Schweitzer Fachinformationen
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17:50 Uhr
Und nun Killer Queen VDM und Daniel Deußer, Deutschland.« Applaus brandete rund ums Aachener Reitstadion auf, als der lange, schlaksige Mann auf seiner schicken, braunen Stute nach dem traditionellen Gruß anritt und konzentriert das erste Hindernis ansteuerte.
Meine Kollegin Anne-Roos de Vries hielt mir ihre große Weingummitüte hin, ohne Reiter und Pferd aus den Augen zu lassen. Beherzt griff ich zu. Auf unseren überdachten Plätzen hatten wir nicht nur eine hervorragende Aussicht über den Parcours, sondern auch jederzeit unsere Zielperson im Blick, die einige Reihen vor uns im benachbarten Tribünenblock saß.
Ich steckte mir ein quietschblaues Stück Weingummi in den Mund und nuschelte: »Könnte alles viel schlimmer sein, oder?«
Wie schon im vergangenen Jahr hatten wir von einem höchst eifersüchtigen, aber gut betuchten Internisten auch diesmal wieder den Auftrag bekommen, seiner pferdenärrischen Gattin während des gesamten CHIO auf Schritt und Tritt zu folgen. Ein Super-Job, denn alles, was die gute Frau tat, war, sich an jedem einzelnen der zehn Turniertage mit ihren zahlreichen, ebenso pferdeverrückten Freundinnen zu treffen und so viele Wettbewerbe wie möglich live zu verfolgen.
Im Jahr zuvor hatten wir nach Ende des Turniers vergeblich versucht, unserem Auftraggeber klarzumachen, dass er sein Geld aus dem Fenster warf. Da er jedoch eine erstaunliche Beratungsresistenz an den Tag legte, hatten wir irgendwann achselzuckend aufgegeben und nahmen den Auftrag in diesem Jahr einfach als das, was er war - bezahlter Urlaub auf einem der renommiertesten Reitturniere der Welt.
»Sag das mal Eric«, grinste Anne-Roos. Unser Kollege Eric Lautenschläger hatte heute das kurze Streichholz gezogen und lungerte schon seit der ersten Springprüfung am späten Vormittag auf den Stehplätzen vor der Haupttribüne herum - bei dem warmen Wetter und den unzähligen Schülern, die das Gelände einen großen Teil des Tages bevölkert hatten, nicht immer ein Vergnügen.
»Ach was, du hast das gestern gemacht, und ich bin morgen dran, außerdem ist er viel schneller bei den Fressbuden und am Eisstand«, wandte ich ein. »Einer muss nun mal den Ausgang Richtung Ladenstraßen im Auge behalten. Wenn wir ihr jedes Mal von hier aus hinterherdackeln, wenn sie ihren Platz verlässt, fällt das selbst Hedi irgendwann auf.«
Auf dem weitläufigen Turniergelände mit seinem hohen Publikumsverkehr waren drei Personen für eine lückenlose Überwachung eigentlich viel zu wenig. Das funktionierte nur, weil Zielperson Hedi Buschmann bei den Wettkämpfen die meiste Zeit konzentriert zusah, alle Ergebnisse notierte und - wenn sie nicht auf ihrem Platz saß - selten allein und meist abgelenkt war.
»Was macht eigentlich Körber, wenn du die ganze Woche hier auf dem Turnier bist?«, fragte Anne-Roos über den Applaus hinweg, der aufkam, als Killer Queen den Parcours fehlerfrei absolviert hatte.
»Der langweilt sich«, sagte ich und hielt ihr meine Lakritz-Tüte hin.
Mein Partner, Matthias Körber, arbeitete im Kommissariat 11 der Aachener Kripo - Todesermittlungen, Gewalttaten, Waffen und Brandstiftung.
»Also zu tun haben die ja immer was, aber seit fünfzehn Monaten kein Mord, wo sie den Täter nicht im Handumdrehen hatten; nichts, woran du dir als anständiger Kriminalist mal wieder so richtig die Zähne ausbeißen kannst .«
»Geht uns ja nicht anders«, seufzte Anne-Roos. »Vielleicht liegt's an mir. Seit ich letztes Jahr bei Schniedewitz & Schniedewitz angefangen habe, haben wir keinen einzigen spektakulären Fall mehr gehabt.«
»Dafür war dein Einstieg aber umso turbulenter«, grinste ich. »Von unserer Verfolgungsjagd auf deinem giftgrünen Feuerstuhl erzählt sich das Spezialeinsatzkommando heute noch am Lagerfeuer.«
»Das war auf jeden Fall das erste Mal, dass ich in Voerendaal im Lokalblättchen stand«, lachte Anne-Roos, die knapp fünfzehn Kilometer von der niederländischen Grenze in der kleinen Nachbargemeinde von Heerlen wohnte.
»Nur gut, dass der Präsidiumsumzug in diese Zeit gefallen ist. Hat ja lang genug gedauert, bis alle Nachwehen und Kinderkrankheiten ausgestanden waren.«
Seit das Aachener Polizeipräsidium vier Monate zuvor von der Soers in ein schickes, neues Gebäude in Aachen-Brand gezogen war, hatte sich der allgemeine Trubel zwar gelegt und man hatte sich eingelebt, aber Körber raufte sich immer noch regelmäßig die Haare. Während der Bauphase hatte nämlich das Leben die Planungen ein- und überholt, und so gab es am neuen Standort viel zu wenige Parkplätze. Wer morgens nicht mit den Hühnern aus den Federn kam, hatte das Nachsehen.
»Fährt Körber eigentlich inzwischen mit dem Fahrrad zur Arbeit?«, grinste Anne-Roos.
Ich wollte gerade antworten, als mein Handy vibrierte. Ohne den belgischen Reiter aus den Augen zu lassen, der gerade eingeritten war, zog ich es aus der Hosentasche.
»Britta Sander.«
»Guten Abend, Frau Sander. Können Sie frei sprechen?«, sagte eine weibliche Stimme, die ich inzwischen gut kannte.
»Bedingt«, gab ich zurück. Anne-Roos konnte das Gespräch ruhig mithören, aber wir saßen nicht allein auf der Tribüne.
»Verstehe«, sagte die Präfektin der Gilde der Unsichtbaren. »Ich wollte nur kurz erfragen, wo Sie momentan unterwegs sind und wie Ihre Pläne für die nächsten Tage aussehen. Den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen sind Sie auf dem CHIO?«
»Korrekt. Und wenn alles nach Plan läuft, wird das bis zum Abschied der Nationen am Sonntagabend auch so bleiben.«
»Das trifft sich gut.«
»Haben Sie denn etwas für uns?«
Anne-Roos sah mich so hoffnungsvoll an, wie ich mich fühlte.
»Das weiß ich noch nicht, aber es wäre möglich.«
»Worum geht es denn?«
»Sobald ich Genaueres weiß, erfahren Sie es als Erste.«
»Etwas Großes oder etwas Kleines?«
»Wir haben bisher nur Andeutungen, aber eher etwas Großes.«
Ich zeigte Anne-Roos den Daumen nach oben. »Ich hatte so gehofft, dass Sie das sagen würden«, seufzte ich.
»Ich mache Ihnen wirklich gerne eine Freude«, sagte die Stimme trocken. »Aber Zeiten wie die ruhigen letzten fünfzehn Monate sind uns natürlich sehr lieb.«
»Sie haben ja recht.«
»Einen angenehmen Abend. Ich melde mich wieder.« Damit legte sie auf.
»Die Gilde?«, fragte Anne-Roos leise, während ein Schweizer auf einer Grauschimmelstute einritt.
»Ja. Vielleicht haben sie was für uns«, gab ich leise zurück.
Die Gilde der Unsichtbaren war eine Art Geheimbund, der seit den 1970er-Jahren bestand. In diesem Bund hatten sich Menschen zusammengefunden, die - sei es in ihrem Beruf oder aufgrund der gesellschaftlichen Schicht, der sie angehörten - behandelt wurden, als wären sie unsichtbar oder nicht anwesend. Von der Reinigungskraft über den Chauffeur bis hin zum Obdachlosen einte diese Menschen das Bestreben, einen Beitrag zur Verbrechensbekämpfung zu leisten, denn gerade die relative »Unsichtbarkeit« ließ sie oft Dinge erfahren, die nicht zu den Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders passten.
Da die Gilde-Mitglieder nicht selbst Miss Marple spielen wollten, arbeitete jedes Regionalkapitel mit festen Ermittlerinnen oder Ermittlern zusammen. Nach einem Kontaktprozess, der sich ein gutes Jahr hingezogen hatte, war diese Ermittlerrolle im Jahr zuvor mir zugefallen. Anfänglich hatten sowohl ich als auch meine Kollegen uns des Öfteren gefragt, ob wir es womöglich mit einer Horde durchgeknallter Spinner zu tun hatten. Aber spätestens seit die Hinweise der Gilde uns auf die Spur des gefährlichsten Serienmörders in Aachens Stadtgeschichte geführt hatten, gab es keine Zweifel mehr, dass ihr Wort Gewicht hatte.
»Hat sie schon gesagt, worum es geht?«, fragte Anne-Roos gespannt.
»Leider nein. Wir müssen abwarten. Und das, wo Geduld doch eine meiner größten Stärken ist.« Seufzend steckte ich mir noch ein Stück Lakritz in den Mund und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen im Parcours zu.
***
Wenig später stieß mir Anne-Roos unauffällig den Ellbogen in die Seite und flüsterte: »Guck mal, was da für ein lekker ding die Treppe hochkommt.«
»Lekker ding?«, fragte ich und folgte ihrem Blick mit den Augen.
»Na, ein appetitlicher Mann. Wie sagt ihr das denn?«
»Ein...
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