Schweitzer Fachinformationen
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Die Ebene erstreckte sich unterhalb der Häuserreihen bis zum Ufer des fernen Meeres. Die Luft war so klar, dass man sogar den Wolkenkratzer von Cesenatico weit oben im Norden sehen konnte. Der langgezogene Platz, der San Marinos Stadtzentrum bildet, schien in der lichten, lauen Luft zu hängen; immer wieder neue Touristen beugten sich über die Balustrade, lehnten sich gegen die Brunnen, versammelten sich in Grüppchen vor dem Rathaus mit den kleinen, grünen und toten Wachposten. Während die Touristen von den Ausflugsbussen die steilen Straßen hinaufkeuchten, machten sie sich Gedanken wegen ihres Herzens, sehnten sich nach einer Pause, um einen »Tee wie daheim bei Muttern« - so angepriesen auf einem Plakat - zu trinken, und deshalb hörten sie auch nicht alles, was der Führer an Daten und Informationen von sich gab. Der Aufenthalt auf dem Platz war nur so etwas wie eine Gnadenfrist. Sie trennten sich und eilten mit klickenden Kameras herum, ein wenig benommen von der klaren Luft, riefen einander kurze Sätze zu, die ihre Herkunft aus Manchester, Bermondsey oder Berlin verrieten. Sie streckten nackte Arme, Oberschenkel, ja manchmal sogar Taillen der warmen Sonne und den kühlen Blicken der Stadtbewohner entgegen, die, in nüchternes Grau oder Schwarz gekleidet, zwischen ihnen hindurchschritten oder mit scharfem Blick in den Höhlen ihrer Geschäfte lauerten.
An der stadtwärts gerichteten Seite des Platzes flatterten die Tischtücher der Cafés im Wind. In den Schatten der Markisen ärgerten weißgekleidete Kellner die Hunde, die zwischen den Tischen hin und her liefen, und unterhielten sich über das Geplätscher der Musik und die Werbespots aus dem Radio hinweg. Einige Touristen saßen in der Sonne, die Übrigen mühten sich entweder weiter zur Kathedrale hinauf und zu den Burgen, oder sie ließen sich von den Schaufenstern oder den verlockenden Erfrischungen und kleinen Mahlzeiten verführen (FISH & CHIPS, FRISCHER TEE). Doch Josh Evans saß auf dem sonnenbeschienenen Platz, die Knie ein wenig gespreizt, den italienischen Strandhut auf dem Stuhl neben sich, so dass er die Wärme auf seinem Kopf genießen konnte. Das kurzärmelige Hemd, das aus der Hose hing, um den Bauchansatz zu kaschieren, hatte er geöffnet, und man sah die sonnengerötete Haut nicht nur auf seiner Brust, sondern auch auf seinen Armen. Sein von Natur aus rosafarbenes Gesicht war bereits ein wenig gebräunt; durch seine Sonnenbrille beobachtete er die vorbeigehenden Leute, die alten, schwarzgekleideten Frauen, die züchtigen Mädchen mit ihren Jerseys, die jungen Männer mit den schwarzen Brillenfassungen, mit den Kragen und Krawatten; dazu die sonnenverbrannten Touristen. Er war rundum zufrieden.
So zufrieden, dass er die Stimme seiner Frau erst vernahm, als diese schon fast an seinem Tisch stand. Er zuckte zusammen und drehte sich lächelnd zu ihr um.
»Ach, hier steckt er also«, sagte sie, »er sitzt wie üblich in der Sonne. Wie ein Salamander, ein richtiger Salamander.«
»Ein Salamander? Was meinen Sie damit, ein Salamander?« fragte eine große Frau neben ihr.
»Mein Mann ist ein Salamander, ein richtiger Sonnenanbeter.« Ihr fröhliches Lachen klang ihm in den Ohren. »Rutsch mal ein bisschen, Josh. Die Damen setzen sich zu uns. Auf welchen Platz möchten Sie gerne, meine Liebe? Ich an Ihrer Stelle würde mich nach dem kleinen Rundgang in den Schatten setzen.«
Josh erhob sich, rückte ein paar Stühle, ordnete die verschiedenen Habseligkeiten, Maisie befand sich in Begleitung zweier Frauen, einer hochgewachsenen jungen - zumindest wirkte sie mit ihren wohl dreißig oder auch ein bisschen mehr Jahren auf den gut sechzigjährigen Josh so, mit streng irisiertem Haar und hübschem Busen, und einer älteren Dame, die sich bei Maisie untergehakt hatte und ein wenig O-beinig ging, wie alte Leute es oft tun. Sie hatte das weiße Haar locker unter einen Basthut geschoben, der mit einem Bändchen festgemacht war, ein Strandhut für eine junge Frau. Darunter hervor schaute ein kleines, faltiges Gesicht, eine knotige Hand presste sich gegen die Brust, die andere gegen eine handkofferähnliche Tasche.
»So ist's recht, setzen Sie sich in den Schatten, und ruhen Sie sich aus. Hier herauf ist es ja ganz schön steil. Du hast schon gewusst, was du tust, als du dich hierhergesetzt hast, Josh - in dieser Hinsicht können Sie sich blind auf ihn verlassen, er hat da ein todsicheres Gespür. Aber ich muss schon sagen, wenn man es dann endlich geschafft hat, wird man durch diesen großartigen Ausblick belohnt, kilometerweit. Es heißt, an klaren Tagen sieht man bis nach Jugoslawien, stellen Sie sich das vor: Übers Meer! Josh, ruf doch bitte mal den Kellner.«
»Ja. Ja, natürlich. Camerary!«
»Josh und sein Italienisch. Er versucht's immer wieder damit, auch wenn ich ihm sage, dass hier alle Englisch verstehen. Was trinkst du denn da - Kaffee? Ich glaube, ich nehme einen Tee.«
Die Damen schlossen sich ihr an, und Josh bestellte. Sie sahen sich um, beobachteten die Passanten, schauten hinüber zu den Fialen des Rathauses, musterten sich gegenseitig.
»Schön ist es hier«, sagte Mrs Evans. »Geht es Ihnen jetzt wieder besser?«
Die alte Dame antwortete entrüstet: »Mir fehlt nichts. Ich muss nur weder zu Atem kommen.«
»Sie hätte lieber gar nicht erst mitkommen sollen«, sagte die jüngere Frau. »Das habe ich ihr von vornherein gesagt.«
»Ich lasse mir von niemandem etwas vorschreiben.«
»Und wie wär's, wenn du zur Abwechslung mal Rücksicht auf andere nehmen würdest? Ich habe dir doch gesagt, du würdest das nicht schaffen.«
»Man hätte uns warnen sollen«, erwiderte die alte Dame schmollend.
»Es liegt nun mal auf einem Hügel. Da kann man sich doch denken, dass es steil wird.« Sie nahm sich zusammen, öffnete die Handtasche und begann, wie wild mit einem Taschentuch an ihrem Gesicht und Hals herumzuwischen.
»Es ist schon wirklich sehr steil«, sagte Mrs Evans. »Als wir mit dem Bus hier heraufgefahren sind, habe ich in manchen Kurven richtig Angst bekommen. Aber eins muss man den Leuten hier lassen: Einen Bus lenken, das können sie.«
»Und die Mofas«, mischte Josh sich ein.
»Ja, die elenden Mofas! Sie rasen zu jeder Tages- und Nachtzeit damit in der Gegend herum wie die Wilden!«
»Mir gefallen sie«, meinte die alte Dame. »Sie sind so schön modern.«
»Mir sind Busse lieber«, erwiderte Mrs Evans. »Bei einem Bus weiß man, was man hat, und man kann sich während der Fahrt die Gegend ansehen. Wir hatten anfangs überlegt, ob wir die ganze Fahrt mit dem Bus buchen sollen, aber dann haben wir uns doch entschlossen, mit dem Flugzeug anzureisen und nur die Ausflüge mit dem Bus zu unternehmen. So haben wir mehr vom Urlaub, und außerdem sind wir, um ehrlich zu sein, zu ein bisschen Geld gekommen, deshalb können wir uns jetzt diesen kleinen Luxus erlauben. Sind Sie denn mit dem Bus unterwegs?«
»Wir haben ein Auto.«
Die Jüngere mischte sich ein: »Wir haben ein Taxi gemietet. Meine Tante muss das Gefühl haben, einfach anhalten zu können, wenn sie das möchte.«
»Wir sind mit Footloose Tours unterwegs«, fuhr Mrs Evans mit sanfter Stimme fort. »Wir sind sehr zufrieden. Die Leute von der Agentur kümmern sich um alles, aber sie lassen einem auch genügend Freiraum. Da ist so ein netter junger Mann, der kommt jeden Abend vorbei, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung ist.«
»Wir reisen allein«, sagte die junge Frau, »was bedeutet, dass meine Wenigkeit alles organisieren muss.«
»Lassen Sie sich doch von meinem Mann ein wenig helfen. Er studiert gerne Landkarten und Fahrpläne, hab ich nicht recht, mein Lieber?«
Der Kellner brachte ihnen den Tee und dazu unaufgefordert einen Teller mit Schokoladenleckereien. Die alte Dame warf ihrer Begleiterin unter dem Bastrand ihres Hutes hervor einen argwöhnischen Blick zu, nahm zwei der Schokoladenstückchen und verschlang sie schnell.
Sie hieß Cynthia Fingal, und der Name ihrer Nichte lautete Lena Kemp. Sie logierten in Rimini, während die Evans' etwa fünf Kilometer entfernt in Salvione untergebracht waren, einem jener zahlreichen Urlaubsorte, die sich in einer endlosen Kette aus Beton, Baustellen und blühenden Bäumen entlang der Adria erstreckten. Miss Kemp lebte in Reading, und seit dem Tod einer jüngeren Tante vor zwei Jahren wohnte Mrs Fingal bei ihr. Im letzten Jahr hatten sie ihren Urlaub in Devon verbracht, wo ihnen nur vier sonnige Tage vergönnt gewesen waren. Dieses Jahr hatte Mrs Fingal sich für die Sonne entschieden.
»Und wir haben die Sonne auch tatsächlich aufgespürt«, sagte sie mit einem Blick über die glitzernde Weite des hochgelegenen Platzes. »Ich hab's dir doch gesagt, Lena. Ich war schon einmal hier, mit meinem Mann. Und die Sonne habe ich nicht vergessen. Damals nach dem Krieg war das - nach dem Weltkrieg. Seine Firma hat ihn hergeschickt, und ich bin mitgekommen. Wir waren nicht hier, sondern in Mailand, gleich nach dem Weltkrieg. Ich habe die Sonne nie vergessen und die wunderschönen Pfirsiche. Lena wollte es mir einfach nicht glauben.«
»Ich habe es dir schon geglaubt. Die Dinge stellen sich im Alter nur einfach ein bisschen anders dar.«
»Wir sind zum ersten Mal hier«, sagte Mrs Evans. »Wir sind vor ein paar Jahren einmal an die Costa Brava gefahren, aber, um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Wir haben uns schon eine ganze Weile keinen Urlaub mehr erlauben können, stimmt's, Josh? Wissen Sie, wir haben uns um eine alte Dame gekümmert, eine liebe alte Dame; wir haben immer Tante Flo zu ihr gesagt, obwohl sie nicht mit uns verwandt war, nur eine alte Dame ohne einen...
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