Schweitzer Fachinformationen
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Ein heftiges »Rums«, durchdrehende Räder, ein aufjaulender Motor, doch der Wagen bewegt sich nicht mehr, kein bisschen. Jeder Versuch, den Toyota Land Cruiser aus dem schlammigen Bachbett zu befreien, scheitert kläglich. Zu tief ist der Graben, den die zwei wackligen Bretter irreführenderweise zu überbrücken versprachen. Wir stecken bis zur Motorplatte im Schlamm. Uns bleibt nichts anderes übrig, als aus dem gestrandeten Jeep zu klettern und unser selbst verschuldetes Unglück zu begutachten.
Schon die nur auf Guru Maps (eine für Tansania-Reisende unverzichtbare App mit Offline-Landkarten) angezeigte Route, die uns hinter die Mahale Mountains führte, hätte uns Warnung genug sein müssen, entpuppte sie sich doch als einer der vielen Fahrradwege, die es im ländlichen Tansania zwischen kleinen Dörfern gibt. Hier, im äußersten Westen oder besser im wilden, spärlich besuchten Westen des Landes gibt es immer noch wenig Straßen, auf die ein Auto passt, und noch weniger Asphaltstraßen. Dessen ungeachtet wollte ich seit Jahren mit dem Auto vom Mahale-Mountains-Nationalpark zum Katavi-Nationalpark fahren, wohl einfach deshalb, weil es auf Google Maps und herkömmlichen gedruckten Landkarten unmöglich schien, diese Strecke von etwa 200 Kilometern anders als querfeldein zurückzulegen, was eines jener Abenteuer zu werden versprach, die das Reisen durch Tansania so faszinierend und lohnend machen. Guru hatte - auch dies hätte eine Warnung sein können - die Strecke mit zwölf Stunden Fahrtzeit angegeben, aber um ehrlich zu sein, hatte das weder mich noch meine gleichgesinnten Mitreisenden dazu veranlasst, unsere Route zu ändern. Wir waren also voller Optimismus. Und nun das.
Wir: Das sind Anne und Jean, die eine gute Portion Afrika-Erfahrung zu diesem Roadtrip beisteuern, sowie Thomas und ich, die trotz vieler Reisen nach Tansania immer noch ganz schöne Greenhorns sind (wie wir in der Folge noch öfter bemerken werden). Nicht immer sind wir in dieser Kombination unterwegs, manchmal schließen sich uns andere Unternehmungslustige an. Wir sind auch nicht ständig auf Achse, sondern auch mal am Strand, auf Sansibar, genießen das Großstadtleben oder das Tauchen. Und natürlich fließen auch all die anderen Tansania-Erlebnisse, insbesondere die Reisen mit meiner Tochter Helena, in dieses Buch ein.
Aber im Moment befinden wir uns in der bergigen Gegend östlich des Tanganjikasees, des längsten, zweittiefsten und auf das Wasservolumen bezogen zweitgrößten Sees der Erde. Wir haben keinen Mobilfunkempfang (obwohl der in den letzten Jahren eigentlich jedes Dorf erreichte), zu Fuß ist die nächstgrößere Ortschaft eine Tagesreise entfernt, rundum scheint es nur Busch und Miombowald (der ganz Tansania, ja das südliche Zentralafrika durchziehende Trockenwald) zu geben.
Es ist Nachmittag, die Hitze hat schon nachgelassen, in wenigen Stunden wird es schlagartig dunkel sein. Während wir den schmalen und steil ansteigenden Weg zu passieren versuchten, begegneten uns vereinzelte Fahrradfahrer, riesige Reisig- und Bananenstaudenbündel auf dem Gepäckträger balancierend. Wir wissen, dass uns, sollten wir in absehbarer Zeit keine Hilfe finden, nur die Übernachtung im Zelt bleibt - im Nirgendwo. Und doch sind irgendwie, auf wundersame Weise, innerhalb von Minuten, nachdem wir stecken geblieben waren, auch schon ein gutes Dutzend Helfer zur Stelle, junge Burschen, alle bei bester Laune, angefeuert durch ein - für den am Ende geleisteten Herkulesjob - äußerst moderates Trinkgeld. Wir graben das Auto mit bloßen Händen aus dem Schlamm, stemmen mit vereinten Kräften Holzlatten unter die Räder und befestigen ein Seil, das wir Gott sei Dank mit uns führen, unter der vorderen Stoßstange an dem für solche Zwecke bestimmten Eisenring. Und dann bemühen wir uns gemeinsam, den gut drei Tonnen schweren Wagen lachend und uns in den gleichen Rhythmus singend aus dem Bachbett zu ziehen. Das Ganze gleicht einem fröhlichen Fest und ist doch eine Hilfsaktion. Witze fliegen von einem zum anderen, immer mehr helfende Hände treffen ein, alles wird aus verschiedenen Perspektiven gefilmt, das Trinkgeld wird angehoben, und - schwups - auf einmal bewegt sich der Toyota, die Reifen kommen frei, er rollt den Weg entlang.
Unsere Autopanne ist das Ereignis des Tages, vielleicht sogar der Woche, eines, das Solidarität erfordert, ganz im Sinne der afrikanischen Lebensphilosophie des Ubuntu. Dabei geht es um Gemeinschaft sowie die Erfahrung, dass man nur durch andere Menschen zum Menschen wird. So hat es der Ende 2021 verstorbene Bischof Desmond Tutu, Friedensnobelpreisträger und Weggefährte Nelson Mandelas, erklärt. Diese Haltung wird uns immer wieder begegnen in all ihren Schattierungen und Ausprägungen. Und vielleicht ist es ja wirklich dieser Grundkonsens, der die Menschen in diesem Teil der Welt so warmherzig, fröhlich und mit einer immer wieder staunenswerten Großzügigkeit des Herzens füreinander da sein lässt. Und zwar in einer Weise, die wir mit unserer mitteleuropäischen Mentalität nur schwer begreifen können. Sie muss erlebt, erfahren und in unserem Fall »er-reist« werden. Darum soll mein Ubuntu-Erlebnis bei der Autopanne im wilden Westen Tansanias eine Art Kompass für dieses Buch sein, zeigt es doch, warum es sich lohnt, dieses afrikanische Land zu bereisen und kennenzulernen. Nicht nur wegen seiner atemberaubenden Natur und all der Reiseerlebnisse, die es selbstverständlich zu beschreiben und zu würdigen gilt, sondern vor allem wegen der Menschen muss man dorthin.
Natürlich müssen Sie nicht gleich in einem Schlammloch stecken bleiben, im Straßengraben landen oder sonst irgendein nach Abenteuer riechendes Missgeschick erleiden. Auch wenn Sie eher auf sicheres Reisen, gar auf eine organisierte Safari stehen und von einem erholsamen Urlaub unter Palmen träumen, werden Sie - wenn Sie Augen und Herz für den Alltag der Menschen hier öffnen - besondere Begegnungen erleben. Und dann sind Sie angekommen in Tansania. In einem Land der Superlative. Die Serengeti, einer der größten und wohl auch grandiosesten Nationalparks der Erde, ist einfach der Inbegriff jeder Afrikasehnsucht. Und der Kilimandscharo oder Sansibar sind Attraktionen, die auch jedem Nicht-Afrika-Reisenden ein Begriff sind. Fast dreimal so groß wie Deutschland, ist Tansania mit seinen Naturwundern, seinem Reichtum an Bodenschätzen, seinen 130 verschiedenen Volksgruppen und fast ebenso vielen Sprachen ein Universum der besonderen Art. Tansania gehört zu den stabilsten und sichersten Regionen des Kontinents und hat doch seinen Anteil an den großen Problemen unserer Zeit - auch die will und kann ich Ihnen nicht ersparen: das immer noch fast ungebremste Bevölkerungswachstum (1961 hatte Tansania etwa zehn Millionen Einwohner, heute über 60 Millionen, nach Schätzungen werden es 2050 130 Millionen sein), die Abholzung der Wälder, Auswüchse der Klimaveränderung wie Versteppung, Dürre und Korallensterben. All die daraus entstehenden Sorgen und Nöte lassen sich beim Reisen durch das Land nicht nur vielfach beobachten, sie haben auch diverse höchst spannende Initiativen entstehen lassen. Und so ist die Reise durch das Land immer auch eine Reise durch ein Laboratorium unserer sich rasant verändernden Welt.
Vor allem aber nehme ich Sie mit zu einer einzigartigen Mischung aus immer noch unberührter Natur - ob in den unendlichen Weiten der Nationalparks oder an den tropischen Küsten des Indischen Ozeans - und der für den Kontinent so charakteristischen Vielfalt des afrikanischen Lebens. Vieles davon passt schon lange nicht mehr zu den Vorurteilen, die Europäer teilweise immer noch gegenüber dem angeblich ausschließlich von Armut, Flüchtlingen, Kriegen und Korruption geprägten Kontinent pflegen. Tansanias Bevölkerung ist zunehmend besser ausgebildet, die Wirtschaft ist in den letzten Jahren um jeweils fünf bis sieben Prozent gewachsen, womit Tansania zu den leistungsstärksten Volkswirtschaften in Subsahara-Afrika zählt. Die größer werdende Mittelschicht verändert das Land in einer nie zuvor da gewesenen Art und Weise. Wir werden überall auf ihre Vertreter treffen, ob als Manager von Kaffeefarmen und Hotels, als Gründer von Start-ups und Venture Capital Funds, als einflussreiche Bischöfe oder engagierte Museumsdirektoren. Durch die deutsche Kolonialgeschichte, während der Tansania sowie Burundi, Ruanda und Teile Mosambiks als Deutsch-Ostafrika bezeichnet...
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