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Michael Kardinal von Faulhaber und die katholische Kirche zwischen Monarchie, Diktatur und Demokratie
Matthias Daufratshofer / Moritz Fischer / Peer Oliver Volkmann
Wir schreiben das Jahr 1932. Dreizehn Jahre waren seit dem Ende des Ersten Weltkriegs vergangen, der Millionen von Menschen das Leben gekostet hatte. Illusionen des Jahres 1914, einen schnellen Krieg nach alten Mustern führen zu können, waren schnell der blutigen neuen Realität gewichen. Zu denjenigen, die den Waffengang von Anfang an unterstützt hatten, gehörte auch Michael von Faulhaber (1869-1952), damals Bischof in Speyer. Die Wucht und Brutalität des Krieges ließen den Geistlichen indes nicht unberührt, weshalb er im Winter 1932 das Wort ergriff, um rückblickend den Krieg und die Frage einer »neuen Kriegsmoral« zu reflektieren. Die Worte, die der nunmehrige Kardinal und Erzbischof von München und Freising fand, wirken auch im 21. Jahrhundert noch aktuell: »Wir leben in einer Zeitenwende, und wie in anderen Fragen wird sich auch in der Frage >Krieg oder Frieden< eine Wandlung der Geister vollziehen.«[1] Wie die Jahre, Monate und Tage seit dem Februar 2022 zeigen, fällt die Ausrufung einer »Zeitenwende« meist leichter denn deren praktische Umsetzung. Das zeigte sich bei Faulhaber spätestens mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, der bei ihm selbst zu keinem Geisteswandel führte.[2]
Faulhabers Ausführungen über die »Zeitenwende« führen mitten hinein in das Thema dieses Bandes, der den Umgang des Kirchenmanns sowie der katholischen Kirche insgesamt mit Wandlungsprozessen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Thema hat. Die Schrecken des Ersten Weltkriegs forderten schließlich die ewige Ordnung in Form der Lehre des gerechten Kriegs fundamental heraus und verursachten zwar ein Umdenken, führten aber nur selten zu einem Umsteuern. Der Krieg war dabei nur ein Thema unter vielen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit dem Faulhaber und die katholische Kirche konfrontiert wurden. Das zeigt allein ein kurzer biografischer Abriss des Erzbischofs, dessen Leben von zahlreichen politischen und sozialen Umbrüchen gekennzeichnet war: Noch vor Gründung des Kaiserreichs im Jahr 1869 geboren, erlebte Faulhaber als stellvertretender bayerischer Feldpropst das Ende des Ersten Weltkriegs und als Erzbischof in München die Revolution in Bayern hautnah. Dort war er unmittelbarer Zeitzeuge der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs sowie der Nachkriegszeit und der ersten Jahre der Bundesrepublik Deutschland.
Die Kernfrage aller in diesem Sammelband veröffentlichten Aufsätze lautet, wie Faulhaber und die katholische Kirche mit diesen zeitgeschichtlichen Zäsuren umgingen. Wie positionierten sich der Erzbischof und seine Kirche mit ihren Vorstellungen einer ewigen, unveränderlichen Ordnung zu den Wandlungsprozessen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? In welchem Verhältnis standen Kontinuität und Wandel? Veränderten sich Faulhabers Ordnungsvorstellungen im Wandel der Zeit - etwa im Hinblick auf Fragen von Krieg und Frieden, der Stellung zur Demokratie, der Herausforderung durch den Kommunismus, dem Verhältnis zum Nationalsozialismus und dessen Verbrechen oder der Stellung von Frauen in Gesellschaft und Kirche? Unterschied sich der Kardinal dabei von seinen deutschen Amtsbrüdern oder war er ein Bischof wie jeder andere?
Die hier präsentierten Ergebnisse gehen auf einen Workshop in der Katholischen Akademie in Bayern zurück, der am 10. und 11. Oktober 2022 vom Team des DFG-Langfristvorhabens »Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911-1952)« organisiert wurde.[3] Das seit 2014 von der DFG geförderte Editionsprojekt wird gemeinsam vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster verantwortet und versammelt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Geschichtswissenschaft, Theologie und Informatik. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen die Besuchstagebücher Faulhabers, die dieser von 1911 bis 1952 nahezu täglich führte. Er verkehrte in dieser Zeitspanne mit über 17.000 Personen. Die Tagebücher waren 2010 nach dem Tod von Faulhabers letztem Sekretär Johannes Waxenberger (1915-2010) in das eng mit dem Projekt kooperierende Erzbischöfliche Archiv München gelangt, wo sie seit 2012 der Forschung zur Verfügung stehen. Ergänzt wird diese Quelle durch hunderte sogenannte Beiblätter, die der Erzbischof zahlreichen Tagebucheinträgen beifügte, um etwa persönliche Reflexionen festzuhalten.
Die Tagebücher stellten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Edition vor zwei große Herausforderungen: Zum einen verfasste Faulhaber diese größtenteils in der Gabelsberger-Kurzschrift - eine Art der Stenografie, die um die Jahrhundertwende weit verbreitet war, heute aber nur noch wenige Experten beherrschen. Alle Editorinnen und Editoren mussten daher diese alte Kulturtechnik erlernen, um den Text in Langschrift transkribieren und damit der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Zum anderen ist der Umfang des Quellenkorpus mit allein 4.095 beschriebenen Tagebuchseiten, die auf 32 Bände verteilt sind, enorm, weshalb früh der Entschluss feststand, keine gedruckte oder hybride Edition zu erstellen, sondern rein digital zu arbeiten. Seit 2015 finden sich auf der Homepage des Projekts die ersten transkribierten Tagebuchjahrgänge samt zugehörigen Beiblättern in einer Leseversion, einer reinen Transkriptionsfassung sowie als Digitalisat. Erschlossen werden die Einträge dabei durch eine umfangreiche Suchfunktion sowie Kurzbiografien. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses des vorliegenden Bandes im April 2025 sind die Jahrgänge 1911 bis 1926 sowie 1930 bis 1949 veröffentlicht. Abgeschlossen werden soll das auf zwölf Jahre angelegte Langfristvorhaben am 31. Dezember 2025.[4]
Die Tagebücher Faulhabers geben einen einmaligen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der nach Meinung vieler Zeitgenossen »überragendste[n] Bischofsgestalt ihrer Zeit«.[5] Es sind insbesondere drei übergreifende Themenfelder, zu denen die Edition neue Erkenntnisse verspricht und die auch in diesem Sammelband im Vordergrund stehen: Erstens das Verhältnis von Religion und Politik, Kirche und Staat sowie Katholizismus und politischen Ideologien in der Moderne; zweitens insbesondere das Verhältnis der Kirche zum Nationalsozialismus; drittens zusammenfassend die Theologie- und Konfessionsgeschichte sowie ihre Strukturen und Netzwerke.
All diese Themen beschäftigen die Geschichtsschreibung zur katholischen Kirche seit Jahrzehnten. Insbesondere das Verhältnis zu Diktatur und Demokratie kanalisiert in regelmäßigen Abständen in emotionalen Diskussionen über Kirchenfürsten wie Faulhaber, die in den letzten Jahren zunehmend im Rahmen von Straßenumbenennungsdebatten geführt werden.[6] In Würzburg wurde 2024 der dortige Kardinal-Faulhaber-Platz nach langen Debatten und der Einrichtung einer Expertenkommission in Theaterplatz umbenannt. Die Gründe für die Entscheidung des Stadtrats waren in erster Linie die Haltung des Erzbischofs zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus.[7] Die gleiche Kontroverse beschäftigt auch München wegen der dortigen Kardinal-Faulhaber-Straße seit vielen Jahren.[8] Dort stehen sich die Positionen ebenso unversöhnlich gegenüber: Während der »Bund für Geistesfreiheit München« Faulhaber einen »Kriegstreiber, Demokratiefeind und Hitler-Verehrer« nennt und infolgedessen die Umbenennung der Kardinal-Faulhaber-Straße fordert,[9] bezeichnete der Journalist Christian Feldmann den Münchener Erzbischof Anfang 2019 in der Münchner Kirchenzeitung als einen »Widerständler mit kleinen Fehlern«[10]. Im November 2024 berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass ein im Auftrag der Stadt arbeitendes »Expertengremium« zum Ergebnis kam, die Umbenennung der Straße dem Stadtrat zu empfehlen.[11] Nicht nur Faulhabers »zweifelhafte Rolle im Nationalsozialismus«, sondern nun auch sein Agieren bei den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche werden ihm zur Last gelegt.[12]
Der 2022 vom Editionsteam veranstalte Workshop hatte daher auch zum Ziel, die seit längerem stark polarisierte öffentliche Debatte zu versachlichen. Hervortreten sollten dabei die Ambivalenzen, Ambiguitäten und Widersprüche Faulhabers, die sich auch in den Tagebüchern offenbaren, und die nun erstmals seit Beginn des ...
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