Schweitzer Fachinformationen
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Es war eine dieser Nächte.
Zuerst gab es noch Hoffnung - ein paar Messerstechereien, ein Autounfall mit Potenzial. Aber die Verletzungen waren nur oberflächlich und der Unfall reine Routine. Danach blieb es ruhig.
Und eine ruhige Nacht ist wirklich das Schlimmste, was einer Polizeireporterin passieren kann.
Nur eine Stunde vor der Deadline um Mitternacht saß Harper McClain in der leeren Redaktion. Sie hatte keine Story zu schreiben und machte etwas, das sie wirklich, wirklich hasste - ein Kreuzworträtsel.
In den hohen Fenstern spiegelte sich dunkel der große Raum mit den weißen Säulen und den Reihen leerer Schreibtische, aber Harper achtete gar nicht darauf. Sie starrte auf die Zeitung auf ihrem Schreibtisch, und die verschmierten und durchgestrichenen Buchstaben starrten vorwurfsvoll zurück.
«Wozu braucht man bitte ein Wort mit zwölf Buchstaben für leichtfertigen Wagemut?», schimpfte sie grummelnd. «Ich kenne ein perfektes Wort für Wagemut mit sieben Buchstaben. Es heißt Wagemut. Was soll ich mit einem längeren .»
«Verwegenheit», erklang es vom Schreibtisch der Redakteurin am anderen Ende des Raums.
Harper sah auf.
Lokalredakteurin Emma Baxter schien sich auf den Monitor ihres Computers zu konzentrieren. Der teure silberne Kuli glitzerte in ihrer Hand wie ein kleiner Degen.
«Bitte?»
«Wort mit zwölf Buchstaben für leichtfertigen Wagemut.» Baxter sprach ohne den Blick vom Monitor zu wenden. «Verwegenheit.»
Baxter ging mal schneller, mal weniger schnell auf die fünfzig zu. Sie war klein und drahtig, weshalb ihr der marineblaue Blazer besonders gut stand. Und selbst der ständige Ausdruck vager Unzufriedenheit auf ihrem markanten Gesicht sah irgendwie gut aus. Alles an ihr war akkurat - die gleichmäßig kurzen Fingernägel, die steife Körperhaltung - und an der rasiermesserscharfen Unterkante ihres dunklen Bobs konnte man sich praktisch den Finger schneiden.
«Woher wissen Sie das?» Es lag keine Dankbarkeit in Harpers Stimme. «Oder besser gesagt, warum wissen Sie das? Es ist etwas grundsätzlich schräg an einer Person, die so eine Frage beantwortet, ohne Selbstmordgedanken zu -»
Der Polizeifunkscanner auf dem Schreibtisch erwachte krächzend zum Leben. «Hier Einheit 3-9-7. Wir haben einen Code 9, möglichen Code 6.»
Harper verstummte, neigte den Kopf und lauschte.
«Ich bin bereit, Ihnen die freche Antwort dieses Mal noch zu verzeihen», sagte Baxter großzügig. Aber Harper hatte die Verwegenheit schon wieder vergessen.
Ihr Handy brummte und sie ging ran.
«Miles», sagte sie. «Hast du die Schüsse mitgekriegt?»
«Jepp. Endlich ist was los. In fünf Minuten vor der Tür.» Sein Tennessee-Akzent überzog die Worte mit warmem Honig.
Harper schnappte sich ihre Sachen. Sie klippte den Funkscanner an den Bund ihrer schwarzen Hose, zog eine leichte schwarze Jacke über und schob den schmalen Notizblock und den Stift in die eine, den Presseausweis und das Telefon in die andere Tasche.
Dann rannte sie los.
Baxter hob fragend eine Augenbraue.
«Schüsse auf der Broad Street», rief Harper. «Möglicherweise Verletzte. Ich fahre mit Miles hin.»
Baxter griff nach dem Telefon, um am Redaktionstisch Bescheid zu geben.
«Wenn ich die Titelseite frei halten soll, muss ich es spätestens um halb zwölf wissen.»
«Ach was.»
Harper war schon in dem breiten, hell erleuchteten Flur, der zur Treppe führte. Hinter sich hörte sie noch die Worte ihrer Redakteurin.
«Wenn Sie zurück sind, sollten wir uns mal über Ihren Umgangston unterhalten.»
Baxters Lieblingsdrohung. Harper wusste, sie musste sich keine Sorgen machen.
Der müde aussehende Wachmann an der Rezeption sah nicht einmal von seinem kleinen Fernseher auf, als sie ungeduldig auf den grünen Türöffner schlug und hinaus in die feuchtheiße Dunkelheit trat.
Es war Mitte Juni und glühend heiß. Nachts war es zwar angenehmer, aber nur ein bisschen. Im Augenblick war die Luft samtweich und so dick, man könnte eine Gabel reinstechen und sie würde steckenbleiben. Es war nicht die übliche Luftfeuchtigkeit von Savannah - es war, als müsste man unter Wasser atmen.
Ein Sommerregen in Georgia kann ziemlich bedrohlich sein. Er kann dein Auto, dein Haus und deine Hoffnungen und Träume hinwegspülen, und Harper warf einen Blick auf die Wolken, die über die Mondsichel flitzten, als könnten die ihr sagen, wann der Regen endlich fallen würde. Aber der Himmel verriet nichts.
Die Zeitung befand sich in einem hundert Jahre alten, verwinkelten, dreistöckigen Gebäude, das einen halben Block auf der Bay Street einnahm - nah genug am träge dahinfließenden Savannah River, um den grünen Flussgeruch wahrzunehmen und die dröhnenden Maschinen der Containerschiffe zu hören, die langsam Richtung Meer tuckerten. Der Neonschriftzug «DAILY NEWS» leuchtete rot auf dem Dach und war wahrscheinlich mit das Letzte, was die Seeleute sahen, bevor sich der Atlantik vor ihnen ausbreitete.
Ein Stück die Straße hinunter glänzte selbst um diese Zeit noch die goldene Kuppel des Rathauses, und durch eine Lücke zwischen den Gebäuden sah man die Kopfsteinpflastergasse, die zum Ufer führte.
Harper hatte immer in Savannah gelebt und achtete schon seit Ewigkeiten nicht auf Sehenswürdigkeiten wie die typische klassizistische Südstaatenarchitektur, die begrünten Plätze und die zahllosen Denkmäler für die unseligen Generäle des Sezessionskriegs.
Das alles war einfach da, und auch jetzt würdigte sie es keines Blickes, während sie ungeduldig mit dem Fuß wippte. Der Funkscanner an ihrer Hüfte krächzte. Ambulanzen wurden gerufen. Verstärkung angefordert.
«Jetzt komm schon, Miles», flüsterte sie und sah auf die Uhr.
Es war so ruhig, dass sie das leise Heulen der Sirenen in der Entfernung hörte, als endlich ein schwarz glänzender Mustang um die Ecke bog und mit blendenden Scheinwerfern auf sie zuraste. Er bremste direkt vor ihrer Nase und ließ den Motor aufheulen. Harper riss die Tür auf und sprang auf den Beifahrersitz.
«Fahr schon», sagte sie und schnallte sich an.
Mit quietschenden Reifen brausten sie davon.
Im Innenraum des Mustang herrschte Stimmengewirr. Miles trug einen Funkscanner am Gürtel, hatte einen zweiten fest an der Stelle montiert, wo normalerweise das Radio war, und einen dritten hinter dem Schaltknüppel befestigt. Jeder war auf einen anderen Kanal eingestellt: einer überwachte die Hauptfrequenz der Polizei, einer die Nebenfrequenz, die die Cops für Privatgespräche nutzten, und der dritte war auf die Rettungsdienste und die Feuerwehr eingestellt.
Es war, als käme man in einen kleinen, überfüllten Raum, in dem zwanzig Personen gleichzeitig redeten. Harper war es gewohnt, aber sie brauchte immer einen Moment, bis sie aus dem Durcheinander etwas heraushören konnte.
«Was haben wir?», fragte sie und runzelte die Stirn.
«Nichts Neues.» Miles hielt den Blick auf die Straße gerichtet. «Ambulanz ist unterwegs. Sie warten auf ein Update.»
Miles Jackson, Fotograf, war groß und schlank, hatte dunkle Haut und gepflegtes, kurzgeschorenes Haar. Bis man vor ein paar Jahren alle Fotografen entlassen hatte, war er bei der Zeitung angestellt gewesen. Seitdem arbeitete er freiberuflich und machte alles, was Geld brachte. An Samstagen fotografierte er nachmittags manchmal eine Hochzeit und in der Nacht dann einen Mord.
Er hatte ein cooles, bitteres Lächeln und einen rasanten Fahrstil. Sie waren etwa doppelt so schnell wie erlaubt, als sie in die Oglethorpe Avenue einbogen und der Wagen leicht ausscherte.
Leise fluchend kämpfte Miles mit dem Lenkrad.
«Fährt die Karre nicht schneller?», fragte Harper trocken und hielt sich an der Handschlaufe über der Tür fest.
«Sehr witzig», erwiderte Miles durch die zusammengebissenen Zähne, aber er hatte den Wagen schnell wieder unter Kontrolle.
Sie rasten am Forsyth Park mit dem großen Marmorspringbrunnen vorbei, der das Wasser in Form eines Reifrocks in ein steinernes Becken spie. Harper legte den Kopf schief und lauschte den Scannern.
«Weiß man, wo die Schützen hin sind?», fragte sie.
Miles schüttelte den Kopf. «Sind in irgendwelchen Sozialbauten verschwunden.»
In diesem Augenblick meldete sich der Scanner für polizeiliches Privatgeplauder. Eine grabestiefe Stimme brummte: «Hier 1-4. Einheit 3-9-7, womit haben wir es zu tun?»
Miles und Harper tauschten einen Blick. 14 war der Code, den Lieutenant Robert Smith benutzte, der Chef der Kriminalpolizei. Miles drehte bei den anderen beiden Scannern die Lautstärke runter.
«Lieutenant, wir haben einen Toten, zwei sind verletzt und müssen ins Krankenhaus», antwortete der Beamte vor Ort. Durch die Aufregung war seine Stimme eine Oktave höher geklettert. Er sprach so schnell, dass Harper sich fast von seinem Adrenalinrausch anstecken ließ. «Gangmitglieder. Drei Schützen, alle flüchtig.»
Harper verlor keine Zeit und zog ihr Telefon aus der Tasche. Baxter ging beim ersten Klingeln ran.
«Es ist Mord», sagte Harper ohne Einleitung. «Könnte aber ein Bandenstreit sein.»
«Mist.» Sie konnte hören, wie die Redakteurin mit dem silbernen Kuli auf die Schreibtischplatte trommelte. Taptaptaptaptap. «Rufen Sie an, sobald Sie mehr wissen.» Die Verbindung brach ab.
Harper lehnte sich zurück und schob das Telefon wieder in die Tasche.
«Falls der Tote in einer Gang ist, kommt die Story nicht auf die...
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