John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der
Finsternis ist seine Bestimmung.
Zwischen Diesseits und Jenseits
von Jason Dark
Father Ignatius, Chef der Weißen Macht, erlebte als Erster den Angriff aus einer anderen Zeit. Das Diesseits verschwand, und die Düsternis der Hölle entstand.
Zugleich quälte mich ein Albtraum, der mich bis in die Tiefen meiner Seele erschütterte. Dass der Traum etwas zu bedeuten hatte, erfuhr ich wenig später, als mich Father Ignatius in seiner Verzweiflung anrief und um Hilfe bat. Denn er hatte genau die Welt erlebt, die ich in meinem Traum gesehen hatte.
So führte uns das Schicksal wieder einmal zusammen. Leider gelenkt von einer urbösen und schrecklichen Kreatur der Finsternis, deren Existenz ich schon längst vergessen hatte ...
Schritte!
Draußen im Gang vor der Tür. Schnell und fordernd. Dort lief jemand, der es eilig hatte oder von einem Gefühl getrieben wurde, das nicht gut sein konnte.
Father Ignatius horchte auf. Und er schaute auch von seinem Buch hoch, in dem er gelesen hatte und über dessen Seiten das warme Licht der Schreibtischleuchte fiel.
Ignatius spürte, dass er mit diesen Schritten etwas zu tun bekommen würde. Und er ahnte auch, dass es kein Fremder war, der sich der Tür des Arbeitszimmers näherte. In diesem Haus lebten nur Menschen, die zu ihm und der Weißen Macht gehörten.
Er klappte das Buch zu. Seine Haltung hinter dem Schreibtisch verlor die Entspannung. Er richtete seine Blicke auf die Tür und wartete darauf, dass sie aufgestoßen wurde.
Es passierte noch nichts. Zunächst bekam er mit, dass die Schritte vor der Tür verstummten, dann schlug jemand von außen gegen das Holz, und Ignatius spürte jetzt die Spannung in sich. Er legte seine Hände auf die Stuhllehnen und war bereit, sich abzustemmen, was er nicht mehr brauchte, denn die Tür wurde von außen geöffnet.
Nicht schnell oder ruckartig. Sie schob sich langsam nach innen, und es erschien auch eine Gestalt, die über die Schwelle hinweg taumelte. Es war Pasquale, einer der Männer, die für die Weiße Macht arbeiteten und Nachrichten aus aller Welt auswerteten.
Man konnte die Weiße Macht als den Geheimdienst des Vatikans ansehen. Hier hatten sich Männer zusammengefunden, deren Interessen allein darauf gezielt waren, Unheil von der Kirche abzuhalten. Offiziell gab es sie nicht, denn sie arbeiteten mehr im Geheimen, aber sie waren stets präsent und hielten die Augen offen.
Pasquale, ein Mann um die 40, übertrat die Schwelle. Er ging nicht normal, das sah Ignatius schon bei den ersten Schritten. Er war erschöpft, atmete pfeifend und zog beim Gehen das linke Bein nach, als hätte er sich dort etwas verdreht.
Hustend kam er auf den Schreibtisch zu, hinter dem sich Ignatius erhoben hatte.
»Gütiger Himmel, Pasquale, was ist mit dir?«
Der Ankömmling gab keine Antwort. Es sah aus, als könnte er nicht reden. Er bewegte sich weiter, und es blieb beim Nachziehen des linken Beins. Ignatius konnte Pasquales Gesicht nicht so gut erkennen. Er glaubte allerdings, dass sich dort der Schrecken abmalte und besonders in den Augen zu sehen war.
Er saß längst nicht mehr hinter seinem Schreibtisch, war aufgestanden und ging ihm entgegen. Pasquale atmete keuchend. Er war schwach und ließ alles mit sich geschehen.
Ignatius führte ihn zu einer schweren Sitzgruppe aus dunklem Leder. Sie stand im Hintergrund des großen Arbeitszimmers, in dem auch die Regale mit den Büchern auffielen. Das Licht einer Stehlampe breitete sich aus, als Ignatius den Mann in einen Sessel drückte und mit leisen Worten beruhigend auf ihn einsprach.
Ungewöhnliche Vorgänge erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Ignatius besaß immer etwas, was einem Menschen in einer derartigen Lage gut tat. Eine Medizin, die er in einem Schrank versteckt hielt und jetzt hervorholte.
Es war eine mit bestem Grappa gefüllte Flasche. Zwei Gläser holte er ebenfalls hervor, weil er sicher war, dass auch er einen Schluck brauchen würde.
Pasquale saß im Sessel und atmete heftig. Er hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen wie jemand, der sich schämt, und aus seinem Mund drang kein Wort der Erklärung.
Ignatius kippte die Gläser im Stehen halb voll. Sie sahen aus wie kleine Wassergläser, waren aber dicker. Das Gluckern der Flüssigkeit in die Gläser hinein schien für Pasquale ein Zeichen zu sein, denn er ließ die Hände sinken und schaute Ignatius an.
»Trink erst mal.«
»Si, danke.«
Pasquale zitterte. Ignatius musste ihm das Glas schon zwischen beide Hände drücken, damit er es festhielt und nichts verschüttete. Dabei streifte sein Blick auch über das Gesicht des Mannes, auf dem eine Schweißschicht lag. Deutlich sah er in den Augen das Gefühl der Angst, aber Ignatius stellte noch keine Frage.
Pasquale führte das Glas zum Mund. Es stieß mit dem Rand an die Unterlippe. Er trank noch nicht, sondern atmete zunächst scharf durch die Nase ein, als wollte er das Aroma des Trester-Schnaps in sich aufnehmen.
»Trink, Bruder, es wird dir gut tun.« Auch Ignatius griff nach seinem Glas und hob es an.
Er trank nur wenig, aber Pasquale kippte den Schnaps bis auf einen geringen Rest in die Kehle. Ignatius schaute genau hin, und er war jetzt froh, das Licht eingeschaltet zu haben, denn so konnte er auch die linke Halsseite des Mannes sehen, und er entdeckte dort den langen dunklen Streifen, der sich feucht und glänzend nach unten zog und aussah, als hätte man ihn auf die Haut gepinselt.
Das war kein Teer. Es bestand auch nicht aus einer anderen dunklen Flüssigkeit. Ignatius musste kein zweites Mal hinschauen, um zu wissen, dass er von einer Verletzung stammte, die dem Mann am Hals beigebracht worden war.
Eine Wunde. Klaffend, auch blutend, wobei ein Teil des Blutes bereits getrocknet war.
Father Ignatius gefiel diese Wunde gar nicht. Sie ließ auf etwas Bestimmtes schließen, über das er allerdings nicht sprach, denn er wollte, dass Pasquale redete.
Ignatius nahm ihm das fast leere Glas aus der Hand und fragte: »Soll ich nachschenken?«
»Nein ... nein ... nicht.«
»Gut.«
Er wollte nicht stehen bleiben und nahm in einem zweiten Sessel Platz, nachdem er ihn in die Nähe des Mannes geschoben hatte. Pasquale sagte noch nichts. Er atmete noch immer heftig. Das Gesicht war auch jetzt leicht verzerrt, und Ignatius hatte das Gefühl, dass sich der Mitbruder auch jetzt nicht in Sicherheit fühlte.
Auf der Hut sein mussten sie immer. Die Weiße Macht war nicht nur ein Dienst, der nach Feinden suchte, nein, auch sie wurden von Feinden aufgespürt, und es waren oft Mächte, die mit den normalen Regeln nicht zu erklären waren. Father Ignatius hatte oft genug gegen die Mächte der Finsternis kämpfen müssen, früher im Kloster St. Patrick im schottischen Hochland und seit einigen Jahren als Chef des Geheimdienstes der Weißen Macht.
Er blieb ruhig, auch wenn es in seinem Innern anders aussah. Und er ahnte, dass diese Nacht für ihn noch nicht beendet war und einen anderen Verlauf nehmen würde, als er es sich vorgestellt hatte.
»Draußen, Bruder Ignatius, draußen ...«, krächzte Pasquale.
»Ja, was ist dort?«
Pasquale dachte nach. Er stöhnte auf und deutete ein Kopfschütteln an.
»Draußen im Garten. Ich bin angegriffen worden. Sie haben sich versteckt gehalten, aber plötzlich waren sie da. Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen. Dann ...«
»Bitte, Pasquale, ich unterbreche dich nur ungern. Aber wer ist dort gewesen?«
Der Blick des Mannes erhielt einen glänzenden Ausdruck.
»Die Vögel«, flüsterte er. »Die riesigen Vögel sind gort gewesen. Sie lauerten zwischen den Bäumen, und dann griffen sie mich an ...«
Ignatius war skeptisch, und das verriet auch sein Gesichtsausdruck.
»Waren es tatsächlich Vögel?«
»Wenn ich es dir sage.«
»Beschreibe sie mir.«
»Es war dunkel.«
»Versuch es trotzdem.«
»Sie ... sie waren so groß, Ignatius. Wahnsinnig groß. Mit riesigen Schwingen. Solche Vögel gibt es eigentlich nicht. Ich habe sie vorher noch nie gesehen, aber sie griffen mich an. Sie fielen einfach über mich her. Es war wirklich der reine Wahnsinn.«
»Sie haben dich am Hals erwischt.«
»Genau.«
Ignatius nickte. »Hackten sie mit den Schnäbeln nach dir?«
Pasquale überlegte. Er blickte Ignatius dabei starr an und schüttelte plötzlich den Kopf.
»Nein, nein, das waren keine Schnäbel, glaube ich wenigstens.«
Ignatius blieb sehr ruhig, auch wenn ihn ein bestimmter Verdacht beunruhigte. Er stand auf und beugte sich über Pasquale hinweg, als wollte er ihn umarmen.
»Was ist?«
»Ich möchte mir mal deine Wunde anschauen.«
»Ja, bitte.«
Es war hell genug. So brauchte Ignatius erst keine Taschenlampe zu holen. Er bat seinen Mitbruder den Kopf nach rechts zu...