Schandturm der Templer (2. Teil)
Die Ratten kamen!
Angetrieben durch den schrillen Pfiff des Kind-Dämons Baphometh, wälzte sich die graubraune, zuckende Flut der Leiber auf die beiden offenen Särge zu.
In den Totenkisten lagen zwei Menschen, die durch die Einnahme eines teuflischen Gifts nicht in der Lage waren, sich zu verteidigen.
Die beiden waren Suko und ich! - Wir kannten hungrige Ratten und wussten, wozu sie fähig waren .
Schon einmal hatten sie auf meinem Körper gehockt und ihn wie mit einem Pelz bedeckt, aber da hatten sie nicht zugebissen und nur demonstrieren wollen, was sie alles schafften.
Jetzt sollten sie töten.
Die ersten Nager konnten es kaum erwarten. Sie sprangen eigentlich viel zu früh. Zwar wuchteten sie ihre fetten Körper in die Höhe, zum Glück klatschten diese außen gegen die Ränder der Särge. Auch wenn die Ratten es einmal schafften, ihre Pfoten auf den Sargrand zu legen, rutschten sie wieder ab.
Das würde unser Leben nur um Sekunden verlängern, bis plötzlich etwas eintrat, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
Eine Stimme klang auf.
Ich hörte sie nur in meinem Gehirn, hatte aber das Gefühl, als würden mehrere Geister oder auch Menschen zu mir sprechen und sie sagten nur einen Satz.
»Aktiviere deine Waffe!«
Damit konnte nur das Kreuz gemeint sein.
Noch besaß ich eine Galgenfrist. Bewegen konnten wir uns nicht, aber reden.
Und so schrie ich die Formel laut und deutlich, als die ersten Ratten dabei waren, sich über die Ränder in die beiden Särge zu stürzen.
»Terra pestem teneto - Salus hic maneto!«
Die Worte klangen wie ein einziger Schrei, und ich hatte sie wohl noch nie zuvor so hastig und schnell gesprochen.
Die Reaktion trat ein.
Mein Kreuz, von Hesekiel hergestellt, entfaltete seine immense Kraft und überraschte uns wieder einmal völlig .
*
Er hieß Esquin de Floyran und trug noch die Kutte der Templer, die aber jetzt dreck- und blutverschmiert war. Zeichen seines Leidens, das er unter den Werkzeugen der Folterknechte erfahren hatte.
Er wimmerte, als er auf der Streckbank lag. Es sollte die letzte Stufe für ihn sein, aber wahrscheinlich überlebte er diese nicht. Die beiden Knechte jedenfalls freuten sich und grinsten diabolisch, als sie die Eisenstangen in das Schmiedefeuer hielten, damit das Metall glühend wurde. Sie waren in ihrem Element, in Toulouse und Umgebung wurden sie nur die Grauenhaften Zwei genannt.
Vor langer Zeit hatte man ihnen die Zungen herausgeschnitten, sodass sie nicht mehr sprechen und von ihren Schandtaten berichten konnten. Einmal im Monat durften sie den Kerker verlassen und in die Stadt gehen. Da bekamen sie jeder ein Goldstück. Wenn sie die finsteren Spelunken betraten, nahmen die meisten Gäste Reißaus, und selbst die schlimmsten Huren wollten mit ihnen nichts zu tun haben.
So betranken sie sich fast bis zur Bewusstlosigkeit, und es waren die Helfer des Schlossherrn, die sie in den Morgenstunden aufsammelten und sie wieder in die düsteren Folterkeller sperrten, die nie das Licht des Tages gesehen hatten.
Jetzt wollten sie die Streckbank bedienen. Der eine am oberen Ende, der andere am unteren. Aber vorher mussten sie den Gefangenen noch anders quälen, man hatte ihnen da freie Hand gelassen, aber ihnen gleichzeitig eingeschärft, ihn nicht zu töten.
Esquin de Floyran starrte auf das Eisen. »Nein!«, brüllte er. »Ich war gehorsam. In Paris habe ich mit Nogaret, dem Statthalter des Königs gesprochen. Er hat mich gelobt und wollte mich nur aus Paris weghaben .«
Die Stimme des Templers brach ab. Sie endete in einem tiefen Schluchzen. Es hatte keinen Sinn, die Folterknechte konnten nicht reden. Sie würden ihm keine Antwort geben.
Im Gegenteil, sie freuten sich, wenn die Menschen schrien. Einer nahm plötzlich eine lebende Spinne aus ihrem Netz und zerknackte sie zwischen den Zähnen.
Dem Templer wurde fast übel.
Er dachte jetzt über seine Schandtaten nach, aber es war zu spät. Seinen eigenen Orden hatte er verraten. Mit Schimpf und Schande hatten sie ihn ausgestoßen, aber niemand ahnte, dass dahinter ein sehr wohl durchdachter Plan steckte, ausgeklügelt von Guilleaume Nogaret, einem der Mächtigen hinter dem König.
Doch Menschen können nicht über ihren eigenen Schatten springen, das hatte auch de Floyran einsehen müssen. Er war als kleines Rädchen im Getriebe der Macht zerrieben worden.
Er sollte sein Leben auf der Folterbank aushauchen, unter grässlichen Schmerzen und lauten Schreien.
Der Spinnenknacker beugte sich vor. Sein Gesicht näherte sich dem des Templers. Zwischen den Lippen schaute, dünn wie ein Haar, ein Spinnenbein hervor. Die Hand mit dem Eisen wanderte höher. Sie Spitze leuchtete in einem hellen Weiß-rot. Sie würde das Fleisch durchbohren wie Fett.
Der Templer spürte bereits die Hitze. Sie strich über sein Gesicht. Er wusste, dass sie ihn zuerst auf der Brust und dann den Wangen zeichnen würden. Wenn er schrie, würde der zweite Folterknecht an der Kurbel der Streckbank drehen.
Da flog die Tür auf.
So wuchtig und hart, dass sie gegen die Steine der Mauer krachte und wieder zurückschnellte, dabei allerdings von mehreren Stiefelsohlen gleichzeitig abgefangen wurde, denn eine Horde Bewaffneter stürmte in die große Folterkammer.
In den Scheiden steckten die Schwerter. In den Händen aber hielten sie harte Holzknüppel.
Bevor die beiden Folterknechte sich versahen, wurden sie weggezerrt. Intelligent waren sie nicht, aber sie besaßen eine gewisse Bauernschläue. Die sagte ihnen, dass man den Gefangenen befreien wollte.
Das konnten die Folterknechte nicht zulassen.
Sechs Soldaten waren in die Folterkammer gestürmt. Zwei Gegner hatten sie nur. Es kam zu einer regelrechten Schlacht. Mit den Knüppeln droschen die Soldaten zu. Dabei war es ihnen egal, wohin sie trafen. Die Folterknechte besaßen Schädel wie aus Stein.
Irgendwann sackten sie zusammen. Einer von ihnen fiel noch in das Feuer. Er wälzte sich noch aus den Flammen hervor, dann rollte er über den Boden und brüllte sich fast die Seele aus dem Leib. Schließlich blieb er bewusstlos liegen, wie auch sein Kumpan, der, von harten Schlägen gezeichnet, sich blutend am Boden krümmte.
Auch die Soldaten hatten einiges einstecken müssen, doch sie waren es gewohnt, Schmerzen zu ertragen.
Nur den Gefangenen hatte niemand angerührt. Er lag auf der Streckbank, steckte voller Furcht und wartete darauf, was mit ihm geschehen würde. Zwei Männer traten auf die Bank zu. Die Hartholzknüppel hatten sie wieder weggesteckt. Neben den Griffen ihrer Schwerter schauten sie aus den Hosengürteln.
Dann lösten sie die Stricke.
Esquin de Floyran atmete auf. Er konnte nicht vermeiden, dass Tränen der Erleichterung aus seinen Augen strömten und Spuren auf den schmutzigen Wangen hinterließen.
Wem hatte er die Gnade der Befreiung zu verdanken? Vielleicht seinem mächtigen Helfer im Hintergrund Nogaret?
Das war ihm in diesen Augenblicken egal. Er hätte alles getan, nur um freizukommen.
Die Soldaten zogen ihn hoch. Sie gingen rücksichtslos vor, schleuderten ihn von der Streckbank, aber der Gefangene konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.
Er brach auf der Stelle zusammen.
Die Geräusche seiner unmittelbaren Umgebung nahm er kaum wahr, aber eines ließ ihn doch aufhorchen und den Kopf anheben.
Es war das typische Rasseln einer Kette!
Schweres Eisen, ein Zusammenfügen einzelner Glieder, unzerreißbar und oft mit einer Stahlkugel beschwert. Ohne dass er den Kopf hob, wusste er auch so, für wen die Kette bestimmt war.
Für ihn.
Er kam von einer Hölle in die andere. Nur konnte die nächste nicht schlimmer sein als die, die er hinter sich hatte. Wer angekettet wurde, dem blieb zunächst eine Folter erspart.
Hände griffen brutal zu und rissen ihn in die Höhe. Man hatte dem Templer bei den Folterungen auch gegen die Kniegelenke geschlagen. Er konnte kaum Halt finden und schrie auf, als ihm jemand in den Rücken trat.
Zu zweit legten sie ihm die Ketten an. Die Soldaten hatten Mühe, das schwere Eisen in die Höhe zu wuchten. Eiserne Ringe legten sich um seine Gelenke an den Armen. Sie waren an den Innenseiten glücklicherweise nicht mit kleinen Nägeln bespickt, denn so etwas Grausames hatten sich ebenfalls Menschen ausgedacht.
Ein dritter Soldat schleifte die Kugel näher. Sie hing am Ende der Fußkette. Den Anfang bildete wieder eine Eisenklammer. Sie schloss einen Kreis um das rechte Fußgelenk.
Fliehen würde er aus eigener Kraft nicht können. Wenn er ging, bedeutete jeder Schritt eine große Anstrengung, da er die schwere Eisenkugel hinter sich herschleifen musste.
Aber Esquin de Floyran war zunächst dieser verdammten Hölle des Folterverlieses entkommen.
Die brutalen Folterknechte lagen noch immer am Boden. Es würde auch...