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Kurt Albert plante, ein Buch zu schreiben. Vermutlich wäre sein zweites Werk - nach "Fight Gravity", in dem er und seine Mitautoren Geschichte und Gegenwart des "Kletterns im Frankenjura" darstellten - eine Autobiografie geworden. Zumindest legt dies die Gliederung nahe, die sich in seinem Nachlass findet. Unter den Stichpunkten "Kindheit", "Frankenjura", "Kletterreisen", "Expeditionen", "Männerfreundschaften und Wegbegleiter" sind jeweils einige Orte und Namen aufgelistet.
Über diese bruchstückhafte Stoffsammlung kam Kurt Albert nicht hinaus. Er lebte nicht lange genug, um seine Geschichte zu erzählen oder erzählen zu lassen. Mit seinem Tod am 28. September 2010 erlosch Kurt Alberts Blick auf Kurt Alberts Leben - und damit ein Blick auf das Leben insgesamt, den zu teilen ebenso bereichernd wie unterhaltsam war.
Das Großartige und einer der Gründe, weshalb es sich über Kurt Albert zu schreiben lohnt, ist eine Idee: dass der Mensch aus eigener Kraft kurze wie lange, leicht zugängliche wie abgelegene, gut gesicherte ebenso wie lebensgefährliche und vor allem auch extrem schwierige Felsrouten emporklettern könne. Kurt Albert war nicht der Erste und nicht der Einzige, der diese Idee hatte. Aber er hat sie auf den Punkt gebracht. Den Rotpunkt.
Das ist Kurt Alberts Vermächtnis und wer jetzt denkt, was soll's, der möge einen Streifzug unternehmen durch die Mittelgebirge, in denen sich an schönen Wochenenden tausende Kletterer in der Vertikalen versuchen. Der möge sich klarmachen, dass weltweit über 40 Millionen Menschen kletternd aktiv sind. Der möge die Zahl der Kletter- und Boulderhallen in den Innenstädten Deutschlands, Europas, der Welt betrachten - sie ist unfassbar groß und wächst ständig. Der möge verfolgen, wo überall auf der Welt, in den Alpen, im Himalaya, im Karakorum, in den Anden, in Alaska, auf den Äußeren Hebriden und auf Borneo, Kletterer ihre Linien in Felswände zeichnen und dabei nicht selten große Gefahren für Leib und Leben in Kauf nehmen.
Kurt Albert hat dazu beigetragen, dass das Klettern, und auch der Bergsport insgesamt, keine Außenseiternische mehr ist. Kletterer zu sein, bedeutet heute nicht mehr, heroisch um den Gipfelsieg zu kämpfen, koste es, was es wolle. Es bedeutet aber auch nicht mehr, wie in den Anfangsjahren der Freikletterbewegung vor 50 Jahren, sich mit einem alternativen Lebensentwurf gegen bürgerliche Konventionen zu stellen. Kletterer zu sein, bedeutet heute - und das ist weder gut noch schlecht - mit Paradoxien zu leben. Der einst mühsame und gefährliche Prozess, vom Anfänger zum Könner zu werden, wurde ersetzt durch ein breites Angebot einfach und meist risikolos begehbarer Installationen - von Boulderhallen bis zu alpinen Sportkletterrouten. Image fördernder "Individualismus" wird in Heerscharen gefeiert. Das mediale Aufmerksamkeitspotenzial des Lebens im Hier und Jetzt wird ständig mitgedacht. Auf der Suche nach Ruhe und Einsamkeit treffen sich alle an denselben Orten. Und wer achtsam und konzentriert auf dem Pfad der Erleuchtung zu sein vorgibt, beschreitet doch meist nur den Kreis ums eigene Ego.
Natürlich kann Kurt Albert nichts für diese Entwicklung. Aber er hat sie, auch wenn er das vermutlich nicht so wollte, beeinflusst. Dass das Klettern, das Bergsteigen, diese jahrhundertelang als spleenige Betätigung einiger Sonderlinge angesehene und belächelte Ausdrucksform physischer und psychischer Energie, mit Beginn des 21. Jahrhunderts gesellschaftsfähig wurde, daran war Kurt Albert mit Gedanken und Taten beteiligt. Er selbst war alles andere als ein Selbstdarsteller. Sein Tun zu vermarkten, danach stand ihm nicht der Sinn. Dass sein Einfluss auf seine und spätere Klettergenerationen dennoch enorm ist und anhält, liegt vor allem daran, dass er seine Art zu leben mit größtmöglicher Konsequenz verfolgte. Kurt Albert, das unterscheidet ihn von den meisten seiner Vorgänger, Zeitgenossen und Nachfolger, war nicht nur ein Freikletterer - er war ein freier Mensch.
Die spärlichen Zeugnisse, in denen er seinen Blick auf die Welt, seine Abenteuer, seine Reisen beschrieb, habe ich aus Büchern, Zeitschriften, Aufzeichnungen und Filmen zusammengesucht. Einige Passagen in diesem Buch geben Kurt Alberts Erlebnisse, Erfahrungen, Gedanken und Gefühle - gleichwohl er Letztere selten aufschrieb - in seinen Worten wieder. Der Leser, die Leserin wird dies bemerken. Bemerken wird man auch, dass ich diese Biografie nicht aus Sicht eines unabhängigen Chronisten schreiben konnte. Dazu fühle ich mich, selbst keines Herren Knecht, Kurt Albert zu sehr seelenverwandt. Die Nähe zu meinem Gegenstand, als Alpinist und Kletterer, sehe man mir nach.
Um die Lücken zu füllen, die in meinem Bild von Kurt Albert klafften, habe ich die Menschen aufgesucht, von denen ich glaube, dass sie ihm in einer Lebensphase, oder auch ein Leben lang, wichtig waren. Der größte Teil des Geschriebenen beruht auf ihren Erinnerungen und Erzählungen, auch wenn Wahrnehmung und Gedächtnis den ein oder anderen Streich gespielt haben könnten. Nicht alles, was mir anvertraut wurde, floss in dieses Buch - Tote wie Lebende sollen ihre Privatsphäre gewahrt wissen. Das Leben eines Menschen zu erzählen, selbst oder gerade wenn man ihn gekannt hat, ist ein schwieriges Unterfangen. Der Schreibende beschreibt die Beschreibungen des Beschriebenen - Irrtümern, Fehldeutungen und Missverständnissen ist Tür und Tor geöffnet. Sollte sich einer meiner Gewährsleute falsch verstanden fühlen, bitte ich, dies zu verzeihen. Ich habe versucht, möglichst sorgfältig und zurückhaltend mit unsicherem Wissen umzugehen.
Unser Gedächtnis ist ein schlechter Zeuge - zumal, wenn Dinge Jahre und Jahrzehnte zurückliegen. Die Erinnerungsbruchstücke, die ich gesammelt habe, sind mal größer, mal kleiner. Mal haben sie scharfe Konturen, mal sind sie ausgefranst. Manche sind farbig und satt, manche schillernd, manche verblichen. Es gibt Bruchstücke ein und desselben Ereignisses, die nicht zueinander passen wollen. Es gibt Bruchstücke, die unisono demselben Ort und derselben Zeit zugeordnet werden. Und es gibt andere, von denen niemand weiß, wohin sie gehören - weil Kurt Alberts Leben sich in seiner Fülle, seiner Vielfalt und seinen Widersprüchen in keinen Rahmen fassen lässt.
Das Ergebnis meiner Reisen und Recherchen ist ein Mosaik, gewiss unvollständig, in Teilen mehrdeutig. Dennoch kann ich den Leser, die Leserin nur ermutigen, sich darin zu verlieren. Denn auch wenn manche Teile trüb geworden sind, das ein oder andere womöglich an falscher Stelle eingefügt wurde und nicht wenige Mosaiksteine bemerkenswert anarchisch durch die Chronologie eines Lebens purzeln, so lohnt es sich doch, dieses Mosaik in all seinen Facetten auf sich wirken zu lassen. Der Versuchung, aus vielen einzelnen Teilen ein gefälliges Ganzes zu formen, habe ich widerstanden. Dennoch, hoffe ich, könnte Kurt Alberts Biografie mehr sein als die Summe ihrer Teile.
Vom US-amerikanischen Physiker Leonard Mlodinow stammt ein Gedankenexperiment, das dem Physiker und Mathematiker Kurt Albert sicher gefallen hätte - nicht zuletzt deshalb, weil Mlodinow Koautor von Stephen Hawking war, dessen Werk "Eine kurze Geschichte der Zeit" zu Kurt Alberts Lieblingsbüchern zählte. Mlodinow lädt uns dazu ein, uns ein Farbstoffmolekül vorzustellen, das in einem Glas Wasser schwebt. Weil dies naheliegt, denken wir uns das Molekül als einen Rotpunkt. Das Molekül verhält sich grundsätzlich chaotisch, es bewegt sich hin und her und nur so lange in eine Richtung, bis es durch den Zusammenstoß mit einem anderen Molekül abgelenkt wird. Irgendwann hat es vielleicht einen Standpunkt erreicht, den wir bemerkenswert finden. Wir versuchen also, die Vergangenheit des Moleküls zu rekonstruieren, und stellen fest, welcher Zusammenstoß es in welche Richtung befördert hat.
"Mit anderen Worten: Im Nachhinein können wir genau erklären", schreibt Mlodinow, "warum sich die Vergangenheit des Farbstoffmoleküls so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat". Der Lebenslauf des Rotpunkts - und das Leben Kurt Alberts - hätte aber auch eine schier unendlich große Anzahl anderer Möglichkeiten gehabt, sich zu entfalten. Schließlich enthält das Glas Wasser viele weitere Moleküle, mit denen unser Molekül hätte interagieren können. Seinen Weg vorauszusagen, wäre demnach unmöglich gewesen, während es hingegen einfach erscheint, ihn nachzuvollziehen. Tatsächlich aber besteht das Leben auch aus einer Reihe vieler Zufälle, die wir nicht vorhersagen oder berechnen können. Es ist ein bisschen so, als würde das Schicksal würfeln.
Das Schreiben von Kurt Alberts Biografie ist der Versuch, die entscheidenden Zufälle - Abenteuer, Erlebnisse, Begegnungen - in seinem Leben herauszufiltern. Natürlich ist diese, meine Auswahl wiederum den Gesetzen des Zufalls...
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