Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Die jüdische Gemeinde Breslaus war ebenso bunt gemischt wie in den anderen deutschen Landen. Einige jüdische Familien hatten dort seit 1744 gelebt, als erstmals wieder Juden in der Stadt aufgenommen worden waren; andere aus dem ländlichen Umfeld wurden angelockt durch die Chancen, die Breslau als Stadt bot. Einige wenige kamen aus weiter östlich gelegenen Landstrichen, die sogenannten Ostjuden, die in Preußen einen verheißungsvollen Zufluchtsort sahen.«
Der Historiker Fritz Stern war 1926 in Breslau geboren worden und fand in seinem autobiografischen Erinnerungsband Fünf Deutschland und ein Leben diese Beschreibung für das Umfeld, in dem er aufgewachsen war.
»Unter den Breslauer Juden gab es Reiche und Arme, Orthodoxe und Reformierte, Traditionalisten und gänzlich Assimilierte; manche Juden waren [.] vollständig in das bürgerliche Leben integriert, während die Frauen in der Sozial- und Gemeindearbeit Pionierleistungen vollbrachten. Die Juden, von vielen Karrieren ganz ausgeschlossen, etwa in der Armee, in anderen, etwa als Beamte, behindert, waren im Handel und den freien Berufen überproportional vertreten; ähnlich auf den höchsten Stufen des staatlichen Bildungswesens. Und sie waren im Durchschnitt wohlhabender, somit große Steuerzahler und Philanthropen.«16
Die Familien Samosch und Dambitsch finden sich in dieser Beschreibung in dreifacher Hinsicht wieder: Sie gehörten zu den Assimilierten, Reformierten und waren zumindest bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch alle ganz und gar im Handel tätig.17
Für die Buchhandlung notierte Familie Samosch stets das Jahr 1844 als Gründungsdatum: Sucht man im Internet heute in Bezug auf Breslau nach Informationen, die diese Zeit der Buchhandlungseröffnung illustrieren können, so stößt man schnell auf zwei Hinweise: Einerseits den Aufstand der Schlesischen Weber, der an die sozialen Verwerfungen in dem von Preußen annektierten Gebiet in jenen Jahren erinnert und andererseits auf eine alte Bekanntmachung, die an das Provinzielle des Breslauer Stadtlebens in der Mitte des 19. Jahrhunderts erinnert. 1844 konnte man nämlich erstmals zwei lebende Giraffen in der damals rasant wachsenden Stadt bestaunen. Die Preise für den Besuch der Menagerie, des Zoos, wurden noch in Silbergroschen angegeben. Es dürfte wohl das Konterfei von Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen darauf abgebildet gewesen sein, der sein Volk vier Jahre später damit enttäuschen sollte, dass er lieber »König von Gottes Gnaden« bleiben als »Kaiser von Volkes Gnaden« werden wollte. Der »Ludergeruch der Revolution« habe die Krone beschmutzt, so der Herrscher, unter dem die Buchhandlung N. Samosch, die von der Ladeneröffnung bis zur schließlich erfolgten Zwangsarisierung gleichermaßen als Antiquariat konzipiert war, einst gegründet wurde. Alfred Kerr hat über seine Vorfahren, die zur gleichen Zeit in Breslau heimisch waren wie Isidor und Nanni, rückblickend konstatiert:
»Sie lebten alle, noch bei geringem Geldbestand, im Bewusstsein einer etwas ablehnenden, sehr empfindlichen, von der Umwelt gefühlsverschiedenen, verhinderten, mittelständig gewordenen, zur Disposition gestellten Aristokratie aus dem Heiligen Land. Gesteigert wurde dies Bewusstsein durch die argwöhnisch-frische Rauheit der Umschicht: vortrefflicher, doch in andrem Klima heimischen Nachbarmenschen. Die älteren Glieder meiner Familie kamen sich unter Wilhelm I. und II. (den »Kronprinzen«, Friedrich III., verehrten sie) ein bisschen wie mißkannte Flüchtlinge vor: in einer Gegend, wo keiner ihrer Art (ohne die brutale Demütigung einer stempelnden Zwangstaufe) zu irgendeinem wesentlichen Amt gelassen wurde, gleichviel wie seine Fähigkeit war. Fast alle diese Menschen sind im Grund urmodern aus der zweitausendjährigen Konservenbüchse geklettert«.18
Urmodern19: Nanni und Isidor - beide berufstätig - passen da nahtlos in das von Alfred Kerr gezeichnete Bild.
Alten Adressbüchern zufolge gehörte der Laden zuerst dem »Antiquar-Buchhändler« M. Singthon. 1848 arbeitete im Geschäft aber bereits Isidor Samostz20, der seinen Namen wenig später zu Samosch eindeutschen sollte. Er heiratete Nanny Simmel und wurde »gerichtlicher« Taxator für antiquarische Bücher. So ließ er seine Frau unter N. Samosch firmieren.
Neben ihren erfolgreichen Geschäften im aufstrebenden Breslau - 1843 hatte die Perle Schlesiens 100 000 Einwohner, Anfang des 20. Jahrhunderts waren es bereits 500 000 - erzogen die beiden fünf Kinder und sorgten für deren Unterhalt und Ausbildung: Von den drei Mädchen Regina, Rosalie und Dorothea heiratete nur Regina. So übernahmen Rosalie21 und Dorothea22 das Geschäft.
Von den beiden Jungen wurde der Ältere, Samuel23, Prokurist. Ihn zog es als Erwachsenen nach Wien, wo er für einen Hutfabrikanten die Bücher führte. Dem jüngeren Sohn Julius24 - 1888 hatte er wie so viele jüdische Bürger Breslaus sein Abitur am Elisabeth-Gymnasium abgelegt25 und dort schon früh seinen Berufswunsch als Mediziner für sich gefunden - konnten die Eltern sogar ein Studium finanzieren. So wählte Julius folgerichtig Medizin als Studienfach - denn Juden waren ohnehin nur die freien Berufe zugänglich - und promovierte 1894 mit der Dissertation: Üeber Wundbehandlung, mit besonderer Berücksichtigung der Neuber'schen Technik und schloss sich selbstbewusst der ersten jüdischen Studentenverbindung an. Nach dem Studium begann er zunächst als Assistenzarzt am Fraenckel'schen Hospital26 zu Breslau, das 1841 von den Bankiers David und Jonas Fraenckel27 eröffnet worden war - beide Brüder waren im Sinne der Zedaka, der Wohltätigkeit im Judentum, Begründer der Fraenckel'schen Stiftung28, deren umfangreiches Tätigkeitsspektrum neben finanzieller Unterstützung des jüdischen Krankenhauses ein Waisenhaus, ein Heim für verschuldete jüdische und nichtjüdische Familien und auch das berühmte Jüdisch-Theologische Seminar und dessen Bibliothek umfasste.29 Später fand Julius Samosch als niedergelassener Praktischer Arzt sein Auskommen und fokussierte seinen beruflichen Schwerpunkt als Schularzt. Im Oktober 1904 etwa beteiligte er sich mit einem langen Diskussionsbeitrag an der Sitzung der Hygienischen Sektion der Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Cultur über die Thesen »eines der bedeutendsten Augenärzte«30, Herman Cohn, der sich »unvergleichliche Verdienste« um die »Schulhygiene des Auges« erworben und »mühsame Untersuchungen der Sehfähigkeit an Zehntausenden von Schulkindern vorgenommen« hatte. Julius Samosch unterstützte Hermann Cohn in dessen Bemühen: Es müsse »principaliter verlangt werden, dass die Kinder über sexuelle Fragen in der Schule aufgeklärt werden, weil, wie Herr Prof. Merkel auf dem diesjährigen Naturforscher-Kongress in Breslau ausgeführt hat, jedes Kind das Recht hat, über den Bau und die Functionen seines Körpers belehrt zu werden«31. Bereits zuvor, 1902, war Julius Samosch als Mitglied der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur beigetreten. Im Rahmen der Schriftenreihe Der Arzt als Erzieher veröffentlichte er 1912 das Buch Schule und Haus; Die Notwendigkeit ihres Zusammenwirkens vom ärztlichen Standpunkt aus als erweiterte Fassung eines Vortrages, den er in der Breslauer Ortsgruppe des Bundes für Schulreform zuvor gehalten hatte. Seit 1909 war Julius Samosch jahrzehntelang Mitglied der Israelitischen Kranken-Verpflegungs-Anstalt und Beerdigungsgesellschaft zu Breslau.
Man war jüdisch, weil man so geboren war32. Alfred Kerr beschreibt die jüdische Nachbarschaft, aus der er stammte, noch genauer:
»Dabei sensible Naturen, die es vielleicht nicht so schroff empfanden, wenn ein Knote ganz bieder am Versöhnungstag einem Herrn mit Gebetbuch >Verpuchtes Judenaas!< nachrief; oder wenn ein Major von den >Elfern< vorn auf der Straßenbahn offen erklärte: >Wieviel schwangere Judenweiber man sieht - s' is zum Kotzen!« Nicht das war verletzend. Sondern wenn aufgeklärte Freunde, Wohlwollende, schonend sagten: >Die jüdischen Herrschaften< - das traf. [.] Meine Eltern wollten diese Sonderung sicher nicht. Mein Vater war gegen unvornehme Juden sehr ablehnend. Und meine Mutter [.] hatte viel mehr Kernschlesisches in ihrer Art - die uns zwei Kinder durch lustige...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.