Londons
Albtraum-Nächte
von Jason Dark
»Sieben Tage hat die Woche, Sinclair. Sieben Tote hat die Woche. Und sieben Albtraum-Nächte kommen noch hinzu. Merke es dir genau! Soho wird zittern. Der Ripper ist wieder da!«
Zusammen mit meinem Chef und Suko hatte ich die Nachricht angehört. Uns war klar, dass hier kein Bluff gestartet wurde. Sehr bald schon gab es die erste Leiche. Eine junge Frau - und sie war schrecklich zugerichtet. Da wussten wir, dass die Albtraum-Nächte begonnen hatten ...
»Sieben Tage hat die Woche, Sinclair. Sieben Tote hat die Woche. Und sieben Albtraumnächte kommen noch hinzu. Merke dir das, Sinclair. Merke es dir genau. Soho wird zittern. Der Ripper ist wieder da!«
Zweimal hatte ich die Nachricht laufen lassen. Jetzt stellte ich den Recorder ab und schwieg zunächst. Wie auch Sir James Powell und Suko, die sich ebenfalls in unserem Büro aufhielten.
Es war Sonntag, aber das spielte keine Rolle. Suko und ich waren praktisch immer im Dienst, und Sir James war es sowieso.
Jetzt warteten wir darauf, dass unser Chef etwas sagte. Den Gefallen tat er uns auch.
»Glauben Sie, dass diese Botschaft ernst gemeint ist?«
»Ja«, sagte ich.
Sir James nickte vor sich hin. »Mich stört, dass er den Ripper erwähnt. Diesen unseligen Killer aus der Vergangenheit. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass wir es auch mit einem Trittbrettfahrer zu tun haben. Es muss nicht sein, aber die Möglichkeit besteht durchaus.«
Suko, der bisher geschwiegen hatte, übernahm das Wort.
»Wenn ich ehrlich sein soll, dann denke ich anders als Sie, Sir. Mich macht stutzig, dass John direkt angesprochen wurde. Also geht man davon aus, dass er damit zu tun haben wird. Oder wir. Es ist also jemand, der sich über uns informiert hat und genau weiß, dass wir auch eingreifen, weil es ein Fall für uns werden wird. Wobei sich das Ganze noch in Soho abspielen wird.«
»Nicht schlecht gedacht«, lobte unser Chef, wobei er mir einen fragenden Blick zuwarf. »Sind Sie ebenfalls dieser Meinung, John?«
»Das bin ich.«
Sir James lehnte sich zurück. Er dachte nach. Dabei bildete sich eine Furche auf seiner Stirn.
»Wenn wir eingreifen sollen oder müssen, dann muss zuvor etwas geschehen sein. Verstehen Sie? Ein Verbrechen. Eine Untat, die in Ihren Bereich hineinfällt. Das ist bisher noch nicht der Fall gewesen. Es wird also bald passieren, wenn der unbekannte Sprecher Recht behält. Und es wird in Soho geschehen. Aber Soho ist nicht eben klein. Wir können es nicht permanent unter Kontrolle halten. Das muss man einsehen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten, bis dieser Fall eingetreten ist.«
Suko und ich schauten uns an. Es gefiel uns nicht, aber Sir James hatte recht. Wir konnten nicht einfach los ermitteln, ohne einen Hinweis zu haben.
»Bis es das erste Opfer oder den ersten Toten gegeben hat«, stöhnte ich und schüttelte den Kopf. »Wenn mir alles gefällt, nur das nicht.«
»Was willst du machen, John?«
»Nichts«, erwiderte ich, »das ist es ja. Wir können nichts tun, als diese verdammte Botschaft ernst nehmen.«
Sir James setzte sich wieder normal hin.
»Und wir müssen dafür sorgen, dass die Kollegen in Soho noch mehr die Augen offen halten, als sie es ohnehin schon tun. Das kommt noch hinzu. Entsprechende Maßnahmen werde ich zu ergreifen wissen. Dabei ist es nur schade, dass wir keine konkrete Warnung geben können. Mehr ist einfach momentan nicht drin. Außerdem ist Soho alles andere als klein. Und denken Sie daran, dass es nicht völlig umgebaut worden ist. An gewissen Stellen hat es noch sein Flair behalten. Schließlich wollen die Touristen den Atem der viktorianischen Zeit spüren, und das bekommen sie auch geboten.«
Der Meinung war ich auch und nickte, während ich zugleich den Recorder anschielte. Wir hatten das Band natürlich untersuchen lassen, doch kein Spezialist hatte etwas herausfinden können. Es war nur die Stimme vorhanden. Hintergrundgeräusche, die auf einen bestimmten Ort hindeuteten, gab es nicht.
Sir James erhob sich. »Ich würde sagen, dass wir den nächsten Tag abwarten.«
»Morgen ist Montag«, murmelte ich.
»Richtig.«
»Sieben Tote hat die Woche. Wenn der Sprecher nicht blufft, müsste er bald damit anfangen, sein Versprechen in die Tat umzusetzen, sodass wir möglicherweise morgen früh schon den ersten Toten haben. Ich sage das, obwohl es mir nicht gefällt. Aber die Tatsachen sprechen dafür.«
Da hatte er hundertprozentig recht. Suko griff den Faden noch mal auf.
»Wenn wir etwas damit zu tun bekommen, wird sich der Killer uns gegenüber als erhaben fühlen. Er will uns zum Narren halten. Er will uns vorführen, und wir müssen davon ausgehen, dass er kein Mensch ist, sondern ein Dämon oder eine von einem Dämon beeinflusste Person, die in dessen Namen irgendwelche Taten begeht.«
»Das ist alles möglich«, sagte ich.
»Und wie geht es weiter?«, fragte Suko. »Müssen wir jeden Tag mit einem Toten rechnen? Stehen wir dann einfach nur und laufen hinterher?«
»Es könnte so kommen.«
Er schaute mich an. »Genau das ist es, was ich an meinem Beruf so liebe, John.«
Ich konnte seine Wut verstehen. Mir erging es nicht anders. Noch war nichts passiert, und ich hoffte, dass sich die Botschaft letztendlich als Bluff herausstellte.
Sir James ging zur Tür.
»Wir kommen so nicht weiter. Ich werde jetzt meine Maßnahmen ergreifen und den zuständigen Stellen eine Verwarnung zukommen lassen. Alles andere können wir vergessen. Wir haben nichts, wo wir ansetzen könnten. Sollte etwas geschehen, werden wir voneinander hören.«
Mehr brauchte unser Chef nicht zu sagen. Wir wussten ja, dass er recht hatte. Als er im leeren Vorzimmer verschwunden war, schauten Suko und ich uns an. Nicht eben optimistisch und voller Frust.
»Was wissen wir bisher?«, fragte mich mein Freund und Kollege.
»Nichts.«
»Wieso?«
»Ja, wir wissen nichts.«
»Irrtum. Wir haben die Stimme.«
»Na und?«
»Es ist eine männliche Person auf dem Band zu hören. Da können wir schon die Frauen ausschließen.«
»Und weiter?«
Er lächelte. »Wäre es möglich, dass wir es mit einem alten Bekannten zu tun haben?«
»Es ist alles drin.«
»Fällt dir dazu jemand ein?«
Ich war leicht angefressen. Mir ging Sukos Fragerei auf die Nerven. »Nein, mir fällt niemand dazu ein, das ist es ja. Ich habe lange genug über die Stimme nachgedacht, aber sie hat einfach zu neutral geklungen. Da muss ich passen.«
»Aber er kennt uns.«
»Leider.«
»Und da wäre es möglich, dass er uns ebenfalls nicht unbekannt ist, John. Das kannst du drehen und wenden, wie du willst, aber das ist nun mal so.«
Ich winkte ab, denn ich war dieses Thema einfach leid. »Warten wir die Zeit ab, dann sehen wir weiter. Ich weiß verdammt genau, wie frustrierend das alles ist, aber uns werden schon früh genug die Augen geöffnet werden.« Ich schaute auf die Uhr.
»Hast du es eilig?«
»Nein«, sagte ich und drehte den Kopf, weil ich einen Blick durch das Fenster werfen wollte. Draußen hatte das Tageslicht den Kampf gegen die einbrechende Dämmerung aufgegeben. Es dunkelte. Schwere Wolken hingen am Himmel. Die Temperaturen hielten sich einige Grade über dem Gefrierpunkt, und in der vergangenen Nacht war etwas Regen gefallen. Ein trister Wintertag, wie er für Mitteleuropa so typisch ist. Nichts, das die Menschen zu einem sonntäglichen Spaziergang nach draußen trieb.
»Hast du dich noch mit Shao verabredet?«
Suko schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr erklärt, dass es länger dauern kann.«
»Dann könnten wir etwas essen.«
»Nicht schlecht. Wo?«
»In Soho?«
Suko lächelte. »China Town?«
»Einverstanden. Vorausgesetzt, es gibt dort keinen großen Ärger.« Ich dachte dabei an einen Fall, der uns vor einigen Monaten Probleme bereitet hatte.
»Im Moment ist es ruhig.«
»Dann lass uns gehen.«
Suko blieb noch sitzen. Als ich schon an der Tür war, stellte er eine Frage: »Erhoffst du dir etwas davon, wenn du in China Town essen gehst?«
»Du nicht?«
Er lachte. »Du gehst davon aus, dass meine Vettern etwas wissen, nur weil China Town in Soho liegt.«
»Das hatte ich tatsächlich im Hinterkopf.«
»Okay, du hast gewonnen. Man muss eben jeder Spur nachgehen, und ist sie noch so dünn ... «
Die chinesische Gemeinde existierte seit dem 19. Jahrhundert in London. Ursprünglich um die Hafenanlagen des West End angesiedelt, hatten sich dort zahlreiche Opiumhöhlen etabliert, die immer wieder in den zahlreichen Dramen aus viktorianischer Zeit eine Rolle spielten. Damals war die Gemeinde recht klein und übersichtlich gewesen.
Das änderte sich, als in den 50er Jahren des...