Schweitzer Fachinformationen
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- Mein Führer, sagt er, Dr. Brandt und Dr. Hasselbach behaupten, ich würde Sie vergiften!
Doch Hitler ist bereits in sich selbst versunken und reagiert nicht.
- Es geht um Ultraseptyl, mein eigenes Produkt, und um die Antigas-Pillen, die natürlich etwas Strychnin enthalten. Man sagt, ich würde Sie systematisch mit Strychnin vergiften! Ich hoffe, daß Sie, mein Führer, die beiden Herren korrigieren werden!
Hitler nickt, sieht ihn aber nicht an. Hat er ihn gehört, hat er ihn verstanden? Hitler streckt schweigend seine zitternde linke Hand in die Luft, fertigt ihn ab. Die Audienz ist beendet.
Morell erhebt sich ärgerlich, sammelt seine Utensilien ein, schließt die Tasche und geht zur Tür.
- Diese Schweine! sagt Hitler vor sich hin, aber Morell weiß nicht, wovon dieser hysterische und zerrüttete Mann spricht. (Hat er ihn nicht viele Male als hysterisch diagnostiziert und versucht, den hohen Blutdruck zu beheben?) In diesem Augenblick ist es ihm auch gleichgültig, er müht sich mit der Tür, öffnet sie rasch und trottet in den dunklen, klammen Flur hinaus, wo die SS-Männer auf ihrem Posten stehen.
Hitler, der nur am Rande seines Bewußtseins Morells Abgang registriert hat, ist weit weg in einem flimmernden, halb träumenden, halb wachen Zustand: Es schneit, er steht vor der Feldherrenhalle in München, dünn, die blauen und kalten Augen zugleich entflammt, und redet; auf diesem Platz geht er in seinen dunklen, abgetragenen Sachen fast unter; er ballt eine Hand zur Faust und hält den Hut in der anderen, er friert und merkt es nicht; eine zerstreute kleine Gruppe bleicher Personen in Winterkleidung hat sich zögernd um ihn versammelt; die Worte wirbeln aus seinem Mund, Novemberverräter, Diktat von Versailles, jüdische Volksverderber; sein Körper ist angespannt, seine gutturale Stimme unterbricht den Atemstrom, er fuchtelt mit den Händen und ist rot im Gesicht, jetzt macht er eine Pause; während er Luft in sich hineinsaugt, bewegt er sich von einer Seite zur anderen und legt erneut Druck in die Stimme, eine neue Suada aus Wörtern wird in die kalte Luft hinausgestoßen und erinnert an Kommandos: - Hätte man zu Anfang und im Laufe des Krieges zwölf- bis fünfzehntausend dieser jüdischen Volksverderber solchermaßen unter Giftgas gesetzt, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Berufen es im Felde aushalten mußten, so wäre das Millionenopfer nicht vergebens gewesen!
Er hält einen Augenblick inne, um die Wirkung der Worte wahrzunehmen, zwei Männer mit Hammer und Sichel auf den Schirmmützen halten eine rote Fahne hoch und rufen ihm etwas zu, ein harter Gegenstand, eine leere Flasche, fliegt durch die Luft und in seine Richtung. Er tritt einen Schritt zur Seite, ballt die Faust und macht weiter.
- Diese Schweine, wiederholt er im Sessel und ist jetzt zurück im Schützengraben an der Somme, in Morast und Regen, Kartätschen knallen über seinem Kopf, plötzlicher Feuerschein und Rauchwolken von Bomben, die herabfallen und die Erde erschüttern, umgeben ihn und die Soldaten, die sich neben ihm schutzsuchend verkrauchen, von weiter vorn ist ein dumpfer Lärm von knisternden Maschinenkanonen zu hören; er erhebt sich blitzschnell und wirft einen Blick übers Gelände, wo hier und dort Männer wie Schatten fallen, er klammert sich an ein Brett und denkt: Nicht ich nächstes Mal, nicht ich; und gleichzeitig ist er erregt, wütend auf sich selber, wütend über seine Feigheit; ein Unteroffizier packt seinen Arm und ruft ihm mitten in dem Lärm einen Befehl zu; er soll eine Depesche ins Hinterland bringen; sie wird ihm wie ein Rohr in die Hand gedrückt, und er klettert mit dem Gewehr in der Hand aus dem Graben und beginnt zu laufen; er ist der Läufer, der ohne Rücksicht auf Leib und Leben für Verbindung sorgt, viele aus seinem Regiment sind schon erschossen worden, umgekommen, doch er, der Mutige, er wird sie alle überleben, er wird ein Beispiel geben; er läuft und läuft über das matschige Ackerland, die Pickelhaube auf dem Kopf, und plötzlich fühlt er einen Stich in der Hüftgegend, einen Stich, der ihm die Beine wegschlägt; er verliert das Gleichgewicht, fällt vornüber und landet mit einem Klatschen in der klebrigen Masse. Er windet sich vor Schmerzen, und als er eine halbe Stunde später auf einer Feldbahre aus dem Erdmatsch weggetragen wird, ist er nur halb bei Bewußtsein, dennoch klammert sich seine Hand an das Depeschenrohr.
- Die haben mich nicht gekriegt, murmelt er in dem Sessel, und jetzt ist er in den Straßen von Wien. Er ist aus dem Zimmer in der Stumpergasse ausgezogen, geflohen vor den Demütigungen, geflohen vor dem Zusammentreffen mit Kubizek, seinem Zimmergenossen, der bald vom Militärdienst in Linz zurückkehrt, um am Konservatorium in Wien weiterzustudieren; er hat sich den Kopf über eine einzige Sache zerbrochen: Wie soll er ihm sagen, daß er zum zweitenmal von der Kunstakademie in Wien abgelehnt worden ist, daß ihm nicht einmal gestattet wurde, die Aufnahmeprüfung zu machen, ihm, dem geborenen Maler und Architekten, ihm, der berufen ist, Geschichte zu schreiben? Er hat seine Adresse nicht hinterlassen, er hat keine Adresse, hat kein Geld, das Erbe der Mutter ist aufgebraucht; gelegentlich gelingt es ihm, sich einen Platz im Asyl für Obdachlose zu erzwingen, unter Mittellosen und Obdachlosen, die stinken, ihn anrempeln und ihm auf die Nerven gehen und derentwegen er sich für immer weg wünscht, weg vom Erdboden.
Ein Jahr lang hat er in der Stumpergasse gewohnt und sich immer mehr in sich selbst zurückgezogen, während er antisemitische Pamphlete wie Ostara las, wo Lanz von Liebenfels unter praktischer Verwendung anthropologischer Forschung vor Rassenvermischung warnte und für das Recht des europäischen Herrenvolks plädierte, die reine Rasse zu schützen. Er besuchte die Volksbibliotheken der Stadt, um sich aufzuwärmen und die antisemitische Literatur zu studieren, und gerade in diesem Jahr, als er hilflos immer tiefer sank, fand er, der Ausgestoßene, den Schlüssel zu seiner Verstoßung und zum jüdischen Problem, ja, zum Gang der gesamten Geschichte. Langsam wurde es ihm klar und kristallisierte sich schließlich als Offenbarung heraus. Was war die marxistische Theorie von der Gleichheit gegen das aristokratische Prinzip der Natur, das eine natürliche Ungleichheit zwischen Individuen und Rassen vorschrieb? Die Verderbtheit in der Zivilisation, die er überall beobachten konnte - in der modernistischen Kunst und Musik, in Pornographie und Prostitution, ja, im weißen Sklavenhandel -, kam von dieser marxistischen Gleichmacherei, sie brachte die jüdische Rasse in allen gesellschaftlichen Stellungen an die Spitze und machte es Genies, echten Deutschen wie er selber, unmöglich, dahin zu gelangen. Genauso wie das Christentum das Römische Reich untergraben hatte, so war der jüdische Marxismus im Begriff, die deutsche Nation zu untergraben. Und die Juden selber, diese kaftangewandeten Ausbeuter, denen er im Leopoldsviertel an jeder zweiten Ecke begegnete, sie waren das eigentliche Symbol des Untergangs, auch seines eigenen; sie waren das kranke Glied. Nicht nur Schoenerer und seine pangermanische Nationalistenbewegung, sondern gerade der Bürgermeister von Wien, Karl Lueger, hatten dies gesehen; das war ein Mann, den er bewundern konnte, er verstand es, die bedrohten Teile der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Als er erst einen Blick dafür bekommen hatte, da war ihm aufgegangen: Wohin er auch sah, saß dort schon ein Jude und thronte auf der Spitze des Kuchens - nein, es war noch schlimmer: Gab es eine einzige Form von Schamlosigkeit und Schmutz, vor allem im kulturellen Leben, an der nicht wenigstens ein Jude beteiligt war? Stach man eine solche Beule vorsichtig auf, traf man, so wie auf die Made in einem faulen Körper, auf Anhieb auf einen kleinen Juden, der oft von dem plötzlichen Licht geblendet wurde.
Dies alles konnte er denken, solange er noch ein Dach über dem Kopf hatte und einen klaren Gedanken fassen konnte, doch jetzt ist er von Zimmer und Miete geflüchtet und ist hungrig und obdachlos und hustet und hat weder Mantel noch Rock und ist verdreckt und kann sich in keiner Bibliothek sehen lassen; er stinkt und muß sich für eine Schüssel lauwarmer Suppe in der Schlange vor einem Nonnenkloster anstellen. Er nimmt die Suppe mit steifen Fingern entgegen und verzehrt sie stehend unter lautem Schlürfen, wobei er die ausgebrannten Gesichter in der Schlange hinter sich anstarrt. Es ist Abend, er streift durch die Stadtmitte, sucht im Dom Schutz, sitzt dort und reibt sich die Hände mit Aussicht auf Anton Pilgram unter dem Orgelfuß; aber auch dort wird es zu kalt, er findet eine windgeschützte Toreinfahrt in der Mariahilferstraße und nickt sitzend ein; ein Polizist jagt ihn mit dem Knüppel weg, nun muß er zum Schloßpark; er geht und geht, kommt an einem erleuchteten Café und Restaurant nach dem anderen vorbei, wo die Leute unverdrossen essen und trinken, aber er hat gelernt, nicht wegzuschauen, und wenn er doch wegschaut, dann verflucht er, was er sieht: Das wird eines Tages anders sein, eines Tages wird er sich an diesen selbstzufriedenen Bürgern rächen, den Advokaten, den Akademikern in ihrem sodomitischen Wohlleben. Auf der vereisten Steinfläche vor der Hofburg und ihren brennenden Laternen sucht er sich durch die Balustrade den Weg zum dunklen Park mit den nackten Bäumen und Büschen, und dort irgendwo steht die Bank, die Bank, auf der er schon öfter gelegen hat; doch an diesem späten Abend hat er keinen Schutz, nicht mal eine alte Decke oder einen aussortierten Mantel, in die er sich einwickeln kann. Als er die Bank entdeckt und sich todmüde und frierend darauf legt,...
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