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Mit zerfurchter Stirn beäugte Emma die blinkenden, blau leuchtenden Zahlen, die sich nur widerwillig auf einen Wert einzustellen schienen. Einen Wert, der einmal mehr ihre Laune nicht unwesentlich beeinflusste. Und zwar zum Negativen.
»Wie bitte?«, murmelte sie angefressen. »Ein Pfund mehr als gestern? Mist!«
»Na, meine Kleine?«, erklang die Stimme von Siegfried Schmidt hinter ihr, der nahezu lautlos mit einem Koffer in der Hand ihr Zimmer betreten hatte. »Was guckst du denn so kritisch?«
»Das würdest du an meiner Stelle auch tun, Opa«, entgegnete Emma missmutig und zeigte auf die Waage unter ihren Füßen. »Ich kann machen, was ich will, mein Gewicht geht einfach nicht weiter runter. Und das, obwohl ich seit Ewigkeiten kaum etwas gegessen habe.«
»Stimmt, das hast du nicht!«, erwiderte ihr Großvater trocken. »Das heißt, wenn man mal von deinen nächtlichen Ausflügen zum Kühlschrank absieht. Heute Nacht mussten eine Tüte Chips und ein halbes Glas Bockwürstchen dran glauben, nicht wahr?«
Emma lief rot an. »Das hast du gemerkt?«, erwiderte sie peinlich berührt.
Der alte Mann stellte den Koffer auf dem Boden ab und setzte sich auf Emmas Bett. »Wenn du nicht willst, dass man es bemerkt, mein Mädchen, solltest du künftig die Spuren besser verwischen. Oder noch besser, hör endlich auf mit diesem schwachsinnigen Hungern, dann bekommst du auch keine nächtlichen Heißhungerattacken mehr.«
»Aber ich würde so gerne noch ein paar Kilo abnehmen«, murrte Emma trotzig, schob die Waage beiseite und ließ sich neben ihrem Großvater auf die Matratze fallen.
»Jetzt hör schon auf! Warum glaubst du immer, dass du zu dick bist? Das bist du nicht.«
»Oh doch, das bin ich. Sieh mich nur an! Mein zweiter Name könnte Wuchtbrumme sein.«
»Blödsinn. Ich bin froh, dass du so gesund aussiehst. Deine Großmutter wäre es auch.«
Emma schluckte, als sie den Schmerz in der Stimme des alten Mannes hörte. Sie griff nach seiner Hand. »Es tut mir leid, Opa. Bitte verzeih mir.«
Er sah überrascht auf. »Was soll ich dir denn verzeihen, meine Kleine?«
»Dass ich euch Kummer gemacht habe. Vielleicht . ich meine, wenn ich nicht so einen Mist gebaut hätte, dann würde Oma möglicherweise noch .«
Der alte Mann schüttelte vehement den Kopf. »So etwas darfst du dir nicht einreden, mein Kind. Es stimmt, deine Oma war sehr unglücklich darüber, dass es dir so schlecht ging, und sie war verzweifelt über den Tod deiner Mutter, aber der Krebs hat schon viele Jahre vorher begonnen, sie zu zerstören. Als du dann plötzlich bei uns warst, hat sie neue Kräfte mobilisiert, und das hat den Verlauf ihrer Krankheit immens beeinflusst, wenn du mich fragst. Zum Positiven. Ich behaupte sogar, dass sie viel eher gestorben wäre, wenn sie nicht für dich hätte sorgen müssen.«
»Wenn ihr nicht für mich hättet sorgen müssen«, verbesserte Emma ihren Großvater sanft.
Er nickte lächelnd. »Ja, wir. Und wir haben es gerne gemacht.«
»Obwohl ich euch so viel angetan habe?«
»Du hast uns nichts angetan, Kind. Du warst krank und konntest mit deiner Trauer nicht umgehen.«
Emma seufzte. »Opa, wir beide wissen, dass nicht nur meine Trauer um Mama das Problem war, sondern auch der Zorn auf meinen Erzeuger.«
Der alte Mann kräuselte die Stirn. »Ich mag es nicht, wenn du so über Don sprichst. Er ist immer noch dein Vater.«
Emma ballte die Fäuste. »Auf dem Papier, ja. Ansonsten spielt er keine Rolle mehr in meinem Leben.«
Siegfried seufzte. »Ob du es willst oder nicht, er wird immer eine Rolle in deinem Leben spielen, doch natürlich ist es deine Entscheidung, wie groß sie ist.«
»Ach ja?«, erwiderte Emma angriffslustig. »Ist es nicht eher so, dass du stetig darauf hinwirkst, dass ich mich mit dem Mann versöhne? Obwohl du ganz genau weißt, dass er Mamas Blut an seinen Fingern hat?«
Ihr Großvater schüttelte ihre Hand ab und stand auf. Emma zuckte zurück, als sie seinen aufgebrachten Blick auffing, denn normalerweise ließ der alte Mann sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
»Nie wieder möchte ich so etwas von dir hören, Emma Henderson«, fuhr er sie zornig an. »Dein Vater mag nicht immer alles richtig gemacht haben, ja, aber er trägt sicher nicht die Schuld am Tod deiner Mutter. Es war ein Unfall, verdammt. Ein furchtbarer Unfall an jenem schrecklichen Tag, an dem die ganze Welt aus den Fugen geraten ist. Wenn du Don in den vergangenen Jahren nur ein einziges Mal die Chance auf ein Gespräch und auf eine Begegnung gegeben hättest, dann wüsstest du, wie sehr er immer noch unter ihrem Tod leidet. Wie sehr er deine Mutter . geliebt hat und wie sehr er sie vermisst. Du glaubst alles zu wissen, aber du weißt gar nichts. An einem anderen Ort zu einer anderen Zeit wäre die Geschichte deiner Eltern noch nicht zu Ende erzählt gewesen, aber es sollte nun mal nicht sein. Wir alle haben das zu akzeptieren. Auch du, mein Kind. Wenn du das endlich kannst, wirst du die Probleme, die dich und uns so lange Zeit schon begleiten, in den Griff bekommen, da bin ich mir sicher. Was deine Annahme betrifft, gestehe ich ein, dass du recht hast. Natürlich arbeite ich auf eine Versöhnung zwischen dir und deinem Vater hin. Emma, ich bin vierundsiebzig Jahre alt. Schon bald werde ich nicht mehr da sein. Ich möchte dich nun mal nicht allein zurücklassen.«
Emma stand auf und griff erneut nach den Händen ihres Großvaters. »Siehst du, und das ist etwas, was ich nicht von dir hören möchte, Opa«, sagte sie leise. »Es geht dir gut. Du wirst noch lange nicht sterben, verstanden?«
»Das liegt nicht in meiner Hand, meine Kleine.«
»Wie so vieles andere auch nicht.«
»Dass du dich mit deinem Vater aussöhnst, wäre schon im Bereich des Machbaren.«
Emma verzog das Gesicht. »Du gibst keine Ruhe, oder?«
»In dieser Angelegenheit sicher nicht, irgendeiner muss meiner sturen Enkelin und meinem zaghaften Schwiegersohn ja auf die Sprünge helfen. Für den Moment will ich mich damit zufriedengeben, dass du auf sein Angebot eingegangen bist, für die Dauer deines Aufenthalts in New York in seinem Apartment zu wohnen.«
Emma rollte mit den Augen. »Unter der Bedingung, dass er dort in dieser Zeit nicht auftaucht, und auch nur, weil du darauf bestehst. Sonst lässt du mich womöglich nicht ziehen.«
»Unsinn. Du bist volljährig. Wenn du gehen willst, kann ich dich nicht aufhalten.«
Emma seufzte und schlang ihre Arme um die Taille des alten Mannes. »Das kannst du jederzeit, und das weißt du auch. Nur ein Wort von dir, und ich bleibe. Umso dankbarer bin ich, dass du mir vertraust und dass du mich in dieser Sache unterstützt.
Siegfried Schmidt erwiderte ihre Umarmung. »Es ist an der Zeit, mein Kind. Das Vögelchen muss ja irgendwann mal aus dem Nest und testen, ob es fliegen kann. Nur, dass es ausgerechnet in New York sein muss, setzt mir schon sehr zu.«
»Mir auch, das darfst du mir glauben. Ich habe einen ganzen Monat darüber nachgedacht, und mein Entschluss steht. Es muss New York sein. Wenn ich es dort schaffe, Opa, dann schaffe ich es überall, oder?«
Ihr Großvater schob sie etwas von sich weg und nickte. »Das ist wohl wahr, aber nimm es bitte nicht auf die leichte Schulter. Du hast in den letzten Jahren viel erreicht, doch es liegt noch ein weiter Weg vor dir.«
»Ich weiß. Und damit ich den pünktlich in Angriff nehmen kann, muss ich jetzt auch anfangen zu packen. Danke, dass ich euren Koffer nehmen darf.«
»Das ist doch selbstverständlich. Während du dich um dein Gepäck kümmerst, werde ich dir für unterwegs ein paar Brötchen schmieren.« Er drückte ihr einen leichten Kuss auf die Stirn, drehte sich um und trottete gemächlich zur Tür.
»Nein, bitte keine Brötchen«, rief Emma ihm nach. »Pack mir doch lieber ein bisschen Obst ein.«
»Dazu vielleicht ein Glas Bockwürstchen?«, schallte es zurück, und sie hörte ein Lachen.
»Das ist nicht witzig, Opa«, fauchte Emma, worauf das Lachen ihres Großvaters sich noch verstärkte.
Emma nahm mit säuerlicher Miene den Hartschalenkoffer und wuchtete ihn aufs Bett. Als sie ihn öffnete, fiel ihr Blick auf ein kleines Buch, das in einem der Seitenfächer steckte. Sie wusste sofort, dass es sich um die Reisebibel ihrer Großmutter handelte, denn die hatte sie immer dabeigehabt, wenn es auf Fahrt ging. Emma zog das Büchlein hervor und strich liebevoll mit den Fingerspitzen darüber. Dann nahm sie ein Bild vom Nachttisch, das sie als sechzehnjähriges Mädchen zeigte, legte es zwischen die Seiten der Bibel und verstaute sie wieder im Seitenfach. So würde ihre Oma immer ganz nah bei ihr sein, und wenn es ihn gab, der liebe Gott auch. Keine schlechte Sache, wo sie doch jeden Beistand bitter nötig haben würde.
Emma schaute auf ihre Hände. Unbewusst hatte sie sie zu...
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