Schweitzer Fachinformationen
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Ungläubig starrte sie auf den Papierstreifen, den der Rechner ausgeworfen hatte. Wenn diese Zahlen wirklich stimmten, war ihre Situation nicht nur kritisch, sondern fast schon ausweglos. Wie konnte sie sich nur so täuschen? Der Juni war doch ein verhältnismäßig guter Monat gewesen! Das Wetter hatte mitgespielt, die Pfingstfeiertage waren sehr gut gelaufen und sie hatten eine große Hochzeitsgesellschaft, einen Empfang für den Fremdenverkehrsverein und zwei Geburtstage ausgerichtet. Außerdem hatte ein Team des Regionalfernsehens ein Portrait über ihr Restaurant gedreht und eine große Frauenzeitschrift einen Artikel veröffentlicht, der eine einzige Lobeshymne auf sie und ihre Kochkunst darstellte. Sie hatte ein so gutes Gefühl gehabt. Und nun das.
Resigniert legte Anna Floric den Streifen zuoberst auf den Stapel Briefe auf ihrem Schreibtisch. Fast alle bargen Rechnungen: von Lieferanten, von der Druckerei, von der Wäscherei, von der Autowerkstatt. Ihre Fantasie zum Ersinnen weiterer Sparmaßnahmen war erschöpft. Es würde ihr nichts weiter übrig bleiben, als wieder einmal einen sehr unangenehmen Gang zu ihrer Bank anzutreten und mit diesem Banausen im feinen Zwirn über eine Erweiterung ihres Kreditrahmens zu verhandeln. Schon bei dem Gedanken daran bekam Anna ein flaues Gefühl im Magen. Zahlen waren einfach nicht ihre Welt und vor diesem spießigen Filialleiter als Bittstellerin zu Kreuze zu kriechen, lag ihrem geradlinigen Wesen schon gar nicht. Mechanisch öffnete sie einen Brief nach dem anderen und stapelte alle Rechnungen in den Korb mit der ordentlichen Aufschrift ›Überweisen‹, der rechts auf dem großen, alten Eichenschreibtisch stand. Am liebsten hätte sie mit all diesen finanziellen Dingen gar nichts zu tun gehabt. Kochen, das war es, was sie konnte und wollte. Doch feine Speisen in einem ansprechenden Ambiente zu servieren, war eben noch lange keine Garantie für finanziellen Erfolg. Und sie hätte wissen müssen, auf welches Wagnis sie sich einließ, als sie ein eigenes Restaurant eröffnete, schließlich stammte sie aus einer Dynastie von Hoteliers und Gastwirten.
Ihr fiel ein, dass Yann sie erst kürzlich wieder gemahnt hatte, alle Forderungen penibel auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, bevor sie überwiesen wurden, weil er sie in dieser Hinsicht für ein bisschen zu nachlässig hielt und er hatte wahrscheinlich recht. Mit einem Seufzer ergab sie sich dieser Einsicht und griff nach dem Packen Rechnungen, um ihre Pflicht zu tun. Vom Hof erklang ein lautes Motorengeräusch.
Anna hob den Kopf und sah durch das Fenster, wie der schmächtige Hadi sich gerade noch mit einem Sprung vor dem heranpreschenden Lieferwagen mit der Aufschrift ›Gourmet-Profi‹ in Sicherheit bringen konnte, der jetzt kurz vor ihm mit einem heftigen Ruck zum Stehen kam. Die Fahrertür sprang auf und heraus federte ein braun gebrannter Mann mit einem kurzen Bürstenschnitt, der an den Haarspitzen blond gefärbt war. Grinsend rief er etwas in Hadis Richtung, was Anna durch die geschlossenen Fenster nicht verstehen konnte. Hadi antwortete nur mit einer drohend erhobenen Faust und verschwand dann schnell in Richtung Remise. Gerade wollte Anna hinausstürzen und diesen rücksichtslosen Typen anschreien, in Zukunft auf ihrem Grundstück wie ein zivilisierter Mensch zu fahren, schließlich spielten hier auch öfter Kinder, da sah sie Mat-thias, den Kochlehrling, den alle nur ›Matte‹ nannten auf den Hof treten und ganz gegen seine Gewohnheit machte er ein freundliches Gesicht.
Er und dieser Rennfahrer klatschten sich wie alte Kumpels mit der rechten Hand ab, der Fahrer, der vielleicht um die 30 sein mochte, bot Matthias eine Zigarette an und dann standen sie nebeneinander und rauchten und schienen viel zu bereden zu haben. Der Ältere trug eine Art Armeehose in Tarnfarben zum weißen T-Shirt, das auch den Schriftzug ›Gourmet-Profi‹ trug und eng um seinen breiten Oberkörper und die muskulösen Arme spannte und ab und zu haute er Matte kräftig auf die Schulter. Das schien der wie ein Kompliment zu genießen.
»Anna! Die Frischware kommt gerade an. Ich nehme die Lieferung entgegen. Gibts irgendwas, das wir brauchen können, falls er ein zusätzliches Angebot hat?«
Yanns Stimme ließ Anna den Blick vom Hof nehmen und sie rief in den Treppenflur:
»Merci, Yann! Ich habe neulich mal nach Meeresschnecken gefragt. Wenn er heute welche hätte, wäre das schön, wir könnten mal wieder die kleinen Schneckenküchlein anbieten. Zwei Kisten würden ausreichen.«
»D’accord, cheffesse!«
Mit einem Lächeln beugte sich Anna wieder über die Rechnungen auf dem Schreibtisch. ›Chefin‹ nannte er sie. Yann war ihr Geschäftspartner, ihr Berater und darüber hinaus, wenn sie es recht bedachte, Teil ihres Lebens. Ohne ihn hätte sie die Idee, hierher in den Norden Deutschlands zu ziehen, die ›Villa Floric‹ zu eröffnen und ein neues Leben zu beginnen, wahrscheinlich nie in die Tat umgesetzt. Und dabei hatte sie viele Gründe gehabt, das Küstenstädtchen in der Bretagne, in dem sie geboren und aufgewachsen war, nach 27 Jahren zu verlassen. Als sie Yann von ihren Absichten erzählte, hatte er ihr sofort angeboten, mitzukommen– er, der jetzt auch schon auf die 40 ging, damals kaum Deutsch sprach und in seiner Heimat am Atlantik fest verwurzelt schien. Natürlich hatte sie das im ersten Moment sehr erstaunt, doch da er außer einer Cousine, die in Nantes wohnte und die er kaum kannte, keinerlei Verwandte hatte und schon so lange mit ihrer Familie lebte, hatte sie sein Angebot dankbar angenommen und diese Entscheidung keine Sekunde bereut.
Seit mehr als drei Jahren lebten und arbeiteten sie schon an diesem Platz hoch über der Lübecker Bucht – und was für ein herrlicher Platz war das! Sie erinnerte sich noch an ihre erste Annäherung über den Fußweg, der über das Steilufer durch einen kleinen Laubwald führte, der sich plötzlich auftat und den Blick auf die in einem sanften Altrosa leuchtende Jugendstilvilla freigab, davor, begrenzt von Heckenrosen, eine Art natürliche Terrasse, unterhalb derer man die Ostsee in der Ferne glitzern sah und die Schemen der mecklenburgischen Küste erahnte. Immer wieder hatte ihre Tante Edith Anna von der schon lange leer stehenden historischen Gaststätte berichtet und versucht, sie zu einer persönlichen Inaugenscheinnahme nach Lübeck zu locken. Als sie dann endlich davor stand, war sie ohne Widerstand dem Charme des zweistöckigen Gebäudes aus den 20er Jahren und seiner traumhaften Umgebung erlegen und es hatte keiner weiteren Überredungskunst ihrer Tante bedurft.
Anna hatte sich ihren Anteil am Erbe auszahlen lassen und voller Elan hatten sie und Yann sich in die Renovierung gestürzt, behutsam die alte Bausubstanz unter den Renovierungsschäden früherer Besitzer freilegen lassen, den Garten neu angelegt und die Gasträume mit der gleichen Liebe und Aufmerksamkeit gestaltet, mit der sie eine eigene Wohnung eingerichtet hätten. Nach fünf Monaten voll harter Arbeit, nicht enden wollenden Diskussionen mit Architekten und Handwerkern, vielen schlaflosen Nächten und einem sich teuflisch schnell verkleinernden Kontostand, hatten Anna und Yann voller Stolz die Türen zu ihrem Restaurant ›Villa Floric‹ geöffnet und die ersten Gäste begrüßt. Im ersten Jahr konnten sie sich über mangelnden Zuspruch wahrlich nicht beklagen. Viele Feinschmecker in Lübeck und Umgebung schienen nur auf ein neues Ziel für ihre kulinarischen Wallfahrten gewartet zu haben und pilgerten scharenweise in die roséfarbene Villa hoch über dem Meer. Doch eine ebenso große Anzahl von Gästen wollte wohl nur ihre Neugierde befriedigen und mitreden können, war aber von den Kreationen der Küche im ›Floric‹ überfordert und ebenso wenig bereit, dafür den angemessenen Preis zu bezahlen.
Ja, ja – die Menschen hier waren nicht so leicht zu überzeugen. Jede Münze, die sie ausgaben, drehten sie dreimal um und zwar gerade die Pfeffersäcke, die es sich eigentlich leisten konnten. Sie hatten mindestens so harte Dickschädel wie die Bretonen und ein tief sitzendes Misstrauen gegen alles Neue und Unbekannte, ob es sich dabei um Personen, Moden oder Speisen handelte. »Wat de Buer nich kennt, fret he nich!«, hatte ihre Mutter sie schon gelehrt und die musste es wissen, schließlich stammte sie von hier oben. Im Gegensatz zu den Norddeutschen waren aber die Bretonen – auch wenn sie es nicht wahrhaben wollten – den Franzosen sehr ähnlich und hatten das typische Savoir-vivre im Laufe der Jahrhunderte genauso wie ihre Landsleute in den anderen Provinzen verinnerlicht. Nicht zuletzt deswegen war Annas Mutter nach einem Au-pair-Aufenthalt von der Bretagne nicht wieder losgekommen. Und natürlich wegen ihres Vaters.
Hals über Kopf musste sie sich damals in ihn verliebt haben. Und er sich in sie. Er war ein großer, gut aussehender Mann mit seinen dunklen, dichten Haaren und den braunen Augen, ein Witwer, dem man die 25 Jahre, die er älter war als sie, nicht ansah. Er konnte unwahrscheinlich charmant sein und nannte drei schon fast erwachsene Jungs sein Eigen. Es war nicht leicht für die junge Deutsche, nach ihrer Heirat mit den großen Stiefsöhnen klarzukommen und das Vertrauen ihrer Umgebung zu gewinnen. Doch Annas Mutter war eine furchtlose Frau, ehrlich und klar, die einfach ihren Gefühlen folgte und dadurch letztlich jeden für sich einnahm. Anna war 17, als ihre Mutter, die doch überhaupt noch nicht alt war, voller Energie steckte und immer so vital wirkte, an einem zu spät erkannten...
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