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Die österreichisch-ungarische Monarchie ist ein Vielvölkerstaat. Seit dem späten 19. Jahrhundert ist ihr Bestand von nationalistischen Tendenzen bedroht. In vielen Völkern der Monarchie wächst der Wunsch, von der Bevormundung Wiens loszukommen. Nachdem der Erste Weltkrieg verloren geht, beginnt sich die Monarchie im Herbst 1918 in ihre Einzelteile aufzulösen. Neue Staaten entstehen, darunter die Tschechoslowakei oder das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (Jugoslawien). Österreich selbst ist von der Vielvölkermonarchie zu einem Kleinstaat geschrumpft, an dessen Lebensfähigkeit anfangs niemand so recht glaubt. Vielerorts besteht in der jungen Republik das Verlangen nach einem Anschluss an Deutschland. Ausdruck dieses Wunsches ist nicht zuletzt der Name Deutsch-Österreich, den sich die junge Republik am 12. November 1918 gibt. Im Friedensvertrag von Saint Germain wird Österreich 1919 der Anschluss an Deutschland untersagt, die offizielle Bezeichnung des neuen Staates lautet nun Republik Österreich. Mit den Worten "Ce qui reste, c'est Autriche - Das was übrig bleibt, ist Österreich" fasst der französische Premierminister Georges Clemenceau auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 das mehrheitlich deutschsprachige Überbleibsel der Donaumonarchie pointiert zusammen.1
Bezugskarten für Zucker und Salz, Klagenfurt 1920 und 1922. Angesichts der galoppierenden Inflation kann die Lebensmittelversorgung nur durch staatliche Stützung gewährleistet werden. 1921 kostet ein Kilogramm Rindfleisch 860 Kronen, 1923 bereits 26.000 Kronen, das Kilogramm Schweinefett steigt von 2.000 auf 30.000 Kronen und ein Liter Milch von 100 auf 4.000 Kronen. (Abbildungen: Privatarchiv Franz Schiestel, Villach)
Mit Ungarn, Böhmen und Mähren verliert die junge Republik, was Industrie und Landwirtschaft betrifft, wichtige Wirtschaftsregionen des Habsburgerreiches. Ein Großteil der Bevölkerung leidet an Hunger und Kälte. Dem Ersten Weltkrieg folgt eine schwere ökonomische Krise mit hoher Arbeitslosigkeit und steigenden Inflationsraten. Insbesondere der Mittelstand hat seine Ersparnisse durch die Zeichnung von Kriegsanleihen zur Finanzierung des Krieges verloren. Dass Österreich nach dem Ersten Weltkrieg arm geworden ist, spüren die ÖsterreicherInnen am Geld. Die Preise verdoppeln sich zwischen 1914 und 1921 jedes Jahr. Im Herbst 1921 setzt die letzte Phase der Hyperinflation mit Preissteigerungen von über 50 Prozent pro Monat ein. Die Lebenshaltungskosten erreichen bis Sommer 1922 das Vierzehntausendfache der Vorkriegszeit. Geld wird in riesigen Wäschekörben transportiert. Erst mit der großen Völkerbundanleihe kann im Herbst 1922 die Inflationsspirale eingedämmt werden. Ende 1924 schafft die Regierung mit dem Schilling eine neue Währung. 10.000 Kronen werden in einen Schilling umgetauscht.
Im Friedensvertrag von Saint Germain vom 10. September 1919 legen die Siegermächte die Grenzen Österreichs fest. Österreich erhält zwar das Burgenland zugesprochen, das bis dahin zu Ungarn gehört. Doch es muss auf große Gebiete verzichten, die es als Teil seines Staatsgebietes beansprucht. Deutsch-Böhmen, Deutsch-Südmähren, das Sudetenland, das Mieß- und Kanaltal gehen verloren. Österreich hat damit keinen Zugang mehr zum Meer. Ein weiterer schmerzlicher Verlust ist die Abtrennung Südtirols mit seinen 540.000 EinwohnerInnen an Italien.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ist die Südgrenze der neu entstandenen Republik Österreich umstritten. Die deutsch-slowenische Sprachgrenze verläuft mitten durch Kärnten und die Steiermark. Während die Untersteiermark an Jugoslawien fällt, wird um die staatliche Zugehörigkeit des mehrheitlich slowenischsprachigen Gebietes im südlichen Kärnten heftig gerungen. Nach der teilweisen Besetzung Südkärntens durch jugoslawische Milizen bilden sich heimische Freiwilligenverbände und ab Dezember 1918 kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen diesen beiden Gruppierungen. Die bewaffneten Grenzkonflikte werden in Slowenien als Kampf um die Nordgrenze, in Kärnten als "Abwehrkampf " bezeichnet. Bereits am 30. Mai 1919 verfügt der Rat der vier Siegermächte des Ersten Weltkrieges in Paris die Abhaltung einer Volksabstimmung in Kärnten. Der endgültige Verbleib des umstrittenen Gebietes soll durch eine von den Siegermächten für den 10. Oktober 1920 festgesetzte Volksabstimmung geklärt werden. Das Plebiszit ist zunächst nur in der südlichen Zone A vorgesehen. Ergibt sich dort eine Mehrheit für Jugoslawien, so soll danach auch in der nördlichen Zone B mit Klagenfurt abgestimmt werden. Das Mießtal, die Gemeinde Seeland und das Gebiet um Unterdrauburg fallen ohne Abstimmung an Jugoslawien.
Maschinengewehrstellung jugoslawischer Truppen im Stadtgebiet von Völkermarkt, 1918/19 (Foto: Volksabstimmungsmuseum Völkermarkt)
Kärntner "Abwehrkämpfer" mit Geschütz, Wandelitzen bei Haimburg, 1919 (Foto: Volksabstimmungsmuseum Völkermarkt)
Die Grenzlinie wird auf dem zugefrorenen Wörthersee mit Tannenbäumchen gekennzeichnet. (Foto: Gemeinde- und Heimatarchiv Velden)
Pro-jugoslawischer Werbezettel, 1920. "Ich mag das alte, abgewirtschaftete Österreich nicht - Ich habe das junge, reiche Jugoslawien lieber" (Abbildung: Volksabstimmungsmuseum Völkermarkt)
Pro-österreichisches Propagandaplakat, 1920 (Abbildung: Volksabstimmungsmuseum Völkermarkt)
Die Vorbereitungen zur Volksabstimmung werden von einer intensiv geführten Propagandaschlacht begleitet. Eine von allen deutschen Parteien getragene Landesagitationsleitung, die später in den Kärntner Heimatdienst umgewandelt wird, koordiniert auf österreichischer Seite den Agitationskampf. Die deutsche Propaganda appelliert vor allem auf das Heimatgefühl der Abstimmungsberechtigten. Neben Parolen wie "Die Heimat ruft" oder "Bleibt Kärnten treu!" werden die Menschen vor der drohenden Knechtschaft in einem SHS-Staat (Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, aus dem 1929 das Königreich Jugoslawien hervorgeht) gewarnt. Die jugoslawische Propaganda stellt Österreich als "Hungerleiderstaat" dar. Sie konzentriert sich auf die katholische, bäuerliche Bevölkerung und wendet sich an das nationale Identitätsgefühl der Slowenischsprachigen.
Abstimmungskundgebung auf der Napoleonwiese in Villach, 3. Oktober 1920. Sämtliche deutschvölkischen Vereinigungen Kärntens rufen zur Volkskundgebung auf der Napoleonwiese auf, unter ihnen auch die nationalsozialistische Partei. Die Demonstration endet mit dem Lied "Deutschland, Deutschland über alles". (Foto: Privatarchiv Franz Schiestel, Villach)
Ankunft der Stimmberechtigten auf dem Weg in die Abstimmungszone A, Klagenfurt (Foto: Volksabstimmungsmuseum Völkermarkt)
Am 10. Oktober 1920 votieren 59,04 Prozent der Abstimmungsberechtigten für Österreich. Rund die Hälfte der pro-österreichischen Stimmen stammt von Kärntner SlowenInnen, die sich aufgrund unterschiedlicher Motive für einen Verbleib bei Kärnten entschieden haben. Vielen erscheint die demokratische Republik Österreich mit seiner fortschrittlichen Sozialgesetzgebung attraktiver als die autoritäre Militärmonarchie des SHS-Staates. Ein Großteil der bäuerlichen, slowenischen Bevölkerung muss bei einem pro-jugoslawischen Votum befürchten, von den Wirtschaftszentren in Klagenfurt und Villach abgeschnitten zu werden.
Der Zerfall des Vielvölkerstaates und der Ausgang der Kärntner Volksabstimmung haben für die Kärntner SlowenInnen weitreichende Folgen. Sie sind zu einer nationalen Minderheit geworden. Über nationale Zusammenschlüsse bemühen sie sich, ihren Interessen Gewicht zu verleihen: Dem 1921 gegründeten "Verband der Kärntner Genossenschaften" gehören 33 slowenische Organisationen an. Auch die slowenischen Kulturvereine schließen sich in einem Dachverband zusammen. Als politische Interessenvertretung gründen sie 1921 den "Politischen und wirtschaftlichen Verein für die Slowenen in Kärnten", aus dem später die "Partei der Kärntner Slowenen" hervorgeht, die bei Landtagswahlen antritt, jedoch nur von einem Drittel der Volksgruppe gewählt wird und zwei Abgeordnete im Kärntner Landtag stellt. Ab 1921 erscheint auch die slowenischsprachige Wochenzeitung "Koroski Slovenec" ("Kärntner Slowene").
Vor der Volksabstimmung verspricht die politische Führung des Landes den Kärntner SlowenInnen die Bewahrung und Förderung ihrer nationalen und sprachlichen Eigenart. Nur wenige Wochen nach dem Volksentscheid sind andere Töne zu vernehmen. Am 25. November 1920 verkündet Landesverweser Arthur Lemisch: "Nur ein Menschenalter haben wir Zeit, diese Verführten zum Kärntnertum...
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