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Cooper Bradshaw rümpfte angewidert die Nase und angelte die kleine Dose mit Mentholcreme aus der Tasche, die er immer mit sich herumschleppte. Beinahe neidisch warf er seinem Partner einen Seitenblick zu, den die durchdringende Geruchsmischung von Desinfektionsmitteln und sich langsam zersetzenden menschlichen Körpern anscheinend nicht zu stören schien. Der unangenehmste Gestank stammte eindeutig von den drei abgedeckten Leichen auf den im Gang abgestellten Rollbahren. Offenbar waren sie erst vor kurzem eingeliefert und deswegen noch nicht in den Kühlboxen verstaut worden.
Cooper war im Grunde gerne Polizist; er liebte es, die Rätsel zu lösen, die ihm ein Mordfall stellte. Was er jedoch an seinem Beruf absolut und aus tiefster Seele hasste, das waren die obligatorischen Besuche im Leichenschauhaus.
Während er sich unter jedes Nasenloch etwas Mentholsalbe rieb und dabei das Gesicht verzog, konnte er sich ein »Wie halten die das hier nur auf Dauer aus?« nicht verkneifen. Rick Valdez gab sich nicht die geringste Mühe, das Grinsen zu kaschieren, das sich auf seinem markanten Gesicht ausbreitete.
»Tja, mein Lieber, wenn du weiter bei Dr. Purcell baggern willst, wirst du dich wohl endgültig an dieses Aroma gewöhnen müssen. Oder du lebst künftig mit Duftstäbchen in der Nase. Es sei denn, du wartest, bis du sie an einem Tatort triffst, oder passt sie immer erst draußen auf dem Parkplatz ab. Aber vielleicht hast du ja auch Glück, und sie ist ohnehin nicht interessiert.«
Als er Coopers beinahe gekränkten Gesichtsausdruck sah, konnte Rick ein leises Lachen nicht unterdrücken, obwohl der Ort wahrlich nicht zum Lachen einlud. Daher wurde Rick auch sofort wieder ernst, als sie die Tür zum Autopsieraum aufstießen. Dr. Elli Purcell, eingehüllt in ihren grünen OP-Kittel, eine Schutzbrille über den großen grauen Augen, ihre schwarzen Haare unter einem zum Kittel passenden Häubchen versteckt und die Hände in den üblichen Latexhandschuhen, blickte ihnen ungeduldig entgegen und winkte sie an den Tisch.
»Da sind Sie ja endlich, Gentlemen. Wenn Sie gestatten, fange ich gleich an.«
Rick und Cooper nickten nur und stellten sich an die andere Seite des Edelstahltisches, auf dem die Überreste ihres Mordopfers lagen. Beide warfen erstmals einen Blick auf die wenigen Stellen unversehrter Haut, die nach dem Waschen der Leiche sichtbar geworden waren. Rick verhielt sich ruhig, obwohl er sich bei dem entsetzlichen Anblick mehr als unbehaglich fühlte. Cooper gab natürlich wieder einmal seinen ganz persönlichen Kommentar ab, mit dem er sich wahrscheinlich eher selbst ablenken wollte. »Wie haben Sie denn das ganze Blut runtergekriegt?«
Dr. Purcells Augenbrauen schossen steil nach oben. Ihre Augen unter der Brille fixierten Cooper mit der Intensität eines Anglers, der einen besonders fetten Wurm im Misthaufen seines Gartens entdeckt hat. Sie schnaubte.
»Wir haben ihn für eine Weile unter der Dusche eingeweicht und danach kräftig mit Scheuersand abgeschrubbt. Was denn sonst?«
Cooper lief bei ihrer ironischen Bemerkung rot an und trat verlegen von einem Bein aufs andere. Doch Rick hatte das Gefühl, dass er zumindest für den Moment keinen Gedanken daran verschwendete, wo er sich befand. Insofern war Rick der Pathologin für ihren beißenden Sarkasmus fast dankbar.
Nach Möglichkeit drückte sich Cooper, auch nur einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen, was ihm von einigen Kollegen schon entsprechende Kommentare eingebracht hatte. Dabei waren die Bezeichnung »Weichei« und die Aussage »Vielleicht solltest du dich als Trüffelschwein bewerben, bei deiner feinen Nase« noch das Harmloseste. Cops gingen eben miteinander nicht unbedingt sanft um, wenn sie erst einmal eine Schwäche bei einem der ihren entdeckt hatten.
Während Cooper noch mit seinem Blutfluss in Richtung Norden kämpfte, hatte Elli Purcell bereits mit der äußeren Bestandsaufnahme begonnen. Ihre Stimme klang etwas dumpf in dem großen Raum, als sie ihre ersten Eindrücke in das Mikrofon diktierte, das über dem Tisch von der Decke baumelte. Zuerst nannte sie das Datum und die Uhrzeit, dann ihren Namen; schließlich kam sie zum Wesentlichen.
»Der Leichnam ist von weißer Hautfarbe, männlich, Größe 1,77 m, Gewicht 81 kg. Todeszeitpunkt laut histologischer Analyse zwischen 22.00 und 0.00 Uhr am Dienstag, also vor etwa 36 bis 38 Stunden. Die Haut ist großflächig durch tiefe Einstiche verletzt, teilweise aufgerissen und weist großflächige Hämatome auf.«
Sie betastete den zerschmetterten Schädel des Toten.
»Das Schädeldach ist längs der Kranznaht von Stirnbein bis Hinterhauptsbein stückig gebrochen. Beide Scheitelbeine sind glatt gebrochen. Das Gehirn liegt größtenteils frei, enthält Knochenfragmente und ist - wahrscheinlich durch die auf den Schädelknochen ausgeübten schweren Schläge - großflächig zerstört. Nasenbein und rechtes Jochbein gebrochen. Oberkieferknochen stückig gebrochen, Unterkiefer gebrochen, nur noch fragmentös vorhanden. Zahnreihen unvollständig.«
Elli Purcell schaltete das Aufnahmegerät kurz ab und warf den beiden Detectives auf der anderen Seite des Tisches einen kurzen Blick zu. »Tja, hoffen wir, dass wir seine Fingerabdrücke verwenden können; mit den Zähnen wird das auf alle Fälle ein kompliziertes Puzzlespiel.«
Cooper Bradshaw kaschierte ein leichtes Würgen mit einem unterdrückten Husten und drehte sich kurz zu dem fleckenlosen Edelstahlwaschbecken um, bevor er seine Beherrschung zurückgewann.
Falls die Pathologin Coopers Empfindsamkeit registrierte, ließ sie es jedenfalls nicht erkennen. Sie wandte sich ohne Kommentar wieder ihrer Aufgabe zu, winkte ihren Assistenten heran und bedeutete ihm, den Toten auf die Seite zu drehen. Vorsichtig schob sie ihre Hand unter den Nackenbereich und tastete dann weiter nach unten.
»Die Schädelbasis ist ebenfalls zertrümmert. Der Wirbelkanal ist zerstört. Die Halswirbel eins bis fünf sind gebrochen. Die restliche Wirbelsäule ist augenscheinlich intakt. Hämatome großflächig über den gesamten Bereich verteilt. Hier keine Einstichwunden.« Sie gab ihrem Assistenten ein Zeichen, und er legte den Körper wieder zurück in seine Ausgangsposition.
Rick warf einen Seitenblick auf seinen Partner, der merkwürdig durch die Nase schnaufte und ziemlich grün im Gesicht war. Insgeheim war Rick froh, dass er sich etwas mehr unter Kontrolle hatte, dabei ging es ihm nicht viel besser als seinem Freund. Am liebsten wäre er aus diesem klinisch reinen, weiß gekachelten Raum geflüchtet.
Elli Purcell beendete währenddessen ihre äußere Bestandsaufnahme. Als sie schließlich den obligatorischen Ypsilon-Schnitt ansetzte, gab sie damit paradoxerweise dem völlig entstellten Körper fast eine gewisse Normalität zurück, denn dieser Schnitt war etwas Gewöhnliches, Alltägliches bei der Autopsie eines Toten und milderte den grausamen Eindruck der stark zerstörten Hautpartien irgendwie ab.
Nach gut zwei Stunden hatte die Pathologin ihre Obduktion abgeschlossen. Sowohl Rick als auch Cooper hatten noch nie einer derart langen Leichenschau beigewohnt. Beiden war mittlerweile mehr als mulmig zumute. Elli Purcell trat von der Leiche zurück und befreite ihre Hände aus den dünnen Gummihandschuhen. Gemeinsam mit der Schutzbrille ließ sie sie auf einen hinter ihr stehenden Rollwagen fallen und lehnte sich dann mit der Hüfte gegen den Untersuchungstisch.
»Also gut, meine Herren, hier die Ergebnisse der unabhängigen Jury in allgemein verständlichen Worten: Der arme Kerl hat kaum noch einen intakten Knochen im Leib. Die Todesursache ist leider nicht genau festzustellen. Meiner Einschätzung nach ist er an seinem eigenen Blut erstickt. Sein Kehlkopf ist eingedrückt, die Halsarterie ist gerissen. Ebenfalls gerissen sind der Truncus coeliacus und die Arteria linealis, die beiden Hauptarterien. Der Abdominaltrakt, also sein Bauchraum, war angefüllt mit Blut. Er hat noch gelebt, als das passiert ist, darauf lassen die enormen inneren Blutungen schließen. Die inneren Organe sind allesamt zumindest stark geschädigt, wenn nicht sogar völlig zerstört.
Der Schädel wurde ihm jedoch erst zertrümmert, als er schon tot war. Ebenso die Halswirbelsäule. Ihr Täter war anscheinend einfach noch nicht fertig mit ihm. Merkwürdig ist allerdings, dass nur seine Rückseite sandig war. Ich vermute, der Täter hat das Opfer aufgerichtet, bevor er die Schläge auf Kopf und Nacken ausgeführt hat. Meiner Meinung nach hat der arme Kerl hier etwa eine gute halbe Stunde lang gelitten, bis es vorbei war. Zur Tatwaffe nur so viel ... ich tippe einmal auf einen Baseballschläger oder etwas Ähnliches, der mit Nägeln bestückt wurde. Darauf lassen die tiefen Risse in der Haut und im darunterliegenden Gewebe schließen. Außerdem hab ich in ein paar der Wunden Metallpartikel gefunden.
Und dann muss der Täter noch etwas anderes verwendet haben, vielleicht einen großen Hammer. Dafür spricht die Form der Hämatome auf dem Rücken, wo es keine Einstiche gibt. Was auch immer der Kerl benutzt hat, jedenfalls war für ein solches Gemetzel immense Kraft und Ausdauer nötig. Ihr Täter ist also höchstwahrscheinlich männlich, eine Frau würde eine solche Schlagkraft nicht entwickeln, es sei denn, sie ist Berufsringerin oder so etwas. Gewebe- und Blutproben sind bereits ans Labor gegangen. Mal sehen, ob wir die DNA unseres Opfers hier in der Datenbank haben. Falls nicht, dann hoffe ich für Sie auf die Fingerabdrücke. Den schriftlichen Bericht kriegen Sie dann wahrscheinlich morgen.«
Damit...