John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der
Finsternis ist seine Bestimmung.
Duo Infernale
von Jason Dark
Die Aussicht vom Turm der Kathedrale war wirklich phantastisch. Unter mir der herrliche Genfer See, die Stadt am Ufer, die Berge im Süden, aber vor mir stand die dunkelhaarige Florence mit der Waffe und stellte mir eine Frage: »Wer kann dir jetzt noch helfen, Sinclair?«
Richtig. Sie und ihre Schwester Fiona, genannt das Duo Infernale, hatten Jane Collins und mich in die Falle gelockt. Was mit dem Verfaulen ihrer Mutter begonnen hatte, sollte im Turm der Kirche für mich ein blutiges Ende finden ...
»Geht es dir gut, Prinzessin?«
»Wunderbar, du kleine Hexe.«
»Freut mich.«
»Mich auch, Fiona.«
Florence, die Dunkelhaarige und Prinzessin genannt, warf ihren Kopf zurück und lachte kehlig. Danach flüsterte sie mit scharfer Stimme, damit sie auch gut zu hören war: »Erleben Sie das Achte Weltwunder - das Duo Infernale.«
»Seit wann zitierst du Werbespots?«, fragte die blonde Fiona.
»Nur dann, wenn sie uns betreffen ...«
An diesem Abend sah der See im Berner Mittelland nicht gut aus. Dabei war es nicht einmal dunkel, aber ich, der am Ufer auf einem großen Stein saß, hatte das Gefühl, als hätten sich die Tiefen des Grundes geöffnet, um uralte und unheimliche Schattenmonster freizulassen, damit sie sich in der normalen Welt tummeln und den Kämmen der Wellen einen grauen schimmeligen Anstrich geben konnten, der manchmal sogar die Farbe alter Wasserleichen aufwies.
Es war noch nicht Abend, es gab noch den Tag, und mein Blick streifte das Ufer auf der anderen Seite, das durch hügelige Weinberge gezeichnet wurde, die ebenfalls an Wellen erinnerten, jedoch an starre, denn kein Windstoß bewegte sie. Er spielte höchstens mit den Bündeln junger Trauben, die erst noch der Lese entgegenreifen mussten. Die kleinen Orte waren noch gut zu erkennen. In der Luft malten sie sich klar ab, wie auch die Schiffe, die über den See schipperten, wobei die hellen Ausflugsboote besonders auffielen, weil sie zu den größten Fahrzeugen gehörten.
Es war eine Landschaft, die zufrieden machte. Eben weil sie eine derartige Ruhe ausstrahlte, die ich leider nicht empfand.
Ich wusste selbst nicht, ob der Vergleich mit dem Wasser stimmte, denn ich konnte ihn mir auch eingebildet haben, weil ich nicht zum Spaß hier am See und auf dem Grundstück des Hotels saß, das hinter meinem Rücken lag und im Landhaus-Stil gebaut war.
Es gehörte zu den edelsten Schweizer Herbergen, und seine Lage war natürlich exponiert. Direkt am See, mit einer wunderschönen Terrasse, dem lichten Restaurant, den gemütlichen Zimmern und den dunkelbraunen Holzbalkonen.
Ich hatte hier schon eine Nacht verbracht und hätte mich auch sauwohl gefühlt, wäre ich privat hier am Murten-See gewesen. Aber das war ich nicht, denn ich wartete auf ein Boot, das mich abholen sollte, wie mir Jane Collins angekündigt hatte. Sie hätte eigentlich schon früher eintreffen sollen, aber ihr war etwas dazwischengekommen, und so hatte sich ihre Ankunft um einen Tag verzögert.
So hatte ich hier einen Tag verbracht, war bei dem herrlichen Wetter schwimmen gegangen, hatte auf der Liegewiese geschlafen, gelesen und mich bedienen lassen.
So hätte es weitergehen können, aber in mir steckte eine Unruhe, deren ich nicht Herr wurde. Das Vergnügen würde bald vorbei sein, denn es gab etwas zu klären, mit dem Jane Collins nicht allein fertig wurde. Sie hatte mich nicht eingeweiht, zumindest nicht in Einzelheiten. Ich wusste nur, dass es gefährlich werden konnte, denn Jane Collins hatte mich nicht grundlos gewarnt.
Sie selbst wohnte nicht im Hotel, das zu einem Ort gehörte, der Meyriez hieß. Wo sie ihre Bleibe hatte, wusste ich nicht mal. Möglicherweise auf dem See und auch auf dem Boot, das mich an der Anlegestelle des Hotels abholen sollte.
Dort hockte ich wie von aller Welt verlassen. Ich schaute auf das Wasser, sah den Wellen und Strömungen zu, beobachtete auch das zufriedene Treiben der Schwäne und Enten und hätte mich an dem Anblick eigentlich erfreuen können, wäre da nicht dieser innerliche Druck gewesen, der mich einfach nicht aus seinen Klauen ließ.
Es ging mir einfach gegen den Strich, dass ich nicht wusste, um was es genau ging. Ich hatte Jane auch nicht dazu überreden können, es mir zu sagen, da hatte sie sich ziemlich verstockt gezeigt. Sie war nur der Meinung gewesen, dass ich mich auf sie verlassen sollte, und das hatte ich getan.
Mir war klar, dass Jane mich nicht aus lauter Spaß an der Freude in die Schweiz bestellt hatte, dazu kannte ich sie lange genug. Sie war Detektivin und keine Schaumschlägerin. Allerdings war sie auch so etwas wie eine positive Hexe, das heißt, sie hatte vor Jahren mal auf der anderen Seite gestanden und dem Bösen gedient, doch diese Zeiten waren längst vorbei. Nur kleine Reste waren noch in ihrem Innern zurückgeblieben, in der Regel verschüttet, doch zum richtigen Zeitpunkt wurden sie wieder hervorgedrückt, und es war durchaus möglich, dass ich damit konfrontiert wurde.
Eine genaue Zeit hatten wir nicht ausgemacht. Ich sollte am Ufer an der Anlegestelle des Hotels warten, und Jane würde mir früh genug Bescheid geben.
Der Wind war sacht. Er streichelte mehr das Gras und auch die Bäume, die Schatten gaben. Hinter mir breitete sich der Rasen bis zur etwas höher gelegenen Terrasse hin aus, auf der sich jetzt keine Gäste mehr aufhielten, sodass das Personal zum Dinner aufdecken konnte. Hin und wieder hörte ich eine Stimme, auch das leise Klirren der Bestecke, wenn nicht gerade die Wellen stärker am Ufer ausliefen, die von irgendwelchen Ausflugsbooten hinterlassen wurden.
Diese hellen Schiffe fuhren quer über den See und legten an den verschiedensten Orten an. Ich sah auch Segler und Surfer. Gerade die letzten huschten wie spielerisch über die Wellen hinweg und ritten sie regelrecht ab, um ihnen zu zeigen, dass sie die Herren hier waren und nicht das Wasser.
Die Farbe war geblieben. Dunkel und hell zugleich. Insgesamt fahl wie auch das Gebilde der Wolken hoch über mir. Es schien zwar noch die Sonne, trotzdem hatten sich die schraffierten Formationen gebildet, die mich an große, zerrissene Tücher erinnerten, die sich vom Wind wegtragen ließen.
Das nahe Uferschilf schabte gegeneinander, wenn es bewegt wurde. Enten wiegten sich auf den Wellen. Zwei Schwäne schoben sich majestätisch in das offene Wasser hinein, und durch die Luft segelten Vögel mit hellem Gefieder.
Jane hatte mir versprochen, mich vor dem Dunkelwerden zu erreichen. Bis es so weit war, verging noch genügend Zeit, und ich überlegte schon, ob ich sie nicht auf dem Balkon meines Zimmers verbringen sollte. Dort waren die Sitzgelegenheiten zumindest bequemer. Da konnte ich zwischen einem normalen Korb- und einem Liegestuhl wählen.
Eine Entscheidung wurde mir abgenommen, weil sich mein Handy plötzlich meldete. Ich hatte nicht damit gerechnet und schrak leicht zusammen. Vorbei war es mit der Ruhe und dem Schauen über das Wasser hinweg. Vorbei mit den Gedanken, und ich griff schnell in die Tasche, um den flachen Apparat hervorzuholen.
»Ja ...«
»Ich bin es nur.«
»Sehr gut, Jane. Auf deinen Anruf habe ich gewartet.«
»Kann ich mir denken.«
»Und wo hältst du dich jetzt auf?«
»Ich bin auf dem Boot und damit auf dem See.«
»Wann kannst du bei mir sein?«
»In einigen Minuten, denke ich. Sagen wir mal zehn bis fünfzehn. Bleibt es dabei, was wir abgemacht haben?«
»Klar, ich sitze an der Anlegestelle des Hotels. Ich schaue aufs Wasser, beobachte die Enten und Schwäne und denke daran, dass es schön wäre, hier einige Tage zu entspannen, denn das Wetter soll ja noch so bleiben.«
»Träume weiter.«
»Was gibt es?«
Ich hörte Jane tief einatmen. »Später, John. Später erfährst du alles. Freu dich weiter, es wird bald vorbei sein.«
»Toll, dass du mir immer diese Hoffnung machst.«
»Vergiss nicht, dass wir nicht zum Spaß hier in der Schweiz sind.«
»Klar, ich denke immer daran. Ist ja mein Job. Und mein Büro ist die ganze Welt.«
»Toll, John. Wer kann das schon von sich behaupten?«
»Bis gleich.«
Ich ließ das Handy verschwinden und hörte hinter mir ein leises Räuspern.
Als ich mich drehte, lächelte mich eine junge Frau an. Die Kleine gehörte zum Personal. Sie trug ein Tablett, auf dem ein schlankes Glas stand, in dem ein Getränk perlte.
»Einen Prosecco, Monsieur?«
»O gern.« Ich war überrascht und stand auf. »Nur hatte ich keinen bestellt.«
»Unser Haus erlaubt sich, Ihnen ein Glas anzubieten.«
»Merci, das nehme ich gern.«
»Santé, Monsieur.«
Das Mädchen lächelte, drehte sich um und ging davon. Ich hielt das Glas in der Hand, schaute den Perlen nach, die der Oberfläche entgegenstiegen, und leerte das schmale Gefäß beim ersten Schluck bis zur...