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Die Reise auf dem kleinen Schiff bot so gut wie überhaupt keine Abwechslung. Damit ließ sie einem Mann, der in die Einsamkeit reiste, zu viel Zeit zum Nachdenken, und das tat ihm nicht gut.
Die ohnehin kümmerlichen Reste von Unternehmungsgeist und Tatkraft, die Frank in den letzten Tagen vor seinem Aufbruch beflügelt hatten, schmolzen in der lähmenden Hitze wie Butter dahin. Es gab nichts, womit er sich beschäftigen konnte. In den Stunden der unerträglichsten Hitze lag er zwischen Dösen und Grübeln in einem Deckstuhl, wanderte, sobald es ein wenig kühler wurde, auf dem kurzen Deck endlos auf und ab und verbrachte halbe Nächte, in denen er keinen Schlaf fand, in der trostlosen, verdreckten Bar, wo er Whisky trank und Kette rauchte.
Dem Gespräch mit den wenigen Mitreisenden wich er aus, so gut er konnte. Er wollte allein sein, doch zugleich litt er unter seiner Einsamkeit schlimmer als ein Hund. Monatelang hatte er sich danach gesehnt, hatte diese Stellung auf der Brandon-Plantage nur angenommen, weil sie ihm nahezu völlige Einsamkeit versprach, doch jetzt stellte er mit Schrecken fest, dass er sie kaum ertrug.
Das geschäftige Leben in der Stadt und der schon verlorene Kampf um seinen Betrieb waren ihm wie ein Weg durch die Hölle erschienen, doch jetzt musste er feststellen, dass er lediglich eine Vorhölle durchschritten hatte. Er war verzweifelt, zornig, ohnmächtig gewesen, hatte verhandelt, gestritten und gewütet, war auch zusammengebrochen und den Tränen nah gewesen, aber das alles erwies sich als das kleinere Übel im Vergleich mit seinem jetzigen Zustand. Nun war er ohne Unterbrechung sich selbst und seinen Gedanken überlassen.
Das Alleinsein taugte für glückliche, ausgeglichene Menschen. Für einen Mann, der unglücklich und gescheitert war, entwickelte es jedoch Gefahren, die denen von Rauschgift nicht nachstanden. In der von der Hitze diesigen Luft, die das Atmen schwer machte, sah er sein ganzes bisheriges Leben vor seinen Augen zerfließen. Es zerrann ihm zwischen den Fingern wie eine der Figuren aus feuchtem Sand, die Kinder am Meeresufer bauten und die sich in nichts auflöste, sobald die Sonne den Sand trocknete.
Nichts blieb zurück, nichts milderte die erschreckende Erkenntnis.
Mit leeren Händen stand er da und musste wie damals, als junger Spund von zwanzig Jahren, noch einmal ganz von vorn anfangen. Nur fehlte ihm der Mut, der ihn zu jener Zeit über jede Hürde, jeden Stolperstein hinweggetragen hatte. Er war nicht mehr zwanzig, sondern wurde gerade heute doppelt so alt.
Für einen Mann ist das doch kein Alter, hätten ihm zweifellos die meisten Leute erklärt. Du stehst noch mitten im Leben, weshalb soll dir also nicht noch mal ein Neubeginn gelingen?
Weil ich nicht weiß, wofür, hallte ihm das Echo seiner Gedanken entgegen.
Durch die dunstigen Schwaden zog sein Leben als ein Strom von Bildern an ihm vorbei:
Es hatte harmonisch, ja geradezu privilegiert begonnen. Seine Kindheit war schön und sorglos gewesen. Er hatte eine sorgfältige Erziehung genossen und von seinen Eltern jede Möglichkeit erhalten, Geist und Verstand zu bilden. Dann war der Weltkrieg gekommen. Anfangs war Frank zu jung gewesen, und wie viele hatte er gehofft, der Krieg werde vorüber sein, ehe er die Altersgrenze überschritt, doch so viel Glück war ihm versagt geblieben. Zwei Jahre lang hatte er kämpfen müssen, er hatte es zum Offizier gebracht und war zuerst im Südosten, dann in Frankreich eingesetzt worden.
Auch dabei schien jedoch ein Schutzengel über ihn zu wachen: Er trug lediglich eine leichte Verwundung davon und sah sich nie gezwungen, etwas zu tun, das sein noch junges Gewissen in unerträglicher Weise belastet hätte. Aus der Niederlage und allen Erkenntnissen, die daraus folgten, ging er gereift und entschlossener hervor.
Das Deutschland, in das er zurückkam, war nicht mehr das, was er verlassen hatte. Das völlig neue politische System kämpfte um Anerkennung, mit den Reparationen aus dem verlorenen Krieg würde das Land auf Jahrzehnte hinaus verschuldet sein, und die Menschen litten bittere Not. All das entmutigte Frank jedoch nicht. Im Gegenteil. Mit Feuereifer stürzte er sich in sein Studium des Ingenieurswesens, wohl in der Hoffnung, die Chance des Zusammenbruchs zu nutzen, anzupacken und etwas ganz Neues aufzubauen.
Als er seinen Abschluss in der Tasche hatte, herrschte in Deutschland jedoch eine Arbeitslosigkeit von nie gekanntem Ausmaß. Er fand keine Stellung, die auch nur im Mindesten seinen Fähigkeiten entsprach, und wie den meisten jungen Menschen fehlte es ihm an Geduld. Tatenlos abzuwarten und die Hände im Schoß zu falten war seine Sache nicht, auch wenn seine Familie ihn unterstützt hätte. Kurz entschlossen kappte er in seiner Heimat alle Verbindungen und machte sich ohne festgelegtes Ziel ins Ausland auf.
So hatten die Jahre seiner Wanderung begonnen. Leicht war ihm das Emigrantenleben anfangs wahrlich nicht gefallen. Er hatte all seine jugendlichen Kräfte und seinen Mut zusammennehmen müssen, um nicht zu straucheln und in den nächstbesten Graben zu stürzen. Von den Dingen, die er sich aufzubauen versuchte, misslang so manches, anderes aber machte er zum Erfolg. Die Welt war groß, und in diesen frühen Jahren schien sie ihm trotz allem zu Füßen zu liegen, ihm für jeden Weg, der sich verschloss, hundert neue zu bieten.
Er war jung, hatte seinen Beruf gründlich erlernt, und er war keiner, der sich leicht unterkriegen ließ. Wenn er in seinem eigentlichen Feld als Bauingenieur keine Stellung fand, die ihm passte, probierte er sich in einem anderen aus und sammelte auf diese Weise wertvolle Erfahrungen.
In einer solchen flauen Periode hatte er schon einmal eine Arbeit auf einer Plantage angenommen. Damals hatte er in Hinterindien gelebt und sich eine Zeit lang ganz ordentlich geschlagen, bis ihm Dschungel und Urwaldeinsamkeit zu viel wurden und er sich wieder nach menschlicher Gesellschaft sehnte. Der Wunsch, wieder in einer Stadt zu leben und in seinem angestammten Beruf zu arbeiten, hatte ihn damals nach Shanghai gebracht.
Anfangs hatte er geglaubt, die Stadt sei wie für ihn geschaffen, denn zum ersten Mal hatte er echtes Glück. Er lernte auf Anhieb die richtigen Leute kennen, fand Männer, die an ihn glaubten und sich bereit erklärten, ihm Geld zur Verfügung zu stellen, und wagte den Schritt, als Bauingenieur seine eigene Firma zu gründen. Ideen hatte er wie Sand am Meer, und er schien damit in der wimmelnden Metropole einen Nerv zu treffen. Sein Geschäft blühte, binnen Kurzem machte er sich einen Namen und verdiente Summen, von denen er zuvor nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Zur selben Zeit brach in Deutschland die geschundene, in ihren letzten Atemzügen hechelnde Demokratie zusammen, und die Nationalsozialisten übernahmen die Macht. Vereinzelten Meldungen zufolge, die Frank in Shanghai zu Ohren kamen, stabilisierten sich in der Heimat die Verhältnisse. Es gab wieder Arbeit, Geld für Investitionen, und so mancher Deutsche, der seiner Heimat in den Krisenjahren den Rücken gekehrt hatte, erwog jetzt eine Rückkehr.
Für Frank selbst kam das jedoch nicht infrage. Er war ein freies, unabhängiges Leben gewohnt, hatte es sich nie verbieten lassen, seine Meinung zu sagen, und die neuen Machthaber in Deutschland waren ihm zutiefst verhasst. Um nichts in der Welt hätte er sich in ihr diktatorisches Staatsgefüge einordnen wollen, schließlich war er glücklich dort, wo er war. Seine klare Haltung gegen die Regierung in Deutschland verschaffte ihm in Shanghai Sympathien unter den Angehörigen sämtlicher Nationen. Eine Zeit lang erschien es ihm beinahe, als werde alles, was er in die Hände nahm, zu Gold.
Und dann war auf einmal Heinz in Shanghai aufgetaucht und hatte ein Stück Heimat in die Fremde gebracht. Heinz war sein Freund seit Studientagen, ein freier, unbändiger Geist wie er selbst, dazu einer, der vor Energie und Ideen sprühte. Unter das Joch der Nazis hatte dieser Bursche sich unmöglich fügen können, und binnen Kurzem fand er sich in einem ihrer berüchtigten Gefängnisse wieder. Als er mit mehr Glück als Verstand noch einmal in Freiheit gelangte, zögerte er nicht, sondern verließ Deutschland noch am selben Tag. Eine Zeit lang hielt er sich bei Verwandten in Österreich auf, zog dann in die Schweiz und nach Frankreich weiter, doch es gelang ihm nicht, irgendwo Fuß zu fassen.
Das war der Moment, in dem er sich seines Freundes in Shanghai besann. Frank war mehr als glücklich, ihn in seiner neuen Heimat zu begrüßen, und innerhalb kürzester Zeit machte er ihn zum Teilhaber in seiner Firma.
Damals war ihm sein Leben perfekt erschienen, geordnet, gesichert und erfüllt von Glück. Er besaß eine gut gehende Firma, die beständig wuchs, er verfügte über ein ansehnliches Kapital, war ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft und hatte darüber hinaus einen echten Freund an seiner Seite.
Und er hatte Peggy.
Wundervolle, unvergleichliche, angebetete Peggy.
Schmal und zierlich, mit langen Beinen und einem Schopf voller wirbelnder kupferroter Locken war dieses unglaubliche Mädchen in sein Leben getanzt und hatte sich im Handumdrehen den wichtigsten Platz darin erobert. Ihr Vater war einer seiner Geldgeber gewesen, ein beleibter Holländer, dem im Geschäftsleben so schnell keiner ein X für ein U vormachte und der den Osten der Welt kannte wie andere ihre Westentasche. In Shanghai lebte er bereits seit etlichen Jahren, und seine Tochter hatte fast ihre gesamte Jugend hier verbracht.
Für ihren Vater war Peggy die Krone der Schöpfung. Dem entsprach die Erziehung, die er ihr hatte angedeihen lassen, und wenn Frank es nüchtern betrachtete, war das, was aus ihr geworden war, vermutlich eine...
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