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Die schlichte Todesanzeige weckte tief vergrabene Erinnerungen an ihr erstes Plädoyer, das sie mit brüchiger Stimme vor dem ergrauten Richter heruntergestammelt hatte. Dem anschließenden >letzten Wort< des Angeklagten folgte das letzte Urteil von >Richter Eisenherz<, bevor er die Hamburger Anwaltschaft endlich mit seinem Ruhestand erlösen sollte. Wie so viele seiner überraschenden Urteile, war auch dieses in seinem Kopf schon gefällt, noch bevor der Saaldiener die Sache zur Verhandlung aufgerufen hatte.
Es war jetzt fast genau auf den Tag fünf Jahre her, dass Katharina Tenzer ihre erste Strafverteidigung übernommen hatte. Die Geschäftsverteilung des Gerichtes war nicht gerade gnädig mit der jungen Anwältin umgegangen. Ausgerechnet den dienstältesten Amtsrichter Hamburgs hatten sie und ihr Mandant erwischt. Während der noch nicht einmal zwei Stunden dauernden Sitzung hatte Richter Eisenherz ein paar Urkunden verlesen und einen von Katharina geladenen Entlastungszeugen nach der Vernehmung ziemlich unfreundlich aus dem Saal gewiesen. Ohne sich lange im Beratungszimmer herumzudrücken, hatte er unmittelbar nach den letzten Unschuldsbeteuerungen des Angeklagten den jungen Tischlermeister wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer knackigen Bewährungsstrafe mit zusätzlicher Zahlungsauflage verurteilt und damit selbst die Staatsanwaltschaft in Erstaunen versetzt. Das Urteil war zwar nur wenige Monate später in der nächsten Instanz aufgehoben worden, die Erinnerungen an jene schon so viele Jahre zurückliegende Gerichtsverhandlung riefen seltsamerweise aber immer noch Schuldgefühle bei der jungen Anwältin hervor.
Jetzt saß sie in ihrem Büro in bester Hamburger Innenstadtlage und blätterte mit einem Joghurtbecher in der Hand die Hamburger Lokalpresse durch. Dabei war ihr die Todesanzeige ins Auge gefallen. Deren Layout war so traurig wie ihr Anlass. Das einzig Überraschende war für Katharina die Anzahl der erwähnten Kinder, denn sie ließ vermuten, dass der Amtsrichter a. D. in jungen Jahren neben der Juristerei hauptsächlich mit der Zeugung von Nachkommen beschäftigt gewesen war. Mit achtundsechzig Jahren abzutreten, wünscht man aber natürlich niemandem, egal, ob er menschlich ein Ekel gewesen ist oder nicht, dachte Katharina. Sie schlug die Zeitung zusammen und stopfte sie mit einem ärgerlichen Kopfschütteln in den Papierkorb.
Plötzlich flog ihre Zimmertür auf und Wolf von Behringer, Mittvierziger und einer ihrer drei Kanzleipartner, platzte herein. Er kam von einer ausgedehnten Vertragsverhandlung mit einer Bank zurück und warf sich mit einem unverschämten Grinsen in den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch. Seiner Laune nach zu urteilen, würde ihr Kanzleikonto am Monatsende eine deutliche Entspannung erfahren. Einen sprichwörtlichen >warmen Regen< konnten sie momentan auch gut gebrauchen. Nicht, dass die Kanzlei schlecht laufen würde, aber im letzten Monat waren zwei Mandanten wirtschaftlich in die Knie gegangen und hatten Insolvenz angemeldet. Die Außenstände von rund fünfunddreißigtausend Euro konnten sie demzufolge in den Wind schreiben.
Wolf von Behringer war spezialisiert auf Bankrecht. Ein schlaues Kerlchen, manchmal sogar ein wenig verschlagen, wie Katharina fand. Und da er zudem hartnäckig wie ein Terrier war, hatte er schon so manche Großbank das Fürchten gelehrt. Er kam ursprünglich aus einer der ganz großen Kanzleien der Stadt, was er gelegentlich bewusst heraushängen ließ.
»Die Sache ist gigantisch gelaufen, wir haben uns mit den Bankern nach fünf Stunden Verhandlungsmarathon auf 1,8 Millionen geeinigt. Siebenstern ist natürlich happy.«
Heinrich Siebenstern war Inhaber einer adretten kleinen Immobilienfirma, hatte aber leider mit der Frau des Filialleiters seiner Hausbank eine heftige Affäre angefangen. Der Banker hatte irgendwie davon erfahren und Siebenstern mit fadenscheiniger Begründung plötzlich sämtliche Kredite gekündigt. Wolf von Behringer hatte die Gunst der Stunde genutzt und war mit einer satten Schadenersatzklage über 2,5 Millionen Euro gleich richtig in die Vollen gegangen.
»Mensch Kathi, Siebensterns Honorar von dreißigtausend kommt doch wie gerufen. Lass uns heute Abend ein bisschen feiern gehen.« Er beugte sich nach vorn und sah sie herausfordernd an. »So wie früher. Vergessen wir einfach, was war«, setzte er nach einer kurzen Pause süffisant hinzu.
Es ärgerte Katharina, dass er anscheinend immer noch nicht begriffen hatte, dass zwischen ihnen ein für alle Mal nichts mehr lief. Noch mehr ärgerte sie sich aber über sich selbst, dass sie vor einem halben Jahr überhaupt eine Liaison mit ihm angefangen hatte. Er war über zehn Jahre älter als sie, geschieden und hatte eine pubertierende Tochter, die ständig in der Kanzlei alle verrückt machte, wenn sie mit ihrer Mutter mal wieder Zoff hatte, was eigentlich ständig vorkam.
Katharina hatte allerdings eine Schwäche für Männer vom Schlage eines Wolf von Behringer. Ihre Favoriten mussten nicht unbedingt Modellathleten verkörpern, aber mit Witz, schneller Auffassungsgabe und einem gesunden Selbstbewusstsein punktete Mann bei ihr ziemlich schnell. Und immer war unterschwellig die Hoffnung im Spiel, vielleicht doch endlich einen wirklichen Glücksgriff gelandet zu haben. Bei von Behringer hatte sie nach wenigen Wochen gewusst, dass sich die Sache nicht dauerhaft entwickeln würde. Von der anfänglichen körperlichen Erregung in seiner unmittelbaren Nähe war zwar immer noch etwas übrig geblieben, aber ein festes Zusammenleben mit ihm war für sie undenkbar. So tough er im beruflichen Umfeld war, wenn seine Tochter oder Ex-Frau mit den Fingern schnippte, ließ er widerstandslos alles andere stehen und liegen. Für einen wirklichen Neuanfang fehlte es ihm entweder an Mut oder an Rückgrat. Oder an beidem. Und eine reine nach körperlichen Bedürfnissen ausgerichtete Zweckbeziehung kam für Katharina nicht infrage. Jedenfalls noch nicht.
Als dann wieder einmal wegen seiner Tochter eine Verabredung mit Freunden zu platzen drohte, war es zu einer kurzen, aber wortreichen Auseinandersetzung gekommen, in der Katharina sich wohl etwas im Ton vergriffen und ihm einige unschöne Attribute an den Kopf geworfen hatte. Er war daraufhin Hals über Kopf mit seinem spärlichen Hab und Gut aus ihrer Wohnung getobt. Sie hatte sich zwar noch am Abend bei ihm telefonisch für ihre Verbalattacke entschuldigt, ihm in diesem Gespräch aber auch deutlich gemacht, dass ihre Beziehung keine Zukunft hatte.
Seit dieser Zeit war ihr Umgang im Büro miteinander zwar nicht gänzlich entspannt, dennoch respektvoll . um nicht zu sagen: professionell. Hin und wieder konnte er es jedoch nicht lassen, Spitzen wie eben von sich zu geben, auf die er lieber verzichten sollte, wie Katharina fand.
»Wolf, was soll das jetzt schon wieder? Es gibt kein >wie früher<, das weißt du ganz genau.«
Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, nahm er beschwichtigend beide Hände in die Höhe. »Schon gut, schon gut, reg dich nicht gleich wieder auf. Man wird doch noch einen Scherz machen dürfen«, gab er zurück.
»Im Übrigen bekomme ich heute Abend noch ein neues Mandat. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Besprechung dauert. Nach dem kurzen Telefonat vorgestern scheint das eine ganz abstruse Haftsache zu sein. Immerhin soll es einen ordentlichen Vorschuss geben. Der, um den es eigentlich geht, ist wohl ins Ausland geflüchtet«, erzählte Katharina.
In diesem Moment ging die Zimmertür auf und Gudrun Peters, eine der beiden Sekretärinnen der Kanzlei, brachte die Tagespost. Sie erfasste die Situation mit einem Blick und schob den Aktenstapel demonstrativ zwischen die beiden Anwälte, direkt unter die Nase von Wolf von Behringer.
»Herr von Behringer, ich sollte Sie doch an den Aktenvermerk für Frau Dr. Dressler erinnern«, flötete sie übertrieben freundlich, woraufhin Katharina sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
Von Behringer blickte auf seine Uhr und sprang aus dem Sessel. »So ein Mist, das hatte ich ganz vergessen vor lauter Euphorie in der Sache Siebenstern«, entfuhr es ihm, bevor er, nun doch etwas beschämt, aus dem Zimmer eilte.
Gudrun Peters stand wenige Monate vor der Rente und war schon die Seele der Kanzlei gewesen, als Katharina hier als Referendarin angefangen hatte. Schnell hatte sich die burschikose Sekretärin damals der jungen Juristin angenommen, die völlig fremd in Hamburg war.
Das waren turbulente Wochen gewesen und Friedemann Hausner, der Kanzleigründer, hatte Katharina nach ihrer Anwaltszulassung sogleich als vollwertige Partnerin in die Kanzlei aufgenommen. Die Sekretärin fand zwar, dass der Seniorchef damit etwas übertrieben hatte, aber er würde schon seinen Grund gehabt haben, da war sie sich sicher. Und niemals hätte sie es gewagt, ihm gegenüber ein Sterbenswörtchen von Kritik zu äußern. Als Friedemann Hausner sich dann immer mehr zurückgezogen und zusätzlich ältere und erfahrenere Anwälte aufgenommen hatte, war es schließlich ihre gottverdammte Pflicht gewesen, mehr als nur ein Auge auf die junge Frau zu werfen. Und wie sie wieder einmal recht gehabt hatte! Ausgerechnet dieser schnöselige Kerl musste Katharina dann auch prompt den Kopf verdrehen. Aber Gudrun Peters hatte am Ende wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die in ihren Augen unmögliche Beziehung bereits nach kurzer Zeit wieder Geschichte war.
»Vielen Dank für die Post, Frau Peters. Ist Frau Dr. Dressler inzwischen da?«, wollte Katharina wissen.
»Ja, soeben eingetroffen, aber wie immer . na ja . Sie wissen schon, etwas hektisch unterwegs, weil sie gleich wieder ihren Sohn abholen muss«,...
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