Vor der Hütte hörte er die schrecklichen Laute. Da schrie, jammerte und ächzte seine Frau. Er wusste, dass die Männer es rau machten. Spaß nannten sie es, auch dann, wenn die Person unter ihren verdammten Foltermethoden starb.
Cabot konnte ihr nicht helfen, denn ein bärtiger Mann stand vor seinem Lager, hielt seinen Säbel fest umklammert und hatte die Spitze gegen die Brust des Liegenden gestemmt.
Der Bärtige kümmerte sich nicht um die Angst in den Augen des Mannes und erklärte ihm locker: »Weißt du, Cabot, einer muss es ja sein. Du kennst den Brauch.«
»Ja, ja, ich kenne ihn.« Cabot hätte sich gern aufgebäumt, das war unmöglich wegen der Waffe. »Aber warum muss ich es sein, verflucht? Warum gerade ich?«
»Wir alle halten dich für würdig.«
Cabot lachte so unecht, dass er seine Lache dabei selbst nicht mehr erkannte. Dabei schloss er die Augen. Er hätte sich am liebsten auch die Ohren zugehalten, doch eine Bewegung traute er sich nicht zu, die hätte der andere falsch verstehen können.
Das Schreien vor der schiefen Hütte war noch immer zu hören. Leiser allerdings, ein Zeichen, dass Cabots Frau keinen Widerstand mehr leistete. Dafür waren die Stimmen ihrer Peiniger zu hören und das harte Geräusch, als Stoff entzweigerissen wurde.
Der Mann mit dem Säbel grinste. Er wusste genau, was seine Kumpane der Frau antaten, und er sah keinen Grund, sie zurückzuhalten.
Aber es kam anders.
Wütend trat ein wilder, rothaariger Typ die Tür auf und betrat fluchend die Hütte.
»Was ist denn?«
»Sie rührt sich nicht mehr!«, meldete der Kerl.
»Wie?«
»Tot!«
Auch Cabot hatte die Antwort vernommen. Weit riss er seinen Mund auf. Diesmal kümmerte er sich nicht um die Waffe. Sein Gesicht verzerrte sich. »Mörder!«, brüllte er. »Ihr verdammten Mörder! Ihr habt sie getötet! Ihr Hunde, ihr gemeinen Mörder! Ihr Schweine .!«
Der Säbel bewegte sich. Blitzschnell schnitt er durch die Kleidung und zog einen blutigen Streifen über die Brust des Mannes, dessen Fluchen verstummte und einen Moment später überging in ein schmerzvolles Wimmern.
»Du bist ruhig!« Der Bärtige wandte sich an seinen Kumpan. »Stimmt das?«
»Klar.«
»Dann nehmen wir ihn mit.«
»Direkt zum Friedhof?«
»Sicher.«
Cabot hatte nicht hingehört. Er lag weiterhin auf dem Rücken und jammerte. Das Blut verteilte sich auf seiner Brust und versickerte in dem alten Strohsack des Lagers.
»Steh auf!«
Als er sich nicht rührte, trat ihn der Bärtige.
»Los, hoch von deinem Lager, Cabot! Du bist auserwählt! Du wirst den Friedhof einweihen, und du kennst das Ritual.«
Cabot rollte sich mühsam zum rechten Rand des Lagers hin. Ja, er kannte es. Er wusste, was sie vorhatten. Die Zeiten waren schlimm und schwierig. Einen musste es treffen, und die Überlieferungen konnten nicht umgangen werden, so grausam sie auch waren.
Er fiel auf den schmutzigen Boden. Die Wunde auf seiner Brust brannte, als wäre Säure hineingeträufelt worden. Auf allen vieren kroch er über den schmutzigen Untergrund, bis er getreten und gefragt wurde, ob er nicht aufstehen wollte.
»Später wirst du noch lange genug liegen, Bastard«, sagte der Bärtige lachend.
Cabot quälte sich hoch. Schwindel überkam ihn. Seine Hütte drehte sich im Kreis, so kam es ihm vor. Durch die schmutzigen Fenster fielen die letzten Reste der Helligkeit des sich verabschiedenden Tages. Von der Feuerstelle her wehte ihm der Geruch von kalter Asche entgegen. Seine Augen brannten, der Hals war furchtbar trocken. Das Herz schlug schneller als sonst, und unter seiner Schädeldecke hämmerte es.
Einer der Männer griff ihn in den Nacken. Die Hand war wie eine Klammer, und Cabot spürte den Druck, als er durch die offene Tür ins Freie geschoben wurde, wo sich bereits die ersten Schatten der Dämmerung ausgebreitet hatten, es aber nicht schafften, die grauenhafte Szene zu verdecken, die sich Cabot bot.
Seine Frau lag auf dem Rücken. Man hatte sie schon halb entkleidet. Neben ihr stand der dritte Kerl. Er schaute den anderen mit teilnahmslosem Blick entgegen.
Sie alle kannten keine Gnade, aber das war bekannt. Die drei Männer gehörten zu den schlimmsten Mördern, die es gab. Erbarmen und Gnade kannten sie nicht, und sie wurden immer dann geholt, wenn es galt, ein bestimmtes Ritual durchzuführen.
Der Bärtige sprach Cabot von der Seite her an. »Keine Sorge, sie wird auch begraben.«
Er bekam einen Stoß in den Rücken, der ihn nach vorn taumeln ließ. Cabot wunderte sich, dass er sich auf den Beinen halten konnte. »Irgendwann erwischt es euch, das verspreche ich euch. Irgendwann, da könnt ihr sagen, was ihr wollt.«
»Ja, ja, aber noch ist es nicht soweit. Erst bist du an der Reihe, Cabot.«
Sie gingen weiter und blieben dort stehen, wo die Männer aus den Dörfern einen Teil des Waldes abgeholzt hatten, um eine freie Fläche zu bekommen. Die endete nicht weit von der Steilküste entfernt, wo tief unten die mächtigen Wogen des Meeres gegen die Felsen schlugen und wie lange, hungrige Zungen an dem Gestein hochleckten, bevor sie wieder zusammenfielen.
Sie nahmen Cabot in die Mitte. Der Bärtige blieb hinter ihnen, und sie brachten ihn zu einem Karren mit einem Gitterkäfig aus Holz auf der Ladefläche.
An der Rückseite hatte er eine Tür, die der Bärtige aufriss. Das Pferd vorn schnaubte und scharrte mit den Hufen. Es wusste, dass es nicht mehr lange stillstehen musste.
»Steig auf!«
Cabot tat es zitternd. Die Holzbohlen erzeugten dumpf klingende Echos, als er einige Schritte über sie hinwegging und sich schließlich zusammensinken ließ.
Er hockte auf der Ladefläche wie ein Tier, das sich verkrochen hatte und nicht mehr hervorkommen wollte.
Der Bärtige rammte die Gittertür zu. Er stieg auf den Bock, wo er zu der Peitsche griff und das Pferd antrieb.
Der alte Gaul schnaubte unwillig, bevor er sich in Bewegung setzte und den zweirädrigen Karren hinter sich herzog. Die Räder erzeugten ein Quietschen, das bei sensiblen Menschen einen Schauer hervorrufen konnte.
Der Boden war uneben. Erst nahe des Dorfes begann der Pfad, und er führte leicht bergab, was dem Pferd das Laufen leichter machte.
Cabot wusste nicht, wie er sich legen oder setzen sollte, um die Schmerzen auf seiner Brust zu lindern. Die Wunde brannte, und es drang noch immer Blut daraus hervor. Zudem spürte er jede Unebenheit, wenn die Räder darüber hinweghüpften.
Durch die Gitter über ihm konnte er zum Himmel schauen, der grau geworden war, tiefgrau. Alles Regenwolken.
Cabot hatte sich in sein Schicksal ergeben. Er war ein Mann in den besten Jahren, aber er hatte stets zu den Außenseitern gehört, und das wiederum hatte den übrigen Bewohnern nicht gepasst. Seine Frau und er waren nie wohlgelitten gewesen, so war sein Schicksal eigentlich nur die Folge vergangener Taten gewesen.
Im Dorf wusste man Bescheid. Alles, was Beine hatte, war auf dem kleinen Marktplatz versammelt. Da standen Frauen, Männer und Kinder dicht gedrängt, und sie schrien auf, als sie das Pferd und den Wagen erkannten, der in den Ort rollte.
Zwei Häscher hockten auf den Gäulen und ritten einige Schritte voraus. Sie mussten sich bei diesem Empfang vorkommen wie zwei kleine Könige. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich auch ein entsprechender Ausdruck ab. Eine Mischung aus Arroganz und hoheitsvollem Lächeln.
Das Pferd scheute, als es den Marktplatz erreichte und in den tanzenden Schein einer Fackel schaute. Der Bärtige musste hart an den Zügeln zerren.
Er blieb auf dem Bock. Fragen stürmten auf ihn ein. Antworten gab er nicht, er wehrte die Fragen nur mit wilden Handbewegungen ab. »Wir haben ihn euch gebracht. Alles andere ist eure Sache.« Mit steif wirkenden Bewegungen stieg er vom Bock.
Die Kinder waren die Ersten, die ihre Scheu überwanden. Sie lösten sich von den Händen ihrer Eltern und liefen auf den Wagen zu. Mit ihren Händen umklammerten sie die Stangen, rüttelten daran und brachten das Gefährt in schaukelnde Bewegungen.
Das merkte auch Cabot. Er öffnete mühsam die Augen und schaute in die Gesichter hinter den Stangen, in die Augen, sah die offenen Münder, die Wut und den Hass selbst in den Gesichtern der Jüngsten. Sie waren genau vorbereitet worden, was ihn wiederum erschreckte.
»Der blutet ja!«, schrie ein Mädchen.
»Ja, das ist eine Verletzung.«
»Durch einen Säbel?«
»Glaube schon.«
»Der hätte sterben können.«
»Das soll er noch nicht.«
Cabot hörte sich die Kommentare an. Er hockte auf dem schmutzigen Boden, den Kopf gesenkt. Sein Mund stand offen, der Atem rasselte. Hinter den Gestalten der Kinder entdeckte er die Gesichter der Erwachsenen. Auch sie starrten nur ihn an, der hinter dem Gitter hockte wie ein Tier.
So ähnlich fühlte er sich auch.
Es gab für ihn kein Entrinnen, denn dem Brauch musste Genüge getan werden.
Die Menschen aus dem Ort hatten sich entschlossen, einen neuen Friedhof anzulegen. Das war an und für sich nichts Ungewöhnliches, wenn nicht etwas hinzugekommen wäre.
Bevor die erste Leiche einen Platz in einem der Gräber fand, musste der Friedhof auf eine besondere Art und Weise eingeweiht werden, denn er brauchte einen Ankou, einen Friedhofswärter, der ihn beschützte.
Cabot sollte der Ankou werden, und niemand dachte daran, die alten Rituale zu verändern.
Deshalb wurde Cabot als Erster in ein Grab...