Schweitzer Fachinformationen
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In flachen Mündungs- und Wattgebieten der Tropen und Subtropen gedeihen salztolerante immergrüne Bäume und Sträucher, die als Mangroven bezeichnet werden. Auf stelzartigen Stützwurzeln ragen sie in Ufernähe über die Wasseroberfläche hinaus und haben so Spielraum für das tägliche Auf und Ab der Gezeiten. Diese Wurzeln scheiden das Salz über die Rinde aus, und da der sumpfige Untergrund sauerstoffarm ist, nehmen sie den Sauerstoff direkt aus der Luft auf. Die weiter vom Ufer entfernt wachsenden Pflanzen haben wurzelähnliche Strukturen, die aus dem Boden ragen und mit deren Hilfe sie atmen. Die Blätter betreiben Photosynthese, speichern Wasser und regulieren die für den Organismus schädlichen Salze.
Wie Flutwehre schützen Mangrovensümpfe das Hinterland vor Stürmen und Hochwasser. Sie verhindern, dass das Salzwasser während einer Sturmflut ins Landesinnere gelangt, und tragen zur Regenerierung des Lebens in Küstengewässern bei, indem sie Nährstoffe liefern und Abfallprodukte abscheiden. Wer mit einem Kanu zwischen den knorrigen Bäumen und verknoteten Wurzeln ins stille Dunkel der Mangroven paddelt, durch deren dichtes Blätterdach nur hin und wieder ein Lichtstrahl fällt, kann sich in eine vorzeitliche Welt versetzt fühlen. Doch die Stille trügt, denn sie legt sich wie ein Mantel über den Lebensraum und die Aktivitäten der zahllosen Fisch-, Vogel-, Insekten-, Wurm-, Weichtier-, Amphibien-, Krebs-, Reptilien- und selbst Raubkatzenarten, die hier ihren Lebensraum gefunden haben. Bakterien und Pilze tragen zum Leben des Waldes bei, indem sie seine eigenen Abfallprodukte und die aus dem Hinterland angespülten Stoffe zersetzen.
Dieses erhabene Gefühl, hier dem Walten der Natur beizuwohnen, widerspricht unserer Vorstellung, dass Schönheit immer mit Ordnung zu tun haben muss. Wir haben gelernt, Schönheit mit einer Natur in Verbindung zu bringen, die so sauber und ordentlich ist wie ein Landschaftsgemälde. Doch die verrottenden Blätter und verfaulenden Rindenstücke, die im morastigen Wasser des Mangrovensumpfs treiben, bringen uns die Rhythmen der Natur ins Bewusstsein. Was uns einst wie ihre hässliche Schattenseite vorgekommen sein mag, das erscheint uns mit einem Mal klar und schön.
Es gibt mehr als achtzig Arten von Mangroven in über hundert Ländern. Mangrovenwälder bedecken zwar nur ein Promille des Festlands der Erde, doch in ihren Zweigen, Wurzeln und Sedimenten speichern sie bis zu zehnmal so viel Kohlenstoff wie dieselbe Waldfläche in gemäßigten Breiten. Nur Moore und Seegrasmatten halten ähnlich viel Kohlenstoff zurück.
Abbildung 1: Ein Mangrovenwald in den Sundarbans, nahe dem Golf von Bengalen
Quelle: Getty Images
In den Mangrovenwäldern und deren Umgebung leben Menschen, die diese Landschaft gestalten und verändern. So sind zum Beispiel die Sundarbans (wörtlich »schöne Wälder«), eine Ansammlung von Inseln im Golf von Bengalen, Heimat von sieben Millionen Menschen. Die Sundarbans (in Bengali wird das Wort nur im Singular verwendet und Schundarban ausgesprochen) liegen im Delta der Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna, die hier in den Golf münden. Die Region gehört zu Indien und Bangladesch und wurde inzwischen in Teilen zum Weltnaturerbe der UNESCO erklärt. Heute besteht sie aus Mangrovenwäldern, Schifffahrtswegen und Lichtungen. Die Bewohner der Region leben von den Mangroven: Sie nutzen das Holz der Wälder als Baumaterial, sammeln Honig und natürliche Arzneimittel und schneiden Schilf, mit dem sie ihre Dächer decken. Sie fangen Fische, bauen Reis an, in den Randbereichen betreiben sie Fischzucht, sie sammeln Materialien (Holz, Rinde, Muscheln, Steine) zur Herstellung von Kunsthandwerk und arbeiten als Bootsführer in der wachsenden Tourismusbranche. Geister - Bonbibi (die Herrin des Waldes) und Ghazibaba (Krieger) - schützen die Wälder und behüten die Bewohner vor Stürmen. Bonbibi soll außerdem vor Schlangen und Krokodilen schützen.
In ihrer Schönheit, ihrer Funktionsweise, ihren natürlichen Rhythmen und ihrem wirtschaftlichen Wert sind die Mangrovenwälder Mikrokosmen der Biosphäre, also des von Lebewesen beherrschten Bereichs der Erde. Die Beschäftigung mit ihnen und anderen lebenden Systemen eröffnet uns einen Einblick in das Funktionieren der Natur. Das wiederum ist nötig, um zu verstehen, warum die Natur Kapital darstellt und warum sie sogar unser wertvollster Vermögenswert ist. Da wir Teil der Natur sind, hilft uns dies zu verstehen, warum sie in unserem Leben sowohl Mittel als auch Zweck ist.
Bewegung ist ein beständiger Aspekt der Natur: Winde wehen, Flüsse fließen, Vögel und Insekten fliegen, Tiere laufen, Fische schwimmen, das Meer zirkuliert, und selbst Schnecken hinterlassen ihre Spur. Ohne diese Bewegung gäbe es uns gar nicht, von unserem Erfolg als Spezies ganz zu schweigen. Weniger sichtbar sind die Veränderungen, die sich abspielen, wenn Pflanzen absterben und durch die Tätigkeiten von Organismen wie Bakterien und Pilzen, die ebenfalls leben und sterben, zu Erdreich verwandelt werden.
Lebende Systeme nutzen nichtlebendes Material und wandeln es um. Beispiele dafür sind die Wasser-, Kohlenstoff und Stickstoffzyklen, die wir aus dem Chemieunterricht kennen. Wenn etwa der Wind parallel zur Küste weht, wird das Oberflächenwasser aufs Meer hinausgedrückt. Dann steigt stickstoff- und phosphorreiches Wasser aus der Tiefe auf und fördert das Wachstum von mikroskopischen Algen, die wiederum Nahrung für Fische, Meeressäugetiere und Vögel sind.
Jahreszeitliche Veränderungen und andere natürliche Rhythmen beeinflussen die Regenerationsmuster der lebendigen Welt. Ein Beispiel ist der Wandel der Laubwälder oder der Wiesen im Jahreslauf. Das tägliche Kommen und Gehen von Ebbe und Flut prägt die Gestalt von Wattgebieten, Küstenfischereien und Vogelpopulationen. Regeneration kann auch im Nacheinander erfolgen, etwa wenn sich die Zusammensetzung der Arten und ihr Lebensraum infolge von Störungen oder Katastrophen wie Vulkanausbrüchen, Waldbränden, Überschwemmungen oder Seuchen verändert. Solche Störungen treten zumeist unerwartet auf. Doch das, was wir als Katastrophe wahrnehmen, könnte auch eingetreten sein, weil ein wandelbarer Faktor, der das System beeinflusst, eine kritische Schwelle oder einen Kipppunkt überschritten hat, etwa wenn in einem Süßwassersee die Einleitung von phosphathaltigen Abwässern aus Bauernhöfen der Region das Algenwachstum explodieren lässt. Die Veränderung könnte aber auch zyklischer Natur sein, etwa die Aufeinanderfolge von Eiszeiten, die Wälder wechselweise in gemäßigte Regionen vordringen und wieder zurückweichen lassen. Der Zeitrahmen ist entscheidend. Auch Populationen weisen rhythmische Muster auf, sie können über lange Phasen ruhen und sich dann über kurze Zeiträume chaotisch verhalten. Ein bekanntes Beispiel sind unvorhersehbare Heuschreckenplagen: Die Population explodiert, doch wenn die Ausdehnung an eine Grenze stößt, bricht sie wieder zusammen.
Die Natur hat unterschiedliche Rhythmen. Ungeschützte Bakterien haben eine Lebenserwartung von wenigen Stunden, Frösche von zehn oder zwölf Jahren, Mangrovenbäume von Jahrhunderten, Eichen von bis zu tausend Jahren, Pilze von ein bis zwei Tagen bis zu mehreren Jahren, und manche Pilzgeflechte können bis zu hundert oder tausend Jahre alt werden. Selbst kaum verbundene, dem regelmäßigen Wandel unterliegende Objekte können ihre Rhythmen aufeinander einstellen wie zusammenhängende Pendel - ein Beispiel sind zirpende Grillen. Auch die Zyklen von Geburt und Tod einer Population können feste Muster einnehmen. So gibt es zum Beispiel Zikadenarten, die nur alle 17 Jahre an die Erdoberfläche kommen, aber im Erwachsenenstadium lediglich eine Lebenserwartung von drei bis vier Wochen haben.
Auch physikalische Prozesse erfolgen nach bestimmten Rhythmen. Das Wetter von Mikroklimaten ändert sich nach einem täglichen Muster; das globale Wetter folgt den Jahreszeiten; das Wasser der Tiefsee benötigt fünf Jahrhunderte für eine Erdumrundung; die Schwankungen in der Neigung der Erdachse lassen etwa alle 100000 Jahre eine Eiszeit eintreten; Geologen haben errechnet, dass die Plattenbewegungen der Erde über einen Zeitraum von 200 bis 400 Millionen Jahren Superkontinente zusammenschieben und wieder auseinanderreißen; und so weiter. Die meisten der Faktoren, die Einfluss auf die Bestandteile der Natur haben, sind unbekannt. Daher versuchen wir, die vorherrschenden Faktoren zu identifizieren und ihre jeweiligen Zyklen zu ermitteln.
Die Biosphäre reguliert sich über die Regeneration ihrer lebenden Bestandteile. Die meisten dieser Prozesse sind jedoch für das menschliche Auge unsichtbar und für das menschliche Ohr unhörbar. Wir bemerken nichts von den Aktivitäten von Pilzen, die den Erdboden erneuern und Pflanzen das Leben ermöglichen, auch wenn ohne sie das Leben, so wie wir es kennen, nicht existieren könnte. Und wir bekommen nichts von den Prozessen in den Ozeanen mit, die fortwährend tote Organismen zersetzen und auf ihrem Grund Kohlenstoff einlagern.
Die Biosphäre ist derart vielgestaltig, dass wir ihre Teile getrennt voneinander erforschen müssen, dann in ihrer Beziehung zueinander, dann wieder die Teile, um ein genaueres Bild von ihnen zu erhalten, und so weiter, im fortwährenden Bemühen um ein besseres Verständnis. Dabei...
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