Schweitzer Fachinformationen
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"Wer war Margarete von Tirol-Görz?"
Er las die Zeile noch einmal.
Was wollte der Alte eigentlich von ihm? Dass er Geschichtsbücher studierte und sich mit einer potthässlichen Gräfin aus dem 14. Jahrhundert beschäftigte, während seine Freunde Fußball spielten und Bier tranken? Georg atmete tief durch, hustete, die Erkältung hatte immer noch nicht nachgelassen. Der Kugelschreiber, den er gerade noch in der Hand gehalten hatte, flog bei dem Hustenanfall unter den Tisch. Er ließ ihn dort liegen und klappte das Heftchen zu, das sein Lehrer ihm nach der letzten Unterrichtsstunde fast schon feierlich überreicht hatte. Dann schmiss er es wütend gegen die Wand, es flatterte auf und landete auf dem Boden.
"Hast du die erste Frage beantwortet, bekommst du die nächste von mir. Ich werde dir insgesamt fünf Fragen zu Margarete Maultasch stellen. Damit helfe ich dir bei der Vorbereitung auf die Matura und du solltest diese Hilfe annehmen", hatte sein Geschichtslehrer Peter Schlosser ihm mit ernster Miene unterbreitet. Er selbst hatte nichts erwidert, nur das Heftchen in die Bauchtasche seines Hoodies gestopft und das Klassenzimmer verlassen. Hätte er die Wahl, würde er auf diese Hilfe verzichten, genau wie auf die Matura. Aber die Eltern wollten unbedingt, dass er die Schule abschloss, Widerrede war zwecklos. Also würde er den Deal eingehen, sich diese verstaubte Materie aneignen, seinen Lehrer zufriedenstellen und seinen Eltern keine Chance geben, ihn von seinem weiteren Lebensweg abzuhalten. Sobald er diesen Fetzen Papier mit der Aufschrift "Matura bestanden" in den Händen hielt, konnte er sich endlich ein ordentliches Beil und eine Motorsäge kaufen und Waldarbeiter werden. Auf die Meinung seiner Eltern würde er ab dem Tag, an dem er seinen ersten Baum in den Wäldern um Meran fällen würde, schlicht pfeifen.
Er legte sich auf sein Bett. Mit dem rechten Fuß entledigte er sich seines linken Schuhs, mithilfe des linken Fußes schlüpfte er aus dem rechten. Ihm war heiß und kalt zugleich. Vielleicht sollte er doch noch einmal zu Schwester Christiane gehen und sich auf der Krankenstation pflegen lassen. Vielleicht würde sie ihn, wenn er einen ordentlichen Hustenanfall bekam, sogar vom Unterricht und dem Klassenausflug auf Schloss Tirol befreien. Eigentlich, dachte Georg, gab es keinen Grund, nicht zur Krankenstation zu gehen. Die Matratzen waren weicher, das Essen besser und man hatte, neben Christianes schützender Hand, vor allem eines: Ruhe vor den Mitschülern.
Es klopfte, er brummte: "Herein!"
Martin Hilber steckte den Kopf durch die Tür.
"Kommst du? Die warten schon alle. Schlosser will los."
"Nein. Ich bin krank", antwortete er.
"Komm schon, Georg, wir müssen wirklich los."
"Lass mich in Ruhe", entgegnete Georg, zog dann aber missmutig seine Schuhe wieder an. Er nahm den teuren MP3-Player, den er im Elektronikladen geklaut hatte, die Kopfhörer und das am Boden liegende Heftchen und verließ mit Martin das Zimmer. Zur Not würde er ihm seine Aufgaben unterschieben und dafür versprechen, ihn für den Rest des Schuljahres nicht mehr zu mobben. Dabei würde es ihm bestimmt fehlen, Hilber zu hänseln, einzuschüchtern und vor den Mitschülern bloßzustellen.
*
Der Weg nach Schloss Tirol oberhalb von Meran roch süßlich nach Kastanien, feuchtem Laub und dem nahenden Winter. Georg hatte keine Lust, mit der Klasse Schritt zu halten, und fiel weiter hinter seine Mitschüler zurück. Im Tunnel überkam ihn erneut ein Hustenanfall, das Echo dröhnte lauter als die Stimmen der Touristen, die den Herbstnachmittag damit verbrachten, das mittelalterliche Schloss zu besichtigen. Als er endlich den letzten Anstieg geschafft hatte, musste er sich kurz an das Geländer vor dem Schloss lehnen, so schwindlig war ihm.
"Dir geht's echt nicht gut", sagte Martin.
"Hör auf zu schleimen", brummte Georg.
"Ich meine ja nur", gab Martin zurück.
"Hast wohl Schiss, dich anzustecken", entgegnete er und hustete, ohne die Hand vor den Mund zu halten.
"Ruhe bitte", rief Schlosser, der Geschichtslehrer. "Los jetzt. Du auch, Martin."
"Schloss Tirol ist etwa eintausend Jahre alt", erklärte der junge Mann, der sich als David vorgestellt hatte und die Klasse durch die alten Gemäuer führte. "Um 1141 wurde das Schloss erbaut und von den ersten Tirolern, die wir kennen, bewohnt. Unter Meinhard II., dem Großvater von Margarete von Tirol, wurde es dann noch erweitert. Das Schloss wurde aufgrund der strategisch günstigen Lage hier gebaut. Außerdem war der Talkessel, den ihr hier unten seht, Sumpfgebiet."
Georg sah sich um. Hinter ihm die riesigen, weißgrauen Wände von Schloss Tirol, der Residenzburg, in der so viele Grafen gelebt und regiert hatten. Unter ihm das nasse, kaputte Gras, das unter den heftigen Regenfällen der letzten Wochen gelitten hatte. Vor ihm der Meraner Talkessel, der Zenoberg, gegenüber die Gemeinde Schenna. Er atmete ein, die kalte Herbstluft reizte seine Schleimhäute und rief einen neuen Hustenanfall hervor. Die Sonne kam kurz hervor und blendete ihn, seine Augen tränten.
David führte die Gruppe hinauf zum Haupteingang des Schlosses. "Viele Männer buhlten übrigens um Margarete Maultasch, weil sie Tirol als Herrschaftsgebiet in die Ehe mitbrachte. Außerdem lag das Schloss hier sehr günstig, nämlich am Transitweg von Österreich über den Reschen nach Italien, Margarete galt also praktisch als 'der Schlüssel zum Süden'. Von hier oben konnte man gut Italienpolitik betreiben. Die Luxemburger, Habsburger und Wittelsbacher feilschten schon in ihrer Kindheit um sie. Gewonnen hat dann Johann von Luxemburg."
"Und das im Alter von acht Jahren", ergänzte Martin und rückte seine Brille zurecht. "Margarete war damals gerade mal zwölf."
Georg gähnte. Es hatte ihm gerade noch gefehlt, dass sein Klassenkamerad mal wieder den Streber heraushängen ließ und der Ausflug noch länger dauerte. Als die Klasse den Burggarten verließ, rempelte er Martin an, sodass dieser zur Seite stolperte und beinahe hinfiel.
"He", machte Martin, "was soll das?"
"Lass die Klugscheißerei", warnte Georg ihn. "Ich habe keine Lust, den ganzen Nachmittag in diesem Gemäuer zu verbringen."
"Entschuldige mal, aber ich finde diese Kinderhochzeiten echt krass. Die arme Margarete hatte von Anfang an ein ziemliches Scheißleben", gab Martin ihm zu bedenken.
"Ihr Problem", winkte Georg ab. "Los jetzt, je eher wir hier durch sind, desto besser."
"Wir stehen hier im sogenannten Tempel", erklärte der Schlossführer. "Erst war er die Schatzkammer, dann wurde er zur Rumpelkammer umfunktioniert."
Martin konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, was Georg sofort mit einem kurzen Tritt vors Schienbein quittierte.
"Du hast dich jetzt genug eingeschleimt, oder?", raunte er so, dass nur Martin es hören konnte. "Wenn du so weitermachst, landet dein Kopf heute Abend in der Kloschüssel."
"Einige dieser Holzbalken hier stammen tatsächlich noch aus der ersten Bauphase. Um 1300 brannte das Schloss ab und musste dann mehrere Jahrzehnte lang renoviert werden. Wir gehen übrigens davon aus, dass Margarete ihre ersten Lebensjahre auf der Zenoburg und nicht hier auf Schloss Tirol verbrachte. Ab 1330 lebte sie dann mit Johann hier."
Georg sah hinauf zu den dicken Deckenbalken, die das Feuer in jenem schicksalhaften Jahr kohlschwarz gefärbt hatte. Endlich wurde diese Führung auch für ihn einigermaßen interessant. Er schloss die Augen und versuchte fasziniert, sich vorzustellen, welche Panik ausgebrochen war, als man den Rauch und die Hitze wahrgenommen hatte. Mit Holzeimern voller Wasser hatten die Bewohner versucht, der Flammen Herr zu werden, ohne Erfolg. Wie viele Menschen dabei wohl gestorben waren? Fast konnte er ihre verzweifelten Schreie und ihr Husten hören. Als er die Augen wieder öffnete, waren die Mitschüler bereits weitergegangen. Er hörte ihr Murmeln und schleppte sich ihnen langsam hinterher. Ihm schwindelte, er fröstelte und begann gleichzeitig, kalt zu schwitzen.
Die Gruppe blieb vor einem weißen Steinbogen, der in einen großen, lichtdurchfluteten Saal führte, stehen. Martin strich ehrfürchtig mit seinen Fingerspitzen über die eingemeißelten Tierkörper.
"Das ist das Palasportal", erklärte David nun. "Es entstand in der ersten großen Bauphase des Schlosses. Hier drinnen befindet sich der Rittersaal, wo alle Feste, Bankette und Verhandlungen stattfanden. Dieses Portal wird auch Machtportal...
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