Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
ZWEI
Pfaffenhoffen, Donnerstag, 14. Oktober, acht Uhr früh
Aus irgendeinem Grund war Honoré bereits um sechs Uhr früh wach geworden, und Rapp sah sich gezwungen, noch im Dunkeln mit ihm Gassi zu gehen. Die Straßen und Winkel waren still und leer, nur von den Innenhöfen der Weinbauern hörte man hier und da Stimmen und Geräusche von Fahrzeugen und Gerätschaften, vermutlich Vorbereitungen für die etwas spätere Ernte von Gewürztraminer und Riesling.
Am Dorfrand, auf der Wiese hinter dem Denkmal von St. Vincent, fraß der Hund Gras. Ein sicheres Zeichen, wie Rapp aus Erfahrung wusste, dass er Magenbeschwerden hatte. Und der Grund für seine Unruhe so früh am Morgen.
Bei der Rückkehr trug Rapp neben Honoré auch die Tageszeitung, die auf der untersten Treppenstufe im Hausflur lag, mit hinauf in die Wohnung. Dort warf er die neuen, angeblich antiallergenen Flocken für Hunde, die er im Intermarché gekauft hatte, in den Mülleimer und setzte Honoré auf Nulldiät.
Der Hund sah ihn vorwurfsvoll an.
»Tut mir leid, mein Guter, heute ist Fasten angesagt.« Das Stichwort reichte, damit Honoré, der das Spiel kannte, sich unter Andeutung von einem Knurren in seinen Korb verzog. Mit schlechtem Gewissen, weil der Hund ihn beobachtete, trank Rapp seinen café noir, aß wie üblich eine butterige Brioche dazu und blätterte anschließend im »Courant Alsacien«.
Der Mord an Alain Kieffer war selbstverständlich der Aufhänger des heutigen Tages. Der halbseitige Bericht auf der Titelseite widmete sich dem Tatort in Schonwiller, dem Fundort der Leiche in dem von der Lauch abgezweigten Weiher, der Todesursache laut inzwischen veröffentlichtem Polizeibericht (»Gewalteinwirkung auf den Schädel«) und brachte erste Reaktionen der Bevölkerung (»Schock und Trauer«). Die Seite drei der Zeitung würdigte Alain Kieffers Arbeit als Museumsdirektor in Rouffach als »innovativ, weit über die Grenzen des Elsass hinaus«. Dazu aktuelle Fotos vom abgesperrten Areal in Schonwiller und aus dem Archiv: Alain Kieffer, ernst und stolz bei einer der letzten Sonderausstellungen des Stadtmuseums.
Rapp war ein wenig enttäuscht nach der Lektüre. Nicht, weil er nur ihm schon Bekanntes erfahren hatte. Sondern weil er gehofft hatte, dass Aimée Polignac die Artikel zum Mordfall Kieffer geschrieben hätte. Die junge Journalistin hatte sich schon im Fall Leroux als äußerst engagiert und hilfreich erwiesen. Schade, dass sie sich offenbar aus der Recherche in dem neuen Mordfall heraushielt. Überhaupt fiel ihm nun auf, dass er, abgesehen von ein paar kleineren Meldungen, schon längere Zeit keine neuen Artikel von Aimée mehr gefunden hatte. Sie war hoffentlich nicht krank geworden. Vielleicht sollte er sie in nächster Zeit einmal anrufen, um auf den Busch zu klopfen.
Er schlug die Seiten um und las sich noch eine Weile durch das nationale und internationale Geschehen, als das Telefon klingelte.
Sein Herz fing sogleich an zu stolpern, jedenfalls glaubte er das, als er den Namen Sylvie auf dem Display las. Vielleicht wollte sie ihn zu ihrer Verlobung einladen.
»Rapp«, meldete er sich verhalten.
»Jean Paul!« Ihre Stimme klang nach bester Laune. »Excuse moi, dass ich dich so früh anrufe, aber du weißt ja, ich muss gleich zur Arbeit fahren.« Sylvie arbeitete als botanische Denkmalpflegerin im Éco Musée nördlich von Mulhouse.
Für späte Anrufe am Abend war sie derzeit wohl zu beschäftigt, dachte er grimmig. Mit ihrem Thierry.
»Ich will dich nur rasch etwas fragen, Jean Paul.«
»Schieß los.«
»Schießen ist hoffentlich nicht nötig. Ich will ja bloß schwimmen gehen. Aber von nun an regelmäßig. Früher bin ich jedes Wochenende geschwommen. Mindestens.«
Rapp war ein wenig irritiert. Wenn Sylvie Sport treiben wollte, war das sicher ein lobenswerter Vorsatz. Aber zum Thema Schwimmen hatte er nichts beizutragen. Gechlortes Wasser, non merci, das war nicht sein Element, er besaß nicht mal eine Badehose. Er hatte durch die täglichen Spaziergänge mit Honoré ausreichend Bewegung, wie er fand. Außerdem fuhr er so oft wie möglich Rad.
Auch deshalb war er auf das, was Sylvie als Nächstes sagte, kein bisschen vorbereitet: »Ich möchte nächsten Sonntag loslegen, und ich dachte, vielleicht hättest du Lust mitzukommen?«
»Zum Schwimmen?« Womöglich mit Thierry Printemps zusammen, der sicher auch in der Badehose eine gute Figur machte. Non. Allein die Vorstellung jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Doch Sylvies folgende Bemerkung änderte das schlagartig: »Ja, weißt du, allein schwimmen zu gehen, macht mir keinen Spaß. Da bleibe ich lieber zu Hause und leiste Fou Fou Gesellschaft.«
Fou Fou war ihr Kater, ein unberechenbares Tier, vor dem Honoré sich besser in Acht nahm, fand Rapp, der gegenüber Katzen ähnlich zwiespältige Gefühle hegte wie sein Hund.
Blitzschnell realisierte er ihr Angebot. »Ich bin zwar kein Meister im Brustschwimmen, eher im Freistil«, log er drauflos. »Aber zusammen werden wir schon das Beste daraus machen.«
»Im Ernst, du begleitest mich, Jean Paul? Wie schön. Sonntagmorgen also? Wir könnten vorher zusammen frühstücken, wenn du magst? Natürlich nur eine Kleinigkeit. Zu viel im Magen ist nicht gut fürs Schwimmen.«
»Und an welches Schwimmbad denkst du, Sylvie?« Freibäder hatten doch hoffentlich schon geschlossen.
»Thierry, mein Schwager, ihr habt euch kurz kennengelernt .«
»Ja?« Rapp hielt die Luft an.
»Er meint, in Vieux-Thann gebe es ein schönes Schwimmbad. Das würde ich gern mal ausprobieren. Kennst du es zufällig?«
»Nein, in dem bin ich noch nicht gewesen.« Rapp hatte in den letzten dreißig Jahren kein einziges Schwimmbad betreten, weder in Vieux-Thann noch sonst wo im Elsass. »Und Thierry .«, tastete er sich vorsichtig an den heiklen Punkt heran, ». will er denn nicht mitkommen zum Schwimmen?«
»Nein. Er hat einen Geschäftstermin.«
Rapp blieb misstrauisch. »Am Sonntag?«
»Du weißt, er ist Bad-Designer und hat da irgendeinen dicken Fisch an der Angel, einen Kunden, mit dem er sich treffen will.«
»Ah ja?« Er atmete erleichtert auf. »Schade.« Für den guten Thierry.
»Sagen wir um neun bei mir zum petit-déjeuner, Jean Paul?«
»D'accord.«
Eine kleine Pause entstand, und er dachte schon, Sylvie würde auflegen, als sie ein wenig zögerlich nachschob: »Übrigens, Jean Paul, hast du von dem schrecklichen Mord an Alain Kieffer gehört? - Natürlich hast du!«
»Ertappt. Warum fragst du?«
»Ich kannte Kieffer. Ein wenig, aber immerhin.«
Rapp war ehrlich überrascht. »Du kanntest ihn? Woher denn?«
»Wir Museumsleute treffen uns hin und wieder. Mein Gebiet historische Botanik im Éco Musée und Kieffers Stadt- und Regionalthemen haben auf den ersten Blick vielleicht nicht viel gemeinsam. Aber wir tauschen uns fachlich über Methoden und Ausstellungsideen aus. Und Kieffer war ein Mann, der sich nicht nur für tote Steine aus der Römerzeit, sondern auch für die lebendige Landschaft des Elsass interessierte.«
»Und kanntest du ihn auch . darüber hinaus?«
»Privat, meinst du? Nein. Er war nicht der Typ, der Berufliches und Privates durcheinanderbrachte. Er war freundlich, höflich, das ja. Aber er hielt Distanz, jedenfalls zu mir. Und davon abgesehen, falls dich das interessiert .« Rapp hörte sie verhalten lachen.
»Ja?«
»Er war nicht mein Typ. Ein wenig zu selbstsicher für meinen Geschmack. Aber beruflich, wie gesagt, fand ich ihn spannend. Vielmehr .« Sie schien zu überlegen.
»Vielmehr was, Sylvie?«
»Na, jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass er es auch ganz schön spannend gemacht hat.«
»Wie meinst du das?«
»Er . wie soll ich sagen? . als ich zuletzt mit ihm gesprochen habe, zwei, drei Monate ist das jetzt her, da hat er gewisse Andeutungen gemacht, was sein nächstes Projekt betrifft.«
»Andeutungen? Inwiefern?«
»Er hatte anscheinend eine neue Sonderausstellung im Sinn. Aber, mon dieu, er hat ein ziemliches Geheimnis daraus gemacht. Weißt du, was er gesagt hat: >Die nächste Ausstellung wird gewissen Leuten nicht schmecken. Solchen, die Wein predigen, aber Wasser trinken.<«
Rapp stutzte. »Geht der Spruch nicht andersherum?«
»Eben. Zumindest bei Heine heißt er ein wenig anders. Keine Ahnung, was Kieffer damit andeuten wollte.«
»Wasser und Wein .«, wiederholte Rapp nachdenklich, ohne eine Idee dazu zu bekommen. »Das ist für mich sehr interessant, was du da sagst, Sylvie.«
»Über Alain Kieffer?«
»Ja. Es ist so, dass ich mich in dem Fall ein wenig .«, wie hatte Rimbout das gleich formuliert?, ». engagiere.«
»Ach ja? Warum überrascht mich das jetzt nicht, mein Lieber?«
Rapp lachte auf und beschloss, den Spieß herumzudrehen. »Weil du selbst daran interessiert bist, Madame Marple, gib's zu!« Vielleicht hatte sie sogar vor allem deswegen bei ihm angerufen? Der Gedanke zwickte ihn etwas.
»Madame Marple!« Sie gab eine Art Grunzlaut von sich. Wurde aber gleich wieder ernst. »Ich sagte doch, ich kannte Kieffer beruflich. Ich kann gar nicht glauben, dass er ermordet wurde. Mir fehlen immer noch die Worte. Es fühlt sich unwirklich an. Wenn wir Museumsleute uns das nächste Mal treffen, werde ich bestimmt nicht daran denken, dass er tot ist, sondern spontan annehmen, dass er sich nur verspäten wird.«
Rapp wagte einen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.