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Erinnerungszeichen sollen die Erinnerung an ein Ereignis oder eine Person wachhalten und sie im kollektiven und kulturellen Gedächtnis verankern. Sie dienen damit der Vergewisserung von Identität. Gleichzeitig sind sie oftmals Orte für Trauernde und/oder Hinterbliebene. Was sich anfangs recht einfach anmutet, birgt zahlreiche Tücken. Allein schon die Tatsache, dass Erinnerung niemals ein Abbild historischer Ereignisse sein kann. Was von wem erinnert wird und in welcher Form diese Erinnerung öffentlich wahrnehmbar ist, hat immer mit gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnissen zu tun. Erinnerungen sind nie statisch, sondern sie sind in permanenter Aushandlung begriffen. In diesem Zusammenhang ist seit den vergangenen Jahren häufig der Begriff "Erinnerungskonflikte" in Verwendung. Er meint damit, dass sich verschiedene Sichtweisen auf ein und dasselbe historische Ereignis gegenüberstehen können und die diesbezügliche Erinnerung erst ausgehandelt wird - ein Prozess, bei dem Machtverhältnisse eine zentrale Rolle spielen. Wessen Deutung historischer Ereignisse oder welche Bewertung der Vergangenheit sich im öffentlichen Raum manifestiert, führt mitten in die Gegenwart. Nicht jede/r darf den öffentlichen Raum besetzen und eine konträre Geschichte über die Vergangenheit erzählen, die der offiziellen Sichtweise zuwiderläuft. Welche Erinnerungen präsentiert werden und mittels welcher Rituale diese in der Erinnerungskultur verankert sind, birgt Stoff für Konflikte, die nicht zuletzt auf unterschiedliche Werte und politische Haltungen verweisen.3
Die Errichtung von Erinnerungszeichen ist ein politischer Akt und ein Prozess der Aushandlung dessen, was und wer in welcher Weise erinnert werden soll. Gleichzeitig wird damit aber auch festgelegt, was vergessen oder verdrängt wird. Eine Analyse der Entwicklung der Erinnerungslandschaft an die Opfer des NS-Regimes von 1945 bis heute gibt uns also Auskunft darüber, wie sich die Gesellschaft an die historischen Ereignisse erinnerte und aktuell erinnert, welche Ereignisse und Gruppen öffentliche Aufmerksamkeit erhielten und welche an den Rand oder in private Bereiche verdrängt blieben. Erinnerungszeichen wie Denk- und Mahnmale, Gedenktafeln und Gedenkstätten sind sichtbare Zeichen des Geschichtsbewusstseins im Alltag. Die Analyse der Erinnerungslandschaft gibt Auskunft über die kollektive Verfasstheit einer Gesellschaft sowie, im konkreten Fall, deren Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit.
Nach der Befreiung vom NS-Regime im Mai 1945 kam es in Österreich rasch zu einer Schuldabwehr: Der Staat Österreich habe im März 1938 zu existieren aufgehört, die alleinige Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus trage also Deutschland, so argumentierte das offizielle Österreich. Die Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wurde hervorgehoben. Die Begeisterung der Massen über den Einmarsch der Hitlertruppen wurde geflissentlich verschwiegen. Die große Zustimmung und aktive Beteiligung an NS-Gewaltverbrechen wurde dermaßen umgedeutet, dass sich die Österreicher:innen ohnehin widerständig verhalten und so Wesentliches zur Befreiung Österreichs vom NS-Regime beigetragen hätten.
Die leider viel zu früh verstorbene Historikerin Heidemarie Uhl ortete in ihrer Analyse zur Entwicklung der österreichischen Erinnerungskultur an das NS-Regime drei Phasen, die im Folgenden kurz beschrieben werden.
Die erste Phase der Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus ist unmittelbar nach der Befreiung 1945/1946 auszumachen. In dieser kurzen Zeit wurde der Widerstand der Österreicher:innen gegen die Nazis öffentlich besonders hervorgehoben. International wollte man damit signalisieren, dass sich Österreich offensiv gegen die Nationalsozialist:innen zur Wehr gesetzt habe. In dieser Phase wird die spezifische Situation Kärntens/Koroskas besonders deutlich: Die bedeutendste Widerstandsgruppe, die Kärntner Partisan:innen, fand ausgerechnet vor Ort, in der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung Kärntens/Koroskas, keine positive Würdigung. Ihr Widerstand wurde nicht als Beitrag zur Befreiung vom NS-Regime bewertet, sondern als projugoslawische Aktivität mit dem Ziel, Teile Kärntens an Jugoslawien angliedern zu wollen. Hierzulande kommt die spezifische Verknüpfung des Partisan:innenwiderstandes mit dem Kärntner Grenzkonflikt, bekannt geworden als "Kärntner Abwehrkampf", von 1918 bis 1920 zum Tragen. In den Augen vieler Kärntner:innen war der Widerstand der Partisan:innen nicht ein Kampf gegen die Nationalsozialisten, sondern vielmehr ein Kampf für Jugoslawien - eine Sichtweise, die in Kärnten bis heute nachwirkt.
Die Bestrebungen einer raschen Reintegration der Nationalsozialist:innen in die Gesellschaft rückten den kurzzeitigen Fokus auf den Widerstand gegen das Regime rasch wieder in den Hintergrund. Das öffentliche Gedenken fokussierte die "Kriegshelden", gefallene bzw. heimgekehrte Wehrmachtssoldaten. Deren Pflichterfüllung und ihr Tod bzw. Kampf für die Heimat wurde dabei besonders betont. In dieser zweiten Phase, die Heidemarie Uhl bis in die Mitte der 1980er-Jahre datierte, entstanden monumentale Heldendenkmäler an prominenten Plätzen. Die Wehrmachtssoldaten als willenlose Opfer des Zweiten Weltkriegs standen im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Kameradschaftsverbände sorgten für die Implementierung weithin sichtbarer Ehrenmäler, wie etwa auf dem Kärntner Ulrichsberg, wo die gefallenen Soldaten als Kämpfer für die Heimat gewürdigt werden. Eine Distanzierung vom Angriffskrieg der Nationalsozialisten blieb aus, ebenso wie eine Würdigung der Opfer durch die NS-Verfolgung. Diese fanden in der zweiten Phase keine öffentliche Anerkennung. Das Gedenken an sie blieb auf das Private beschränkt. Überlebenden von Konzentrationslagern wurde nahegelegt, über ihre persönlichen Erlebnisse zu schweigen. Ihre Erinnerungen hatten keinen Platz in einer Geschichtserzählung, in der sich alle zu Opfern oder Helden für die Heimat zu stilisieren versuchten. Berichte über Verfolgungserfahrungen hätten die vom offiziellen Österreich konstruierte Opfererzählung ins Wanken gebracht. Mancherorts wurden sogar die Namen einzelner NS-Opfer auf Kriegerdenkmälern vermerkt, unter falschem Titel, als gefallene oder vermisste Soldaten. So geschehen am Heldendenkmal in Töschling in der Gemeinde Techelsberg am Wörthersee. Dort wurden die Namen von fünf Männern, die nicht während des Kriegsdienstes starben, sondern deswegen, weil sie diesen als Zeugen Jehovas verweigerten, unter den Gefallenen bzw. Vermissten der Gemeinde subsumiert. Das Schicksal der fünf Männer war allen Gemeindemitgliedern bekannt, nichtsdestotrotz dauerte es bis 2017, um die Namen der hingerichteten Zeugen Jehovas vom Kriegerdenkmal zu entfernen. Die Richtigstellung der jahrzehntelangen Verfälschung wurde im selben Jahr durch ein eigens ihnen gewidmetes Denkmal an der Ortseinfahrt nach Töschling vollendet.
Die zweite Phase der NS-Erinnerungskultur nach Heidemarie Uhl ist in Kärnten/Koroska insbesondere speziell, als interessanterweise in dieser Zeitspanne, zwischen 1950 und 1980, ein dichtes Netz an Denkmälern in Erinnerung an den Widerstand der Partisan:innen entstand. Dieser Aspekt der NSGeschichte spielte zu diesem Zeitpunkt in der offiziellen Erinnerung und jener der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung kaum eine Rolle, wurde allerdings von einem Verein hochgehalten: Dem Verband der Kärntner Partisanen/Zveza koroskih partizanov, dessen Mitglieder mehrheitlich überlebende ehemalige Partisan:innen oder Nachkommen von Partisan:innen waren. Der Verein errichtete zahlreiche Erinnerungszeichen auf zahlreichen Friedhöfen und Privatgrundstücken, teilweise auch inmitten der Natur, an ehemaligen Gefechts- und Tatorten. Die Mehrheit dieser steinernen Denkmäler in unterschiedlicher Größe und Form beinhaltet die Namen gefallener Partisan:innen und erinnert somit an konkrete Menschen und deren Schicksale. Diese Erinnerungszeichen entstanden nicht als Teil einer staatlichen Erinnerungskultur. Ganz im Gegenteil, eine politisch befeuerte und vorurteilsbehaftete Denunzierung kärntner-slowenischer Widerstandskämpfer:innen als Verräter:innen und "Kameradenmörder" diente jahrzehntelang der Delegitimierung des Partisan:innenwiderstands, um einerseits die eigene Mittäterschaft zu verdrängen und andererseits eine positive Identifikation mit dem Widerstand zu verhindern.
Erst in den 1980er-Jahren formte sich ein neuer Diskurs. Mit ihm datierte Heidemarie Uhl eine dritte Phase der NS-Erinnerungskultur in Österreich. Die nach dem Zweiten Weltkrieg geborene Generation war inzwischen herangewachsen, sie stellte ihren Eltern und Großeltern kritische Fragen nach deren Mitverantwortung am Nationalsozialismus. Das Geschichtsnarrativ wurde gesellschaftlich neu ausgehandelt, ein schwieriger und langwieriger Prozess, der nach wie vor andauert. Auf politischer Ebene bekannte sich...
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