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Es ist eine interessante Tatsache, dass Juden in der Diaspora offenbar eine geringere Kriminalitätsrate aufweisen als die Durchschnittsbevölkerung, was sich durchaus mit engen Familienbindungen, höheren Bildungsstandards und gegenseitiger Hilfsbereitschaft erklären lässt. Aber dennoch haben nicht alle eine blütenreine Weste .Dieser Almanach nähert sich dem Thema auf vielfältige Weise: Es geht um jüdische Gangsterbanden, die in der Nachkriegszeit ihr Unwesen trieben; Rabbiner, die sich offenbar besonders gut als Detektivfiguren eignen, aber auch um die Verurteilung von Verbrechen nach den jüdischen Gesetzen. Die Beiträge beschäftigen sich mit der weltbekannten Sex-Ratgeberin Ruth Westheimer sowie dem Mitbegründer der Sexualwissenschaft Magnus Hirschfeld und suchen nach Antworten auf die Frage, ob das Judentum die Sexualität befreit oder unterdrückt. Und nicht zuletzt wird an die israelische Serie Eis am Stiel erinnert, die zur Aufklärung einer ganzen Generation deutscher Jugendlicher beigetragen hat.
Mit Beiträgen von Robert Rockaway, Orit Kamir, Michael Wuliger, Daniel Wildmann und den Krimiautoren Dror Mishani und Alfred Bodenheimer.
Schimon Staszewksi
Das jüdische Rechtssystem kann auf eine Geschichte von mehr als 3000 Jahren zurückblicken. Die Fragen, die sich bei der Darstellung der Gerichtsbarkeit ergeben, sind von erstaunlicher Aktualität und spielen in aktuellen politischen Debatten weiterhin eine wichtige Rolle. Viele der heutigen Fragestellungen werden schon seit mehreren tausend Jahren diskutiert.
Die Auseinandersetzung mit der Strafverfolgung von Schwerverbrechern umfasst allerdings nur einen kleinen Teil des jüdischen Strafrechts, da die Kompetenzen der Gerichte spätestens nach dem durch die römische Besatzung erzwungenen Auszug des großen Gerichtshofs, des Sanhedrins, aus dem Bereich des Tempelbergs bzw. nach der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahre 70 n.??Z. stark eingeschränkt wurden und sich der Schwerpunkt der zu behandelnden Fälle im Laufe der Geschichte immer mehr auf Schadensersatz und Vermögensfragen verschob. Im Folgenden befassen wir uns schwerpunktmäßig mit der Ahndung schwerwiegender Verbrechen, die im Kontext von Körperverletzung, Sexualdelikten oder einem Tötungsdelikt stehen.
Einer der bekanntesten Rechtsgrundsätze aus der Tora ist die Vorschrift »So hast Du zu geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme«. Im Gegensatz zu gängigen, vielfach falsch übersetzten, missverstandenen und/oder missbrauchten Auslegungen vor allem in christlichen Quellen interpretieren die jüdischen Rechtsgelehrten diese Textstelle nicht einfach als Grundlage für Vergeltung nach dem Motto: »Wie Du mir, so ich Dir« (Mischlei Schlomo 24, 29). Nach jüdischer Auffassung gebietet dieser Grundsatz bei allen Körperverletzungen ausschließlich einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe von Richtern festgelegt werden soll. Die zwingende Einschaltung eines Gerichts ist dabei ausschlaggebend, um eine Verhältnismäßigkeit der Strafe zu erzielen und der Praxis von Selbstjustiz und Blutrache Einhalt zu gebieten. Zugleich wird auch der Schutz von Sklaven geregelt:
Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine schwangere Frau treffen, sodass sie eine Fehlgeburt hat, ohne dass ein weiterer Schaden entsteht, dann soll der Täter eine Buße zahlen, die ihm der Ehemann der Frau auferlegt; er kann die Zahlung nach dem Urteil von Schiedsrichtern leisten. Ist weiterer Schaden entstanden, dann musst du geben: Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme. Wenn einer seinem Sklaven oder seiner Sklavin ein Auge ausschlägt, soll er ihn für das ausgeschlagene Auge freilassen. Wenn er seinem Sklaven oder seiner Sklavin einen Zahn ausschlägt, soll er ihn für den ausgeschlagenen Zahn freilassen. (Schemot 21,22-25)
Wenn Männer in Streit geraten und einer den anderen mit einem Stein oder einer Hacke schlägt, so dass er zwar nicht stirbt, aber bettlägerig wird, wieder aufstehen und ausgehen kann an seinem Stock, so soll der, der ihn schlug, nicht bestraft werden, ihm aber bezahlen, was er versäumt hat, und das Arzt-Geld geben. (Schemot 21,18)
Im Talmud als zweite grundlegende Quelle jüdischen Rechts wird dieses Gebot aus der Tora weiter erklärt und diskutiert. Entschädigungen werden demnach als reiner Schadensersatz, als Schmerzensgeld, als Heilungskosten, für den Arbeits- bzw. Verdienstausfall und für den Fall gezahlt, dass sich jemand wegen seiner Verletzungen nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen wagt. (Mischna Traktat Bava Kama 8,1).
Hillel ha Zaken, der große Gelehrte und Vorsitzende des Sanhedrin in der Zeit vor der Zerstörung des zweiten Tempels, legte fest, dass eine Strafe immer ausgewogen sein müsse und eine Versöhnung der Kontrahenten ermöglichen solle. Ziel sei es, den Zustand vor der Straftat wieder herzustellen. Diese Sichtweise widerspricht der wörtlichen Auslegung des Prinzips »Auge um Auge, Zahn um Zahn«. Außerdem wird der Geldwert einzelner Gliedmaßen und Organe sehr unterschiedlich bewertet. So sei zum Beispiel für einen Einäugigen sein zweites Auge mehr Wert als für andere Menschen mit zwei gesunden Augen und sein Schaden unverhältnismäßig höher. Analog gelte dies auch für alle anderen reinen Vergeltungsstrafen. So ist es nur konsequent, dass in der jüdischen Tradition der Geschädigte noch nie von einem jüdischen Gericht zu einer Verstümmlung eines Täters aufgefordert worden ist. Schadensersatz trat an die Stelle von Körperstrafen (Mischna Traktat Bava Kama 83b ff; Ketubot 38a ff). Laut Josephus Flavius wurden Körperstrafen wie Geißelung zu seiner Zeit nur in Ausnahmefällen vollzogen und nur wenn der Geschädigte die Geldbuße nicht akzeptierte (Josephus Flavius, Antiquitates Judaicae). Dass es bereits vor mehr als 2000 Jahren bei der Rechtsprechung auch um die Reintegration eines Straftäters in die Gesellschaft ging, macht die Regelung deutlich, dass Züchtigungen auf unter 40 Schläge begrenzt wurden, um die Ehre des Verurteilten zu schützen (Devarim 25,1-3). Um das Jahr 100 n.??Z. wurden körperliche Strafen schließlich abgeschafft.
Für die verschiedenen Kategorien von Straftaten gab es unterschiedliche Gerichtshöfe. Alle Gerichtsverfahren von Vergehen, die keine Todesstrafe nach sich ziehen konnten, wurden durch ein dreiköpfiges Gericht, dem Beit Din, verhandelt. Todesstrafen konnten nur durch den Kleinen Sanhedrin, bestehend aus 23 Mitgliedern, ausgesprochen werden. Verfahren gegen einen ganzen Stamm, den Hohepriester sowie falsche Propheten erfolgten ausschließlich vor dem aus 71 Richtern bestehenden Großen Sanhedrin. Zwischen diesen Gerichtshöfen bestanden grundlegende Unterschiede.
Die Tora berichtet wiederholt über die Anwendung der Todesstrafe, vor allem als Strafe für einen Mord. Ihre primäre Aufgabe war es, der Blutrache entgegenzutreten und die Bestrafung des vorsätzlichen Mordes mit dem Tode als alleinige Aufgabe des Gerichts anzuerkennen. Auch die fahrlässige Tötung sollte der Blutrache entzogen werden. Dies geschah durch die Verbannung des Täters in eine der sechs Zufluchtsstätten. Die Verbannung war zeitlich limitiert und endete mit dem Tod des amtierenden Hohepriesters. Um zu vermeiden, dass die Verbannten für den vorzeitigen Tod des Hohepriesters beteten, wurden sie von dessen Familie gut versorgt.
Das biblische Recht sah auch für andere Verbrechen, die die Gefahr der Destabilisierung der Gesellschaftsordnung in sich trugen, wie unerlaubte sexuelle Beziehungen und Handlungen, die Propagierung oder Praktizierung von Polytheismus, das Verfluchen von Vater und Mutter, falsche Prophetie, Entheiligung des Schabbats, Opferung der eigenen Kinder an fremde Götter und andere Vergehen, die Todesstrafe vor. Diese Todesstrafen durch andere Strafen zu ersetzen war zunächst ausdrücklich untersagt: »Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen statt der Seele des Mörders; wer des Todes schuldig ist, soll getötet werden« (Bamidbar 35, 31; vgl. auch Devarim19, 13).
Auf der anderen Seite gab es starke Tendenzen zur praktischen Aufhebung der Todesstrafe schon zu Zeiten der Mischna (Makk. 1:10), der mündlichen Tora. So bezeichneten die wichtigsten jüdischen Gelehrten im ersten Jahrhundert einen Gerichtshof als mörderisch, der einmal im Verlaufe von sieben Jahren ein Todesurteil fällte. Rabbi Eleasar b. Asarja erstreckte dieses Werturteil sogar auf einen Gerichtshof, der einmal im Verlauf von siebzig Jahren die Todesstrafe zur Anwendung bringt. Rabbi Tarfon und Rabbi Akiba gingen noch weiter, indem sie erklärten: »Wenn wir im Synhedrion gesessen hätten, wäre niemals ein Mensch hingerichtet worden.« (Mischna, Traktat Makkoth 1:10) Zweifellos scheint sich somit schon zur Zeit von Rabbi Akiba ein Bestreben zur Aufhebung der Todesstrafe bemerkbar gemacht zu haben. Die praktische Anwendung der Todesstrafe wurde aber schon durch die hohen Anforderungen des Prozesses, was Beweise und Zeugenaussagen anging, erheblich erschwert, so dass Todesurteile sehr selten waren. Die einzelnen Voraussetzungen waren:
Stets musste der Beweis durch zwei Zeugen erbracht werden. Diese waren verpflichtet, den Angeklagten einzeln zu ermahnen, mit seinem Tun aufzuhören, da sein Tun ein Todesurteil nach sich...
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