Prolog
Jeder Ozean fordert seinen Tribut an Schiffen und Mannschaften, doch kein Meer verschlingt sie mit solch unersättlicher Gier wie der Pazifik. Die Meuterei auf der Bounty ereignete sich auf dem Pazifik; die Meuterer verbrannten das Schiff später vor der Insel Pitcairn. Die Essex, das einzige Schiff, von dem man sicher weiß, dass es von einem Wal versenkt wurde (Melville fand hier das Thema zu seinem Roman Moby Dick), liegt begraben unter den Wogen des Pazifiks. Ebenso die Hai Maru, die in tausend Stücke zerrissen wurde, als unter ihr in der Tiefe der See ein Vulkan explodierte.
Trotz alledem ist das größte Meer der Welt im Grunde ein ruhiges Gewässer. Selbst sein Name heißt es friedlich und von sanftem Temperament.
Vielleicht deshalb verschwendete Commander Felix Dupree auch nicht den leisesten Gedanken an die Möglichkeit einer Katastrophe, als er auf die Brücke des Atom-U-Bootes Starbuck stieg. Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Dupree nickte dem wachhabenden Offizier zu und beugte sich dann über die Reling. Sein Blick ging nach vorn zum Bug des Schiffes, der mit fast schon gemächlicher Mühelosigkeit die Meeresdünung durchbrach.
Seeleute betrachten gewöhnlich das Meer mit Respekt: Sogar Ehrfurcht befällt sie angesichts seiner Ruhe. Aber Dupree war nicht wie die anderen; er hatte sich nie von dem Zauber überwältigen lassen. Zwanzig Jahre fuhr er jetzt zur See, vierzehn davon hatte er auf Unterseebooten zugebracht - und immer noch quälte ihn der Hunger nach Anerkennung. Dabei war Dupree Captain des modernsten und revolutionärsten U-Bootes der Welt; doch das reichte ihm nicht. Er wollte mehr.
Die Starbuck war in San Francisco auf Kiel gelegt worden, aber kein Unterseeboot vor ihr war gebaut worden wie sie. Jedes Bauteil, jedes technische System in ihrem Druckkörper war von Computern entworfen worden. Sie war das erste einer neuen Generation von Unterwasserschiffen, die wie riesige, unter die Wogen verlegte Städte in sechshundert Meter Tiefe und mit einer Geschwindigkeit von einhundertfünfundzwanzig Knoten ihrem Kurs folgen konnte. In gewisser Hinsicht glich die Starbuck einem Vollblutfohlen, das auf seiner ersten Leistungsschau ungeduldig an seinem Zügel reißt, bereit zu zeigen, was es kann.
Doch es gab für die Starbuck kein Publikum. Das Amt für Unterwasserkriegführung hatte angeordnet, dass die Versuche unter strengster Geheimhaltung in einem abgelegenen Seegebiet des Pazifiks stattfinden sollten. Nicht ein einziges Begleitschiff war mit dem Unterseeboot ausgelaufen.
Dass Dupree das Kommando für diese Jungfernfahrt der Starbuck übertragen worden war, verdankte er seinem außergewöhnlichen Ruf. Das »Computerhirn« hatten ihn seine Klassenkameraden in Annapolis genannt: Füttere ihm ein Bündel Fakten ein, und er wird dir in kürzester Zeit die einzig logische Antwort geben. Duprees Kenntnisse und Fähigkeiten waren bei der ganzen U-Boot-Flotte bekannt, aber wer in der Navy die Karriereleiter hinaufwollte, brauchte neben fachlichem Können auch Persönlichkeit, Einfluss und ein Geschick für wirksame Auftritte in der Öffentlichkeit. Da Dupree keines dieser drei Merkmale auszeichnete, war er bei den letzten Beförderungen einfach vergessen worden.
Ein Summton zerriss die Stille. Der wachhabende Offizier, ein großer schwarzhaariger Lieutenant, nahm das Brückentelefon ab. Unsichtbar für den Anrufer am anderen Ende nickte er zweimal und legte dann wieder auf.
»Der Kontrollraum«, sagte er knapp zu Dupree. »Nach der Anzeige des Echolots ist der Meeresgrund während der letzten zehn Kilometer um vierhundertfünfzig Meter angestiegen.«
In Gedanken versunken, wandte sich Dupree langsam um. »Wahrscheinlich ein kleines Unterwassergebirge. Aber wir haben immer noch zwei Kilometer Wasser unter unserem Kiel.« Ein Lächeln zog auf sein Gesicht. »Auf Grund werden wir also nicht gleich laufen.«
Der Lieutenant lächelte zurück. »Es geht doch nichts über ein paar Handbreit Sicherheit.«
Dupree wandte sich wieder dem Wasser zu. Er hob ein Fernglas, das an einem Riemen um seinen Hals hing, an die Augen und beobachtete aufmerksam den Horizont. Während Tausender einsamer Stunden auf See, in denen er die Ozeane der Welt nach anderen Schiffen abgesucht hatte, war ihm diese Geste zur Gewohnheit geworden. Nichtsdestoweniger war sie vollkommen nutzlos. Das ausgeklügelte Radarsystem der Starbuck hätte jedes Objekt auf dem Meer lange entdeckt gehabt, bevor es mit bloßem Auge zu sehen gewesen wäre. Dupree wusste das natürlich, doch schien es ihm, als könne das stumme Beobachten des Meeres einem Mann die Seele reinigen.
Schließlich seufzte er und ließ das Fernglas sinken. »Ich gehe jetzt hinunter zum Abendessen. Sichern Sie nachher die Brücke, damit wir Punkt einundzwanzig Uhr mit dem Tauchmanöver beginnen können.«
Dupree stieg die drei Ebenen des Kommandoturms hinunter und ließ sich in den Kontrollraum fallen. Der Erste Offizier und ein zweiter Mann, der Navigationsoffizier, hatten sich tief über den Kartentisch gebeugt und studierten eine Reihe von Tiefenangaben. Als der Erste Offizier den Captain kommen hörte, sah er zu ihm auf.
»Wir haben hier ein paar merkwürdige Daten, Sir.«
»Nichts kann einen Tag schöner beenden als etwas Geheimnisvolles«, antwortete Dupree gut gelaunt.
Er schob sich zwischen die beiden Männer und sah hinunter auf die Karte, die von einer Lampe unter der Milchglasplatte des Tisches angestrahlt wurde. Eine Reihe von kurzen schwarzen Linien, an die mit hastiger Schrift Zahlen und mathematische Formeln geschrieben waren, überzog das Kartenblatt.
»Was gibt es denn?«, fragte Dupree.
»Der Meeresboden steigt noch immer mit erstaunlicher Geschwindigkeit an«, begann der Navigationsoffizier langsam. »Wenn das die nächsten fünfzig Kilometer so weitergeht, dann werden wir mit unserem Bug gegen eine Insel oder eine Inselkette stoßen, die es laut unserer Karte gar nicht geben dürfte.«
»Wie ist unsere Position?«
»Wir befinden uns hier, Sir«, antwortete der Navigationsoffizier und zeigte mit seinem Stift auf einen Punkt auf der Karte. »Eintausendvierhundert Kilometer von Kahuku Point auf Oahu entfernt.«
Dupree trat an den Gerätetisch und schaltete ein Mikrophon ein. »Radarraum, hier spricht der Captain. Gibt es bei Ihnen irgendetwas?«
»Nichts, Sir«, war eine monotone Stimme aus dem Lautsprecher zu hören. »Der Schirm ist frei . Warten Sie . Ich muss mich korrigieren, Sir. Ich sehe ein schwaches Zeichen in sechsundvierzig Kilometer Entfernung am Horizont, Sir.«
»Ein Schiff?«
»Nein, Sir. Es scheint mir eher eine Wolke zu sein; oder vielleicht auch eine Rauchfahne. Ich kann es noch nicht sicher erkennen.«
»In Ordnung. Melden Sie sich, wenn Sie wissen, was es ist.« Dupree schaltete das Mikrophon aus und sah die beiden Männer am Kartentisch an. »Nun, meine Herren, was halten Sie davon?«
Der Erste Offizier wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Wo Rauch ist, muss auch ein Feuer sein. Und wo Feuer ist, muss etwas brennen. Vielleicht eine Ölspur?«
»Eine Ölspur, wovon?«, fragte Dupree ungeduldig. »Wir sind fernab der nördlichen Schifffahrtswege. Die Handelsroute von San Francisco nach Honolulu und weiter nach Asien verläuft achthundert Kilometer weiter südlich. Wir befinden uns an einem der einsamsten Punkte des Pazifiks; gerade deshalb hat die Navy dieses Seegebiet für die ersten Tests mit der Starbuck ausgewählt. Hier gibt es mit Sicherheit keine neugierigen Zuschauer.« Er schüttelte den Kopf. »Eine brennende Ölspur kann es nicht sein. Da vermute ich schon eher, dass sich auf dem Meeresboden ein neuer Vulkan gebildet hat und ausgebrochen ist. Aber auch das ist eben nur eine Vermutung.«
Der Navigationsoffizier trug die Position, die von dem Radarbeobachter genannt worden war, auf der Karte ein und zeichnete einen Kreis um den Punkt. »Eine tiefe Wolke über der Wasseroberfläche.« Es schien, als dächte er laut nach. »Das ist mehr als ungewöhnlich. Die atmosphärischen Bedingungen für eine solche Erscheinung sind in diesem Seegebiet nicht gegeben.«
Aus dem Lautsprecher war ein Klicken zu hören. »Captain, hier ist der Radarraum.«
»Ich höre Sie«, antwortete Dupree.
»Ich habe das Radarbild identifiziert, Sir.« Die Stimme zögerte, bevor sie weitersprach. »Alles deutet darauf hin, dass es eine dichte Nebelbank ist, mit einem Durchmesser von annähernd sechs Kilometern.«
»Sind Sie sicher?«
»Darauf wette ich meine Ärmelstreifen.«
Dupree drückte einen Schalter an seinem Mikrophon und rief die Brücke an. »Hören Sie, Lieutenant, die Radarkontrolle glaubt, in ungefährer Richtung unseres Kurses etwas ausgemacht zu haben. Melden Sie sich, sobald Sie irgendetwas sehen.« Er unterbrach die Verbindung und wandte sich an den Ersten Offizier. »Wie tief liegt der Meeresboden jetzt?«
»Achthundertvierzig Meter, aber er steigt noch immer an.«
Der Navigationsoffizier zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Nacken ab. »Das ist kaum zu glauben. Bisher habe ich nur von einer Erhebung gehört, die dieser hier nahekommt; es ist die im Peru-Chile-Graben. Sie beginnt siebentausendfünfhundert Meter unter dem Meeresspiegel und steigt mit jedem Kilometer in horizontaler Richtung auch einen Kilometer. Bis heute galt das auf der ganzen Welt als die größte Hangneigung unter Wasser.«
»Dann wird unsere kleine Entdeckung die Meeresgeologen wohl...