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Die Archive des Bundesverfassungsgerichts waren so verschlossen wie die des Vatikans. Nun endlich sind die alten Akten der großen Prozesse um die junge Demokratie des Grundgesetzes zugänglich. Die Karlsruher Papiere illustrieren, wie hinter den Kulissen um die Grundwerte der neuen Verfassung gerungen wurde - und wie auf den Trümmern eines Staates, der von Rassenhass und Kriegsgeschrei geprägt war, eine freiheitliche Gesellschaft entstehen konnte, die sich der Menschenwürde und dem Frieden verschrieben hat. Nach Sichtung hunderter Akten zeigt Thomas Darnstädt anhand der Debatten um Parteiverbote, Schwangerschaftsabbruch oder Gleichberechtigung und um Polit-Intrigen wie der Spiegel-Affäre oder dem Adenauer-Fernsehen, wie die Richter in Karlsruhe die Weichen in die Zukunft Deutschlands stellten.
Keine Freiheit den Feinden der Freiheit: Dieser Satz ist mit Blut geschrieben. Er stammt von Louis-Antoine-Léon de Saint-Just, auch genannt der »Erzengel des Todes«. Der Jakobiner Saint-Just war einer der Anführer der Französischen Revolution von 1789, und er war es, der ihren Ruf als europäische Wiege der Menschenrechte und der Demokratie ruiniert hat. Als Wortführer im gefürchteten Wohlfahrtsausschuss ließ er Zigtausende umbringen, die sich nicht willig dem Diktat der Revolutionäre unterwarfen. Sein Motto: »Die Grundlage der Republik ist die vollständige Vernichtung dessen, was gegen sie ist.«
Keine Freiheit den Feinden der Freiheit: Im dritten Jahr der jungen, aus Trümmern erstandenen deutschen Demokratie stand dieser Satz wieder auf der Tagesordnung.
Kein schöner Anfang. Kaum dass die Trümmer weggeräumt sind, die ein blutiges Terrorregime in Deutschland hinterlassen hat, kassiert der Staat fünfundzwanzig Zentner Druckschriften der Opposition ein. Eine Geheimdienstaktion im vierten Jahr des Grundgesetzes, der Magna Charta von Menschenrechten und Demokratie. Zwischen den flaschengrünen Aktendeckeln des Bundesverfassungsgerichts die erste Erfolgsmeldung über den ersten Versuch des neuen Staates, einen politischen Gegner zu vernichten - vollständig.
Keine Freiheit den Feinden der Freiheit: Der erste große Fall des ersten deutschen Verfassungsgerichts, der Streit um das Verbot der Kommunistischen Partei, wurde zum schlimmsten in der Geschichte der bundesdeutschen Demokratie. Nie wieder sollte ein Verfahren so lange dauern, nie wieder sollten die Richter sich so quälen mit einer Entscheidung, nie wieder würde ein so langes, ein so wirres Urteil geschrieben werden - über das bis heute gestritten wird. Keine Freiheit den Feinden der Freiheit: Was hat der blutige alte Satz in der deutschen Demokratie zu suchen? Bis ins siebzigste Jahr des Grundgesetzes spukt der Spruch, der da gar nicht drinsteht, durch die deutsche Politik. Keine Freiheit den Feinden der Freiheit: Was bedeutet das für die Rechtsradikalen von der NPD, ihre biederen Gesinnungsgenossen von der AfD? Dürfen Radikale Beamten werden? Wie links dürfen die Linken sein, ehe der Satz sie vors Bundesverfassungsgericht bringt? Und was ist mit den bärtigen Feinden der Freiheit, den Gotteskriegern des Islam? Sollen für sie die Garantien des deutschen Rechtsstaates noch gelten? Vor allem aber: Soll die alte, blutige Parole in einer freiheitlichen Demokratie überhaupt Gültigkeit haben? Ist nicht der wahre Feind der Freiheit, der so redet? Kann man Freiheit schützen, indem man sie begrenzt?
Manche beim Bundesverfassungsgericht haben sich diese Frage schon 1951 gestellt, als nach langen politischen Diskussionen in Bonn der Antrag der Bundesregierung im Karlsruher Prinz-Max-Palais eintraf, wo 23 Männer und eine Frau gerade erst ihre Büros eingerichtet hatten. Zwei radikale Parteien, die rechtsextreme »Sozialistische Reichspartei« (SRP) und die »Kommunistische Partei Deutschlands« (KPD), wollte die Bundesregierung damals durch das Gericht verbieten lassen. Die klaren Sachen zuerst: Mit den Hitler-Verehrern von der SRP wurden die Karlsruher Richter schnell fertig. Doch als man im soeben gegründeten Bundesverfassungsgericht die Kisten mit dem beschlagnahmten Material der KPD öffnete, war auf einmal nichts mehr klar. Ist das eigentlich in Ordnung, wenn Verfassungsrichter, als wären sie Büttel des Geheimdienstes, Kisten voller Pamphlete, Kassenbücher, Geheimprotokolle, Flugblätter, Telefonverzeichnisse, Pläne für den Sturz der Regierung, Abrechnungen von Mitgliedsbeiträgen filzen? Kann man so etwas machen - in einem Rechtsstaat?
Morgens um sechs war die Staatsmacht auf Beschluss des Gerichts angerückt, hatte Funktionäre aus dem Bett geklingelt, »Aufmachen, Polizei«, um auch noch die Keller und die Dachböden der Privatwohnungen zu inspizieren. Wochenlang hatten die Vollzugskräfte sich im Geheimen auf ihren Einsatz vorbereitet, bis der Befehl aus Karlsruhe zum Zugriff kam: Das war der D-Day für die Invasion ins Herz der Finsternis, in die Schreibtischschubladen und die Panzerschränke des Feindes überall im Lande, des »Verfassungsfeindes«.
»Verfassungsfeinde«. Schon das Wort passte nicht zu dem Auftrag, der den Richtern im Prinz-Max-Palais mit auf den Weg gegeben war. »Verfassungsfeinde« - daran haftete noch der Brandgeruch des Krieges. Auf Feinde schießt man, das sind nicht Mitbürger, mit denen man vor Gericht streitet. Die Richter hier waren doch erst vor wenigen Wochen vom Bundespräsidenten Theodor Heuss vereidigt worden, der Freiheit des deutschen Volkes zu dienen. Da waren genug dabei, die Opfer des soeben erst besiegten Unrechtsregimes geworden waren. Die wussten zu genau, was es bedeuten kann, wenn morgens um sechs jemand an die Tür pocht. Ihr Gericht, das Verfassungsgericht, war eine Weltneuheit, erstmals in der Geschichte war in einem Staat dauerhaft eine Gegenmacht der Bürger errichtet worden, die Institution, die alle anderen Gewalten, die Regierung, die Justiz, sogar das Parlament stoppen konnte, sollte, musste, wenn Übergriffe auf die Freiheit der Bürger drohten; ein Gericht, dessen Präsident Ernst Benda Jahrzehnte später einmal das Bild vom »Rettungsfloß« prägte, auf dem die Bürger sich in Zeiten autoritärer Sturmgewalten in Sicherheit bringen können. Und gleich der erste große Fall war einer, wo die Richter als Büttel der Staatsgewalt, im Auftrag der Bundesregierung der frisch errungenen Freiheit autoritär Grenzen zu setzen hatten. - Kann eine Geschichte hässlicher beginnen?
Ein Gericht kann sich seine Fälle nicht aussuchen. In Artikel 21 des 1949 verabschiedeten Grundgesetzes war von Anfang an klargestellt, dass das Bundesverfassungsgericht, und nur das Bundesverfassungsgericht, darüber entscheiden muss, ob eine Partei zu verbieten ist, weil sie »darauf ausgeht«, die »freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen«. Weil der Bann gegen die weitere Teilnahme am demokratischen Prozess eben nicht von irgendeiner Obrigkeit, nicht mal vom Parlament, sondern nur von den Juristen im Prinz-Max-Palais ausgesprochen werden kann, heißt die Bestimmung unter Staatsrechtlern auch »Parteienprivileg«, als ob es eine besondere Vergünstigung wäre, ein Todesurteil nur von höchster Stelle empfangen zu dürfen. Jedenfalls war auch das eine Weltneuheit. Parteien von Verfassung wegen verbieten zu lassen, war in den demokratischen Staaten des Westens bislang nicht vorgesehen. Die vom Souverän, dem Volk gewählten Abgeordneten einer Partei als Verfassungsfeinde aus dem Parlament zu kippen, wer sollte so etwas wagen? Ausgerechnet die Deutschen, gerade eben aus einer Diktatur erlöst, beschäftigten ihre besten Juristen mit der Frage, wie man der Demokratie von hoher Hand Grenzen setzen konnte. Freiheit ist gut, aber Ordnung muss sein: Aus dieser sehr deutschen Tradition war im jungen Artikel 21 die Formulierung von der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« geronnen. Das war die Formel, die nun erstmals zur Diskussion stand, und die dann später, in den Siebzigerjahren, als Kampfbegriff auf die Formel FDGO verkürzt zum Lieblingsinstrument der Innenminister im Kampf gegen Radikale werden sollte.
Würde es mit der heiklen Bestimmung gelingen, die KPD zu verbieten und ihre Abgeordneten aus den Parlamenten von Bund und Ländern zu vertreiben? Das Bundesverfassungsgericht, von der Bundesregierung zur Entscheidung aufgerufen, hatte keine andere Wahl, als das Verfahren ins Rollen zu bringen.
Also gut. Zuständig war nach einer ersten Verständigung der frisch ernannten Richter der erste der zwei Senate, die jeweils mit zwölf Richtern besetzt waren. Beim ersten also waren die Kisten aus Köln gelandet. Und per Beschluss war schnell entschieden, wer von den Kollegen sich nun mit dem Inhalt zu beschäftigen hatte:
Erwin Stein hatte nichts von einem Jakobiner. Wie politischer Hass Menschen zerstören kann, hatte der einstige Staatsanwalt und Richter aus Hessen am eigenen Leibe erleben müssen. Als Adolf Hitler 1933 die Macht übernahm, wurde er »aus dem Dienst entfernt«, wie es unter Beamten...
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