Schweitzer Fachinformationen
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Ein Haustier regt zum Denken an
Una stieß die Glastür im fünften Stock auf, die in die Räumlichkeiten der Katapult Insurance führte, und wurde von einem grässlichen Geruch und lauten Rufen empfangen. Offenbar hielt das Desktop-Support-Team mal wieder ein gemeinsames Frühstück ab. Der Montag sollte eigentlich ein ruhiger, nach Desinfektionsmittel duftender Tag sein. Doch dann erblickte sie Rachida, die statt ihrer Mulberry-Handtasche einen flauschigen Hund unter dem Arm trug. Heute fand das beliebteste gesellschaftliche Ereignis der Abteilung für Haustierversicherungen statt: der Bring-dein-Tier-zur-Arbeit-mit-Tag.
»Hallo, Una!« Rachida winkte ihr mit der Pfote ihres Hunds zu.
»Hallo.« Una hob die Hand, um zurückzuwinken, stockte jedoch. Sie hielt nichts davon, es allen Menschen recht zu machen, und hatte nicht vor, mit Tieren anders zu verfahren.
Rachida strahlte. »Das ist Mr Ritzbits. Er genießt seinen Tag im Büro, nicht wahr?«
Una schaute in die leuchtenden braunen Augen von Mr Ritzbits. Sein Blick zeugte von Existenzangst, er wusste nicht, warum er irgendwo und vor allem hier sein sollte, ohne Ausweg und Fluchtmöglichkeit. Diesen Blick hatte sie schon oft bei Berufseinsteigern im zweiten Jahr gesehen.
»Schön, dich kennenzulernen«, sagte Una.
Mr Ritzbits vergaß kurz seine Angst und streckte die Zunge raus.
»Wo ist dein Haustier?«, fragte Rachida so misstrauisch, wie man es von einem Mitglied der Abteilung für Regulatory Affairs erwarten würde.
Una spannte sich an. »Ich hab kein Haustier. Ich bin nicht so der Tier-Typ. Ich meine . gleicht es nicht ein bisschen dem Stockholm-Syndrom, sich ein Tier zu halten, bis es einen mag?«
»Wir zwei gehen besser mal weiter«, antwortete Rachida. »Mr Ritzbits ist sehr gesellig.«
Una steckte sich die Hosenbeine in die Socken, hielt auf dem Boden nach lauernden Raubtieren Ausschau und schlich auf Zehenspitzen zu ihrer Tischreihe. Patti, die ihr kürzlich zugewiesene Uni-Absolventin, saß nicht an ihrem Schreibtisch, war jedoch schon im Büro. Das verriet das Proteinbällchen auf ihrer Tastatur, das pflichtbewusst Newtons Trägheitsgesetz befolgt hatte. Una vergewisserte sich, dass keine dringenden E-Mails eingegangen waren, und machte sich dann auf den Weg zu Gareths Büro. Er hatte nicht auf ihre Mail reagiert, in der sie sich nach möglichen Forschungsprojekten erkundigt hatte, durch die sie sich in ihrer neuen Abteilung würde etablieren können.
Sie blieb am Drucker stehen - der sogar Farbdrucke ausgab, sofern man sich bei Gareths Assistentin Trish hinreichend eingeschmeichelt hatte (was auf Una nicht zutraf). Auf das Gerät gestützt, gefährlich nahe am Tastenfeld, stand der neoliberale Tim.
Una ballte die Fäuste, sodass sich ihre Fingernägel in die Handflächen pressten. »Tim! Was machst du denn hier unten?«
Tim schimmerte seltsam. Erzeugte das Schottenmuster seiner Jacke diesen Effekt? Und er schaute finster drein. »Es gibt eine neue Säule auf der Management-Scorecard. Wir sollen nun alle abteilungsübergreifender arbeiten, daher bin ich hier, als Vertreter der Abteilung für Lebensversicherungen. Das erledige ich künftig immer montagmorgens, dann kann ich für den Rest der Woche die Zugbrücke hochziehen und in meinem Lehnsgut bleiben.«
»Verstehe. Du bist also nicht hier, um Gareth zu sehen?«
Tim richtete sich abrupt auf, als Una ihren derzeitigen Manager und seinen früheren Lebenspartner erwähnte. »Ganz und gar nicht. Wir haben jetzt ein rein berufliches Verhältnis.«
»Aber du hast nicht mal ein Haustier.«
Tim strahlte. »Hab ich wohl, Una. Gestatte mir, dir Sammy das Chamäleon vorzustellen.«
Erneut schimmerte Tim, und Una bemerkte die vagen Umrisse von Sammy auf seiner Jacke. Sie nickte. »Beeindruckend, aber eine Jacke mit Schottenmuster . Ist das nicht richtig grausam?«
»Blödsinn.« Tim setzte erneut eine finstere Miene auf. Dann wurden seine Züge weicher. »Verrat es keinem, aber Chamäleons können ihre Farbe nicht so leicht wechseln. Daher habe ich diese hässliche Jacke gekauft, die besser zu Sammy passt.«
»Und wie läuft's bei euch oben sonst so?« Una fühlte sich nach wie vor mit ihrer alten Abteilung verbunden. Sie hatte erst vor ein paar Wochen ihre neue Stelle im Team für Haustierversicherungen angetreten. Allein der Umzug eine Etage tiefer hatte ihr eine völlig neue Firmenkultur offenbart.
Tim zuckte mit den Schultern. »So wie immer, Una. Ich könnte behaupten, es ist jetzt nur anders, aber wir wissen beide, dass es schlicht besser ist.«
Gareth gesellte sich zu ihnen, zu seinen Füßen hüpfte ein kleiner Hund. »Hey, Leute! Siehst gut aus, Tim. Interessante Jacke.«
Tim verschränkte die Arme, woraufhin sich auf seiner Brust etwas regte und die Farbe wechselte. »Das ist Sammy. Das Chamäleon.«
Gareth nickte lächelnd. »Das Chamäleon versucht wenigstens, sich seiner Umgebung anzupassen.«
»Ich glaube, wir von der Lebensversicherung fallen eben auf«, sagte Tim. »Ich wollte mich nur blicken lassen, um zu zeigen, dass ich mitmache.«
»Das weiß ich zu schätzen.« Gareth hob den Hund hoch, und das Tier sah Una mit zur Seite geneigtem Kopf an.
Am liebsten hätte auch sie den Kopf zur Seite geneigt, aber oh nein, auf keinen Fall.
»Also, Una, du wolltest wegen eines neuen Projekts zu mir kommen, stimmt's?«
Es widerstrebte Una, vor Tim über das Thema zu sprechen. Er würde das Forschungspotenzial, das es im Hinblick auf Haustierversicherungen gab, nicht mit dem gebotenen Ernst behandeln.
Tim grinste. »Müssen wir den Schadenfreiheitsrabatt für Wüstenrennmäuse überprüfen?«
»Vielleicht können wir ein andermal darüber reden, Gareth?«, schlug Una vor.
Ihr Manager hob die Hand. »Nicht nötig. Ich dachte nur . du und Tim, ihr wart bei dem Projekt in Eastbourne ein großartiges Team. Ihr habt sowohl die Grenzen der versicherungsmathematischen Forschung erweitert als auch einen gefährlichen Serienmörder gefasst. Ihr solltet gemeinsam an einem Forschungsprojekt arbeiten, das euren beiden Abteilungen zugutekommt. Das wäre großartig für alle. Eine Win-win-Situation.«
Tim runzelte die Stirn. »Ich wüsste nicht, wie das ein Gewinn für mich sein sollte, Gareth. Ich bin für meinen Innovationsgeist bekannt. Was in aller Welt soll innovativ daran sein, einen Wellensittich zu versichern?«
»Und ich wollte dich eigentlich darum bitten, mir die Gelegenheit zu geben, mein Engagement zu beweisen«, sagte Una und fügte hinzu: »Ich würde gern zeigen, dass ich eine gute Teamplayerin bin.«
Gareth nickte teilnahmslos. Die Sticheleien perlten vom Panzer des erfahrenen Managers ab. »Großartig - das wäre also abgemacht. Ihr findet sicher ein Projekt, das euch beiden passt.«
Seine hartgesottene Freundlichkeit brach Unas Widerstand ein wenig. »Ich denke darüber nach, Gareth. Ich kann Patti fragen. Sie ist gut darin, neue Ideen zu entwickeln.«
»Super-duper«, erwiderte Gareth. »Lasst uns das ganze Potenzial unseres Teams nutzen. Tim?«
»Nur wenn der Vorschlag, der mir unterbreitet wird, gut genug ist.« Tim wippte auf den Fersen auf und ab. »Aber falls das Projekt dir - ich meine, deiner Abteilung - hilft, ziehe ich es zumindest in Betracht.«
»Das ist also ein Ja. Wir sprechen uns dann Ende des Monats wieder.« Gareth streichelte den Hund. »Das ist übrigens Thimble. Ich hab sie erst seit drei Wochen, aber wir sind bereits Seelenverwandte.«
Tim zog die Stirn kraus. »Du hast nie erwähnt, dass du einen Hund willst.«
»Dinge ändern sich, Menschen auch«, konterte Gareth. »Und jetzt, Thimble, besorgen wir dir ein bisschen Wasser. Bis dann, Leute!«
Gareth schlenderte davon, Thimble folgte ihm dichtauf.
»Ich bin im Moment ziemlich beschäftigt«, sagte Tim. »Ich muss ein großes Team leiten, also müsste dieses Projekt schon was ganz Besonderes sein, um überhaupt Tim-Zeit zu bekommen.«
Una sträubte sich innerlich. »Tja, ich habe auch sehr viel zu tun, lasse dich aber wissen, wenn mir etwas einfällt, das deine Aufmerksamkeit verdient.«
Tim senkte die Stimme. »Wie läuft's mit der Führung deiner Absolventin? Ein oder zwei jüngere Mitarbeiter in meinem Team benehmen sich, als wären sie bei The Apprentice. Sie spielen sich auf und kritisieren meinen Führungsstil, obwohl sie noch gar keine Ahnung haben. Ganz schön anstrengend.«
»Also, Patti ist nicht so. Ich mach mich mal besser wieder an die Arbeit.«
Una brühte sich einen Kaffee auf und kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Die Wahrheit war: Sie hatte mit der Mitarbeiterführung zu kämpfen. Früher war sie ihren Vorgesetzten gegenüber immer voreingenommen gewesen, und jetzt, da sie selbst in leitender Position tätig war, erkannte sie, dass kein Vorgesetzter je wusste, was er tat - sie selbst wusste es ganz bestimmt nicht. Una hatte ein paar Seminare belegt, doch das bestärkte sie nur in ihrer Überzeugung, dass Führungsstärke nur wenigen von Natur aus gegeben war. Alle anderen litten ständig unter dem Hochstaplersyndrom. Ab und zu verdrängten kleine Erfolge Unas Unbehagen, wenn sie ein Verfahren erläutern oder einen Fehler erklären konnte, den sie selbst schon mal begangen hatte.
Zehn Minuten später erschien Patti an ihrem Schreibtisch, einen großen wiederverwendbaren Kaffeebecher mit Firmenlogo in der Hand. Sie trug mal wieder ein neues Outfit, vermutlich von der Online-Plattform für hochwertige recycelte...
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