Schweitzer Fachinformationen
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Outline ist ein so wagemutiger wie eleganter Roman über Liebe, Verlust, Erinnerung und den elementaren Drang, den anderen und sich selbst Geschichten zu erzählen.
Eine Schriftstellerin reist im Hochsommer nach Athen, um dort einen Schreibkurs zu geben. Während ihre eigenen Verhältnisse vorerst im Dunkeln bleiben, wird sie zur Zuhörerin einer Reihe von Lebensgeschichten und -beichten. Beginnend mit dem Sitznachbarn auf dem Hinflug, seinen Schilderungen von schnellen Booten und gescheiterten Ehen, erzählen ihre Bekanntschaften von Ängsten, Begierden, Versäumnissen und Lieblingstheorien. In der erstickenden Hitze und dem Lärm der Stadt erschaffen diese verschiedenen Stimmen ein komplexes Tableau menschlichen Lebens. Und dabei wird, zunächst in Umrissen, zugleich das Bild einer Frau - der Schriftstellerin - kenntlich, die zu lernen beginnt, einem einschneidenden Verlust zu begegnen.
I
Vor meinem Abflug war ich in einem Londoner Club zum Lunch mit einem Milliardär verabredet, der, wie man mir versichert hatte, eine liberale Haltung hegte. Er trug den Hemdkragen offen und sprach über eine neue Software, die er gerade entwickelte und die es Unternehmen ermöglichen sollte, Mitarbeiter zu ermitteln, die ihren Arbeitgeber in der Zukunft am ehesten bestehlen und betrügen würden. Eigentlich wollten wir über die Literaturzeitschrift sprechen, die er zu gründen beabsichtigte, doch leider musste ich mich verabschieden, bevor wir bei dem Thema angelangt waren. Er bestand darauf, mir die Taxifahrt zum Flughafen zu bezahlen, was mir entgegenkam. Ich war spät dran und hatte einen schweren Koffer dabei.
Der Milliardär erzählte mir bereitwillig aus seinem Leben, das völlig unverdächtig begonnen und ihn - offensichtlich - zu dem gelassenen und wohlhabenden Menschen gemacht hatte, der mir nun gegenübersaß. Ich fragte mich, ob er nicht vielleicht selbst schreiben wollte und die Literaturzeitschrift als Einstieg brauchte. Viele Menschen möchten Schriftsteller sein; er hatte keinen Grund zu glauben, dass sich der Status nicht erkaufen ließe. Dieser Mann war schon in unzählige Projekte eingestiegen und hatte sich sicherlich aus ebenso vielen wieder herausgekauft. Unter anderem verfolgte er den Plan, allen Menschen ein Leben ohne Anwälte zu ermöglichen. Außerdem hatte er einen auf dem Wasser treibenden Windpark entworfen, groß genug, um die gesamte Belegschaft zu beherbergen, die für Betrieb und Wartung nötig war; die gigantische Plattform ließe sich weit aufs Meer hinausschleppen, so dass die unansehnlichen Turbinen von jenem Küstenstreifen aus, vor dem das Pilotprojekt stattfinden sollte und wo er zufälligerweise ein Haus besaß, nicht mehr zu sehen wären. Sonntags spielte er Schlagzeug in einer Rockband, nur so zum Spaß. Er wurde demnächst zum elften Mal Vater, was weniger dramatisch war, als es klang, wenn man berücksichtigte, dass er und seine Frau vor einiger Zeit Vierlinge aus Guatemala adoptiert hatten. Ich hatte Schwierigkeiten, alles zu verarbeiten, was ich zu hören bekam. Die Kellnerinnen trugen immer neue Speisen auf - Austern, Dips, erlesene Weine. Er ließ sich leicht ablenken, wie ein Kind mit zu vielen Weihnachtsgeschenken. Aber als er mich ins Taxi setzte, sagte er, viel Spaß in Athen, dabei konnte ich mich nicht erinnern, ihm mein Reiseziel genannt zu haben.
Auf der Rollbahn in Heathrow wartete eine Flugzeugladung schweigender Menschen darauf, in die Luft gehoben zu werden. Ein Tonband lief, die Stewardess stand im Gang und führte eine Pantomime mit Requisiten auf. Wir saßen auf die Sitze geschnallt, ein Feld aus Fremden, schweigsam wie eine Kirchengemeinde während der Liturgie. Sie zeigte uns die Schwimmweste mit der kleinen Trillerpfeife, die Notausgänge, die Sauerstoffmaske am Ende des transparenten Plastikschlauchs. Sie führte uns die Möglichkeit von Tod und Verderben vor Augen, wie der Priester seiner Gemeinde in allen Details Fegefeuer und Hölle vor Augen führt; und niemand sprang auf und versuchte zu entkommen, solange es noch möglich war. Stattdessen hörten wir halbwegs aufmerksam zu und dachten dabei an etwas völlig anderes, gerade so, als hätte die rituelle Darstellung des drohenden Verderbens eine abhärtende Wirkung. Als die Tonbandstimme über die Sauerstoffmasken sprach, brach niemand das Schweigen; keiner protestierte oder lehnte sich gegen das Gebot auf, den anderen erst zu helfen, wenn man selbst versorgt war. Ich bezweifelte allerdings, dass das so stimmte.
Links von mir saß ein dunkelhäutiger Junge mit wippenden Knien, dessen dicke Daumen über die Tasten einer Spielkonsole huschten. Der Mann zu meiner Rechten trug einen hellen Leinenanzug, seine Haut war tief gebräunt und sein Federhaar silbergrau. Draußen drückte der schwüle, leblose Nachmittag auf die Startbahn; kleine Flughafenfahrzeuge rasten ungehindert über die weite Ebene, schlitterten, wendeten und zogen Kreise wie Spielzeugautos, und dahinter schlängelte sich der silbrige Faden der Autobahn durch die Landschaft, glitzernd und fließend wie ein von eintönigen Feldern gesäumter Bach. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung, rumpelte voran, die Aussicht begann zu tauen und zu verrutschen, zunächst langsam und dann immer schneller glitt sie an den Fenstern vorbei, und schließlich stellte sich das Gefühl des bemühten, halbherzigen Abhebens ein, als sich der Flieger vom Boden löste. Einen Moment lang schien unglaublich, dass es geschehen könnte, und dann geschah es doch.
Der Mann rechts von mir drehte den Kopf und fragte, warum ich nach Athen reise. Aus beruflichen Gründen, sagte ich.
»Hoffentlich wohnen Sie am Wasser«, sagte er. »In Athen ist es sehr heiß.«
Nein, erklärte ich, das sei leider nicht der Fall, worauf er die Augenbrauen in die Höhe zog, die silbergrau waren und unerwartet kraus und wild aus seiner Stirn herauswucherten, wie Grasbüschel aus einer steinigen Fläche. Dieses Merkmal allein hatte mich veranlasst, ihm überhaupt zu antworten. Manchmal ist das Unerwartete wie ein Ruck, den das Schicksal uns gibt.
»Dieses Jahr ist es schon früh heiß geworden«, sagte er. »Normalerweise geht es erst viel später los. Es kann in der Stadt sehr unangenehm werden, wenn man die Temperaturen nicht gewohnt ist.«
In der ruckelnden Kabine sprang mit einem Flackern die Beleuchtung an; Klappen wurden geöffnet und mit lautem Scheppern zugeschlagen, die Leute regten sich, fingen zu plaudern an, verließen ihre Plätze. Aus der Sprechanlage drang eine Männerstimme; es roch nach Kaffee und nach Essen; die Stewardessen stelzten zielstrebig durch den engen, mit Teppich ausgelegten Gang. Kam eine vorbei, hörte man ihre Feinstrumpfhose rascheln. Mein Sitznachbar erzählte mir, er fliege die Strecke ein- bis zweimal im Monat. Früher habe er eine Wohnung in London besessen, in Mayfair, »aber inzwischen«, sagte er mit nüchternem Zug um den Mund, »wohne ich lieber im Dorchester«.
Er drückte sich gewählt und förmlich aus, was ein wenig unnatürlich wirkte, als hätte man ihm seine Sprechweise sorgfältig, aber nachträglich angefügt, wie Farbe mit einem feinen Pinsel. Ich fragte ihn nach seiner Nationalität.
»Im Alter von acht Jahren wurde ich auf ein englisches Internat geschickt«, antwortete er. »Man könnte sagen, dass ich das Auftreten eines Engländers habe und das Herz eines Griechen. Angeblich«, fügte er hinzu, »wäre es andersherum viel schlimmer.«
Seine Eltern, fuhr er fort, stammten beide aus Griechenland. Vor langer Zeit hatten sie beschlossen, den gesamten Hausrat, sich, die vier Söhne, die Großeltern und eine Auswahl von Onkeln und Tanten nach London umzusiedeln. Dort hatten sie sich den Habitus der englischen Oberschicht angeeignet, die vier Söhne aufs Internat geschickt und ein Haus eingerichtet, das ein beliebter Treffpunkt zur gesellschaftlichen Kontaktanbahnung wurde; unaufhörlich strömten Adelige, Politiker und Geschäftsleute über die Schwelle. Ich wollte wissen, wie sie in einem fremden Land so erfolgreich Anschluss finden konnten, doch er zuckte nur die Achseln.
»Das Geld ist ein eigenes Land«, sagte er. »Meine Eltern waren Reeder; sie hatten Schiffe auf der ganzen Welt, auch wenn wir bis zum Umzug auf derselben winzigen Insel lebten, auf der beide zur Welt gekommen waren. Von der Insel haben Sie bestimmt nie gehört, trotz ihrer unvermittelten Nähe zu einigen bekannten Touristenattraktionen.«
Der unmittelbaren, sagte ich. Sicher meinten Sie die unmittelbare Nähe.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte er. »Ja, natürlich meinte ich >unmittelbar<.«
Wie alle reichen Leute, fuhr er fort, waren seine Eltern ihrer Herkunft entwachsen und verkehrten bald in jener grenzenlosen Sphäre, zu der nur die wichtigen und wohlhabenden Menschen Zugang haben. Sie behielten natürlich ein prächtiges Haus auf der Insel, in dem sie wohnten, solange die Kinder noch klein waren; als es an der Zeit war, die Jungen einzuschulen, zog die Familie nach England um, wohin sie gute Kontakte pflegte, einige davon, fügte er ziemlich stolz hinzu, reichten sogar bis in das Umfeld des Buckingham Palace.
Die Familie war immer die bedeutendste auf der Insel gewesen; die Heirat der Eltern vereinte zwei regionale Adelshäuser und konsolidierte darüber hinaus das Vermögen zweier Reedereien. Die kulturellen Gegebenheiten waren ungewöhnlich, weil auf der Insel das Matriarchat regierte. Besitz wurde nicht vom Vater an den Sohn, sondern von der Mutter an die Tochter vererbt. Das, erklärte mein Sitznachbar, habe zu Spannungen innerhalb der Familie geführt und erst nach dem Umzug nach England seine angenehme Kehrseite gezeigt. In der Welt seiner Kindheit galt ein Sohn als Enttäuschung; er selbst, die letzte in einer langen Reihe von Enttäuschungen, wurde mit einer besonderen Zwiespältigkeit behandelt, denn seine Mutter wollte sich einreden, er wäre ein Mädchen. Seine langen Locken wurden nicht geschnitten, er wurde in Kleider gesteckt und bei dem Mädchennamen gerufen, den seine Eltern für die langersehnte Erbin ausgewählt hatten. Diese ungewöhnliche Situation, erklärte mein Nachbar, verdankte sich uralter Gründe. Immer schon war das Schwammtauchen der wichtigste Wirtschaftszweig der Insel gewesen. Die jungen Männer waren versierte Taucher, die weit draußen vor der Küste arbeiteten. Doch der Beruf war gefährlich, die Lebenserwartung ungewöhnlich niedrig. So hatten die Frauen, nachdem unzählige Männer den Tod gefunden hatten, das Regiment über alle Finanzangelegenheiten übernommen, mehr noch, sie gaben es an ihre Töchter weiter.
»Es ist schwierig«, sagte er, »sich die Welt meiner Eltern in ihrer...
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