.
Jeden...
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