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Carrie
Zurückkehren.
Ein Wort. Zwölf Buchstaben. Unendlich viele Gefühle. Unendlich viele Möglichkeiten.
Heute war es so weit, heute kehrte ich zurück. In eine Stadt, nach der ich mich schon so lange gesehnt hatte. Als ich meinen Fuß auf den Boden des Flughafens stellte, fühlte es sich beinahe so an, wie nach Hause zu kommen.
Für den Bruchteil einer Sekunde schloss ich die Augen, erlaubte mir, den Geruch der Stadt tief einzuatmen, erlaubte mir zurückzukehren.
Als ich die Lider wieder öffnete und sich die Sonne langsam in den Himmel kämpfte, lächelte ich. Es war, als wäre ich nie fort gewesen.
Ich kämpfte mich durch die Menschenmenge und lief zum Rollband, um meine Koffer zu holen. Zwei Koffer. Das war alles. Mein gesamtes Hab und Gut hatte ich in diese zwei Koffer gequetscht. War es nicht erstaunlich, wie wenig man wirklich brauchte?
Ich sah meinen Namen bereits, da hatte ich die Ankunftshalle noch nicht einmal verlassen. In weißen großen Lettern war er auf schwarze Pappe gedruckt. Mir entglitt ein Seufzen. Wäre das denn nicht auch diskreter gegangen?
Eilig zog ich meine große Sonnenbrille aus dem Etui und ließ sie mir unauffällig ins Gesicht gleiten. Ich gab dem Chauffeur ein schnelles Zeichen, bevor ich die restlichen Meter zwischen uns überbrückte.
»Hallo.« Ich schenkte ihm ein knappes Lächeln.
»Willkommen in Seattle, Ms. Abernathy. Wir freuen uns wie verrückt, Sie hier begrüßen zu dürfen«, erklärte er mit brummiger Stimme.
Kurz starrte ich auf meinen Koffer, dann sah ich auf und konnte nicht anders, als zu lächeln. Diesmal aufrichtig. »Danke«, sagte ich, wobei mein Blick über die feingliedrige Uhr an meinem Handgelenk flog. »Wir müssen los!«, verkündete ich, bevor ich mir meine übergroße Strickjacke vor dem Körper zusammenzog und in Richtung Ausgang davoneilte. Schnellen Schrittes durchlief ich die große Halle, dabei ließ ich den Blick stetig herumschweifen. Ich hasste es, wenn ich nicht wusste, wo sich die Reporter versteckten.
»Kommen Sie, hier entlang!«
Japsend eilte der Chauffeur an mir vorbei in Richtung Schiebetür. Erst jetzt fiel mir auf, wie klein er war. Seine Beine waren kurz, und wenn ich einen großen Schritt machte, machte er drei kleine. Kein Wunder, dass er nach nur wenigen Metern aus der Puste war. Wir hatten die Glasfronten kaum passiert, da blitzte es bereits. Automatisch hob ich die Hand - als würde das irgendetwas bringen -, bevor ich ihm folgte.
Fragen prasselten auf mich ein wie die Tropfen eines heftigen Regenschauers.
»Wie lange bleiben Sie in Seattle?«
»Was ist der Grund, dass Sie wieder hier sind?«
»Nehmen Sie an dem Kunstprojekt von Fernando teil?«
Kommentarlos lief ich an den Journalisten vorbei, dann schwang ich mich in den schwarzen Chevrolet und zog, so schnell ich konnte, die Tür hinter mir zu. Sofort umhüllte mich der vertraut herbe Geruch von Leder. Ich sog ihn tief ein.
»Die sind ja wie die Geier!«, bemerkte der Chauffeur, als er sich hinters Lenkrad schob.
Einen Moment betrachtete ich die kahle Stelle auf seinem Hinterkopf, bevor ich beschloss, dass ich ihn Louis nennen würde. Mit seinem rundlichen Körperbau und den kurzen Beinen erinnerte er mich irgendwie an den Louis aus meiner früheren Nachbarschaft. Louis hatte Croissants und Schokolade geliebt, und wenn wir »Fange mich!« gespielt hatten, hatte er ebenso kleine Schritte gemacht wie der Mann, der nun dort hinterm Steuer saß. Ich lächelte.
Als er den Motor startete, wandte ich den Blick ab, legte meinen Kopf an die Lehne und schloss die Augen.
»Sind Sie das erste Mal in Seattle?«
»Nein. Es ist bereits mein zweites Mal.«
Ich blickte auf meine Tasche, in der mein Skizzenbuch schlummerte. Seit drei Jahren hatte ich es nicht mehr angerührt, und trotzdem trug ich es täglich mit mir herum. In einem früheren Leben hatte ich jeden Tag etwas hineingezeichnet und kurz meine Gedanken notiert - es war nicht einfach nur ein Skizzenbuch, sondern eher ein Tagebuch.
»Dann kennen Sie die Stadt ja schon. Umso besser. Sonst hätte ich mich jetzt schon einmal für den Verkehr entschuldigt.«
Mir entglitt ein Lachen. »Nein, nein. Den bin ich gewöhnt.« Mehr oder weniger.
»Und was erwartet Sie diesmal hier? Eine Ausstellung Ihrer neuen Bilder oder .?«
Während der Flughafen hinter uns verblasste und die Sonne immer weiter aufstieg, ließ ich mir seine Frage für einen Augenblick durch den Kopf gehen. Was erwartete mich?
Eine Ausstellung meiner neusten Werke?
Zweifellos.
Neue Inspiration?
Die Zusammenarbeit mit einigen der besten amerikanischen Künstler?
Doch was erwartete mich wirklich hier? Ich biss mir auf die Unterlippe.
Ungewissheit, das war es, was mich erwartete. Als ich vor einigen Monaten das Angebot meines Agenten erhielt, sah ich ganz klar vor mir, was auf mich zukommen würde. Doch als ich heute den Fuß aus dem Flugzeug gesetzt hatte, war diese Klarheit gemeinsam mit meinem alten Leben in den Hintergrund gerückt und etwas anderem gewichen . Ungewissheit. Ich wusste zwar, was ich hier zu tun haben würde, was meine Aufgaben waren, doch eine wirkliche Ahnung von dem, was mich hier erwartete, hatte ich nicht. Wie konnte ich auch?
In Wahrheit hatten wir doch alle einen groben Plan, eine skizzierte Idee, an der wir tausendfach herumradierten, bis wir irgendwann nach einiger Zeit ein fertiges Bild hatten.
Meine Rückkehr war ein völlig neues Kunstwerk. Und obwohl ich die Umrisse bereits gezeichnet hatte, hatte ich in Wahrheit nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, welche Farben das Bild letztendlich mit Leben erfüllen würden. Ich wusste auch nicht, welche Pinselführung es werden, geschweige denn, ob ich Öl- oder Acrylfarbe verwenden würde. Im Grunde genommen hatte ich nichts als eine grobe Skizze. Der Rest würde von allein kommen. Und ich würde auch nicht versuchen, das Bild jetzt schon im Ganzen betrachten zu wollen, denn wenn ich etwas gelernt hatte, dann dass es mindestens genauso gefährlich war, in der Zukunft zu leben wie in der Vergangenheit. Das Einzige, was uns Sicherheit versprach, war die Gegenwart.
»Ja, eine Ausstellung«, sagte ich.
»Wundervoll. Ich muss gestehen, ich habe nur wenige Ihrer Kunstwerke gesehen, aber das, was ich gesehen habe, war wirklich toll!« Er hatte wahrscheinlich das Bild gesehen, das alle kannten, jenes Bild, das mich berühmt gemacht hatte. »Danke sehr.« Beiläufig zog ich das Handy aus der Tasche und schickte meiner Mutter eine schnelle SMS, dass ich gut angekommen war.
»Langen Flug gehabt, was?«
Automatisch schob ich mir die Brille bis auf die Nasenwurzel hoch, ehe ich langsam nickte. »Das können Sie laut sagen. Langer Flug und fiese Kopfschmerzen.« Ich fing seinen Blick im Rückspiegel auf, sah jedoch sofort weg.
»Kopfschmerzen sind wirklich entsetzlich. Ich hoffe, Sie haben eine Tablette genommen!« Er warf mir einen fragenden Blick zu.
»Ich bin nicht der größte Fan von Tabletten, wissen Sie. Zudem kriege ich während des Flugs immer Kopfschmerzen. Ein Flug ohne wäre quasi nicht dasselbe.« Ich lachte.
»Und Sie sind sicher, dass ich Sie direkt in die Galerie und nicht erst mal ins Hotel bringen soll?«
Das Angebot eines weichen Betts inklusive Zimmerservice klang verlockend, doch ich wusste, dass mein Boss alles andere als begeistert wäre, wenn ich ein Bett unserem Gespräch vorziehen würde. »Geht schon. Ich trinke einfach mein Wasser.« Ich wedelte mit der Flasche herum und versuchte mich in einem überzeugenden Gesichtsausdruck. »Und dann bin ich wieder fit.« Erneut fing ich seinen Blick im Rückspiegel auf, diesmal sah ich nicht weg.
»Na, wenn Sie das sagen«, meinte er zweifelnd.
Der Rest der Fahrt verlief schweigsam, und es gelang mir sogar, für einige Minuten zu dösen.
Als wir zum Stehen kamen, stand die Sonne schon fast im Zenit.
»Stadtverkehr in Seattle«, murmelte ich leise, bevor ich aus dem Wagen stieg. Louis tat es mir gleich und kam vor mir zum Stehen.
»Ich hole Sie gegen drei Uhr nachmittags wieder ab. Brauchen Sie etwas aus Ihren Koffern?« Einen Augenblick sah ich in Richtung Kofferraum, schüttelte dann jedoch entschieden den Kopf.
»Nein, danke. Bis später!« Er streckte mir noch seine Visitenkarte entgegen, salutierte, was mir erneut ein Lächeln entlockte, dann setzte er sich zurück in den Wagen und fuhr davon.
Die Galerie hatte ihren Sitz im Herzen Seattles - Capitol Hill. Umgeben von schicken Boutiquen und angesehenen Bars hatte sie die perfekte Lage, um unterschiedlichstes Publikum anzulocken.
Sie befand sich in einem sanierten Industriegebäude aus rotem Backstein. Die Fassade des Erdgeschosses hatte man beinahe komplett verglast und mit breiten schwarzen Rahmen verkleidet. Die massive Holztür war ebenso dunkel wie der Rahmen selbst und war von zwei verzierten Säulen eingekesselt. Es wirkte modern und doch irgendwie nicht aus dieser Zeit. Einige stumme Sekunden ließ ich das Bild auf mich wirken, dann hob ich den Blick an und entdeckte die weißen Lettern, die feinsäuberlich über der Tür angebracht waren. Auch vor drei Jahren hatten sie schon dort geprangt.
Dumónt Kunstgalerie
Die Erinnerungen, die mich in diesem Moment durchflutete, machte mich sprachlos. Es war, als hätte ich eine Zeitreise gemacht. Eilig griff ich in meine Jackentasche und steckte mir eine Zigarette an.
Den ersten Zug inhalierte ich zu stark und hustete. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, lehnte ich mich gegen eine der beiden Säulen, während ich Seattle auf mich...
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